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Als ich heute bei SpOn die Schlagzeile "Zahl der Arbeitslosen sinkt unter Drei-Millionen-Marke" las, fragte ich mich nur, welche Schweinerei wohl dahinter wieder stecken mag und las weiter, dazu gleich mehr. Danach erinnerte mich an die Versprechungen eines Florian Gerster (wer sich seiner überhaupt noch erinnert, spuckt aus), mit der neuen Sozialgesetzgebung (als "Hartz-Reformen" bekannt geworden) werde man die Arbeitslosigkeit binnen dreier Jahre halbieren. In Zahlen: bis Sommer 2005 von vier auf zwei Millionen Arbeitslose reduzieren. Dreist gelogen, damit das Volk die bitteren Pillen schluckt! Drei Millionen Arbeitslose im Jahre 2015, trotz aller Maßnahmen, Buchungstricks und Statistikmauscheleien, das ist die Realität, wobei ich das Thema Niedriglