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Sintemalen es aber eine gerechte Sache ist, die Mörder und Kirchenschänder und Giftmischer zu strafen, kann die Vergießung ihres Blutes füglich auch nicht Mord genannt werden. Insgleichen ist nicht grausam, wer die Grausamen vernichtet. Und wer die Bösen vertilgt, um dess' willen, daß sie böse sind, und hat Grund, sie zu tilgen, der dienet dem Herrn. So sprach Bischof Petrus von Oporto am 17. Juni des Jahres 1147, um das christliche Heer auf die Vertreibung der Sarazenen aus der Stadt Lissabon einzustimmen. Und so haben sie immer gesprochen, wenn Mord und Totschlag gerechtfertigt werden mußten, zum Nutzen der einen oder anderen Macht. Dem Feind wird das Menschsein abgesprochen, dann braucht man sich gegen ihn auch nicht menschlich verhalten.

What was, it will be

So ist es, und so wird es sein

If it's not love
then it's the bomb
the bomb, the bomb, the bomb
that will bring us together

Von einem Musical, zudem mit politischen Bezügen, kann man nicht Tiefe erwarten wie bei Komödie und Tragödie, schon aber Spektakel. Und die aktuelle Bremer Inszenierung von "Hair" bietet es, mit Tanz, (Chor)Gesang, Maske, Interviewprojektionen und Bauten. Die Botschaft ist bei mir allerdings nicht angekommen - vielleicht sträubte sich meine Wahrnehmung einfach gegen das Gemisch aus deutsch und englisch -, was besser sein mag als eine klar vernehmliche Botschaft, die peinlich wäre. Wie zum Beispiel, wenn das demonstrative "Do-do-do-do-do-do-do-it!" der vorletzten Gesangseinlage als Aufforderung zu verstehen sei, eigene alternative Lebensformen zu entwickeln wie die interviewten Leute der Filmeinspielungen. Doch dazu später.

Gesanglich, tänzerisch, instrumental, darstellerisch und choreographisch ist die Inszenierung unterhaltsames Spektakel; wenn es keine action gibt, wird zumindest gesungen, der zentrale Bühnenbau - eine zweigeschossige Villa irgendwie alternativen Gepräges - wird mehrmals herumgedreht, jede seiner vier offenen Seiten, ebenso die Terrasse um den kleinen Bau im Obergeschoß, wird als Bühne in der Bühne genutzt, man sieht etwas vom täglichen Leben in dieser Unterkunft: das ist hübsch gemacht und bietet Abwechslung, gelegentlich werden besagte Interviews parallel eingeblendet, oder eine der beiden Kameras in der Villa liefert Bild und Ton. Unterhaltsam ist es, aktualisiert ist es, was will man mehr von diesem "Hair".

Weniger hätte ich bei den neuen Arrangements der alten Songs erhofft, nämlich weniger Handwerk, dafür mehr Inspiration. Ich erinnere mich an eine Stelle, wo der Chor an Kraft gewann, Oberstimme und Unterstimme gegeneinander gesetzt, jetzt hätte es ergreifend werden müssen, aber es blieb seicht, weil Technik nicht Gefühl ersetzen kann. Auch fehlte manchen der neuen Arrangements der rechte Fluß, oder sagen wir drive, weil es offenbar an Pop-Verständnis mangelt, andere gerieten zu Mitklatschnummern. Aber das kommt einem Publikum entgegen, das Spektakel will, und so gesehen ist das auch in Ordnung. Eine gelungene Aufführung also, der auch langanhaltend Applaus gespendet wurde.

Der aktuelle Bezug des alten, erneuerten "Hair" war das Leben Alternativer, die in den besagten Interviews ihre Lebensgestaltung auf dem Lande oder in der WG schilderten, von gemeinsamer Kasse, von Demoteilnahme oder von Kompostklos erzählten. Mal meinte ich in der Spielhandlung eine Persiflage, mal eine Bejahung dieser Dropouts und Außenseiter wahrzunehmen, am Ende blieb es trotz "Do-do-do-do-do-do-do-it!" unentschieden.

Oder doch nicht ganz. Denn heimlich, still und leise lief während der letzten, intensiven Aktionen auf der Bühne auf den beiden seitlichen Leinwänden noch ein Film. Die meisten der Interviewten waren einzeln und in Gruppen zusammen mit dem Hauptdarsteller zu sehen, auf einem ausladenden Bett, hinter dem an der Wand zwei Zettel angebracht waren: "hair peace" und "bed peace". Und da konntest du deutlich sehen, worum es wirklich geht - die Politleute probieren aus, wer sie sein könnten, der Schauspieler lebt; sie spielen, er ist. So steht es in den Gesichtern geschrieben für alle, die des Lesens mächtig sind.

Bei Raumfahrtprojekten begenete mir zum erstenmal die Unsitte, ein Projekt mittels geeigneter Wortwahl durch die Anfangsbuchstaben mit Bedeutung aufzulagen, z.B. "Eureka". Seitdem achte ich auf dieses Phänomen und deshalb bezweifle ich, daß "NSU" das ist, als das es gilt. So ein Abkürzungsname soll ja nicht nur bedeutungsschwanger, sondern auch einprägsam sein, und NSU ist meiner Generation nicht zuletzt aus Autoquartetts geläufig. Aber da mag man mir getrost widersprechen und sagen: Zufall! "RAF" war ja auch ziemlich mißglückt.

ISIS aber, mittlerweile als brand etabliert, ergibt sich aus den Anfangsbuchstaben des englischen Namens einer islamistischen Truppe in Syrien und Irak, deren arabischer Originalname, so es einen gibt, wohl zu einem ganz anderen Ergebnis führen dürfte. Anders gesagt, dieser Name ist eine Fabrikation. Einprägsam, aber sich bequem-dümmlich auf eine angenommene Unbildung in der westlichen Welt verlassend. Man kann bei Wikipedia nachlesen, daß Isis der Name einer altägyptischen Gottheit ist, die später noch bei Griechen, Römern und Christen eine gewisse, schwindende Rolle spielte. Im arabischen Raum ist sie bedeutungsleer, das ist der Punkt.

Und dann fragt man sich, wo kommen sie her, diese Truppen, die wir u.a. von werbewirksamen Fotos auf geschniegelten Toyota-Pickup-Konvois kennen, Konvois, die von sämtlichen Spionagesatelliten unbemerkt durch Wüstenlandschaften fahren und es - diese Strategie ist erkennbar - auf die Eroberung von Öl- und Gasförderfeldern anlegen. Und dann stellt man sich die Frage: wer profitiert davon? - Nein, die Antwort "prorussische Separatisten" ist falsch.

Wenn du ein gutes Drehbuch hast, muß schon viel Untalent zusammenkommen, damit daraus kein brauchbarer Film wird. Aber stimmt das Drehbuch nicht, kannste einpacken. Da kann Heinz Rühmann (und alle übrigenden Schauspieler--->[Innen]) in Komödien wie "Dreizehn Stühle" oder "Nanu, Sie kennen Korff noch nicht" noch so charmant, rührig, unschuldig-naiv und durchtrieben sein, man wünscht ihm bessere Dialogsätze und in manchen Szenen eine bessere Inszenierung. Auch in den gelungeneren Filmen "Der Florentinerhut" oder "5 Millionen suchen einen Erben" vermißt man die freiwilligen und die erzwungenen Emigranten; der Aderlaß des deutschen Films nach 1933 ist schmerzhaft spürbar beim Betrachten der genannten Streifen von 1938/39.

Dabei hamse sich ne Masse einfallen lassen, die Filmleute--->[Innen]: ein gemaltes Portrait, das den Gesichtsausdruck ändert, den üblichen Vorspann als Moritat eines Bänkelsängers, ein Ende mit den Worten: "Kuß!", "Schluß!", und dann nur noch "Ende" weiß auf schwarz. Und technische Mätzchen mit einer Doppelrolle sowie subjektiver Kamera. Hat Hollywood auch gemacht, etwa zur selben Zeit, aber mit mehr Pfiff. Is numal so, wennde nich reden darfst, wie dir der Schnabel gewachsen is, denn musste ne trübe Tasse sein, oder die Diktatur macht Einschnitte. Da vergeht einem--->[Innen] der Witz.

"Gib hier nicht den Karasek!" sagte ich neulich zu einem Kulturknilch, der in seine gespreizten Sätze literweise berühmte Namen einfließen ließ. Was diesen leider nicht zum Verstummen brachte, mir aber Befriedigung verschaffte. Seit Wochen schlage ich in Karaseks "Mein Kino - die 100 schönsten Filme" (von 1993) mal diese, mal jene Seite auf und bin erschüttert ob der vielen auf grandiosen Mißverständnissen beruhenden Lobhudeleien. Wobei nicht die Filmauswahl stört.

Bitte einhundert Filminteressierte, ihre hundert Lieblingsfilme aufzulisten, und du wirst mindestens zweitausend Filme genannt bekommen. Einigkeit wird bei einer Reihe berühmter Filme herrschen, z.B. "Casablanca" oder "Fahraddiebe" oder "Psycho". Das ist völlig richtig, denn daß solche Filme ein großes Publikum berührt haben und immer wieder berühren, kann auch vom hartgesottensten Kritiker nicht ignoriert werden. Abgesehen von den gängigen Publikums- und Kritikerlieblingen wird die Auswahl natürlich vom persönlichen Geschmack bestimmt und "de gustibus non est disputandum", selbst wenn es schlechter Geschmack sein sollte.

Anders steht es um die Gründe, die zur Auswahl dieses oder jenes Filmes führen, und K. hat seine Gründe, im jederzeit gegenwärtigen Bemühen, brilliant zu schreiben, genannt: die Gründe sind im Gegensatz zum Geschmack, durchaus diskussionswürdig. (Jetzt schreibe ich schon selbst gespreizt, es ist nicht zu fassen, aber kommen wir endlich zur Sache)

Die Sache ist die, daß K. mit Blick auf die Luftschachtszene Marilyn Monroes (er versteigt sich zu der Formulierung "ein lasziver Windstoß", hurregottnejah!) und den Kuß in der Meeresbrandung zwischen Burt Lancaster und Deborah Kerr behauptet "sie" hätten "einen Film-Augenblick lang den Schleier der biederen fünfziger Jahre vor der sexuellen Wahrheit gelüftet" (Besprechung von "Verdammt in alle Ewigkeit"). Noch ein Beispiel, diesmal aus "Der Leopard". Der Neffe des Fürsten erzählt der Tochter des neureichen Bürgermeisters bei Tisch eine schlüpfrige Geschichte, macht ihr dann "ein frivoles Kompliment. Und da bricht sie in ein unbändiges, sinnliches, lautes, nicht enden wollendes Lachen aus [...] Es ist der Ausbruch des ungefügen, wilden, unerzogenen Gefühls mitten in der erstarrten Etikette. Es ist der wahre Anbruch der neuen Zeit."

Dabei scheint K. nicht begreifen zu können, daß die "erstarrte Etikette" auch das aufgeklärte Arrangement mit menschlichen Schwächen bedeutet, die neue Zeit aber das "ungefüge, wilde, unerzoge" Ausleben menschlicher Egoismen. K. ist kein Revolutionär, in seiner Sicht auf die Welt aber nachhaltig von den Revoluzzern Neunzehnhundertachtundsechzigs geprägt. Die Wohlgestalt der Tochter-Darstellerin Claudia Cardinale ist unbestreitbar, ebenso ihr etwas vulgäres Gesicht - eine gute Wahl für diese Rolle in diesem Film, dessen Regisseur Luchino Visconti genau wußte, was er tat.

K. nutzt jede Gelegenheit, Verstöße gegen die Zensur (in Hollywood) zu feiern und mehr oder minder unterschwellige Sexualanspielungen lobend zu erwähnen, so daß der Eindruck entsteht, er tue das bei zwei Dritteln seiner "100 schönsten Filme", real wird es wohl kaum ein Drittel sein. Interessant finde ich, daß K., der Sexualitätsbefreier, Truffauts "Der Mann, der die Frauen liebte" nicht in seinen Kanon aufgenommen hat: dieser Film behandelt die männliche Sexualität freundlich-kritisch mit viel (Selbst)Ironie und ist darin wirklich frei - das war wohl des Guten zuviel.

 

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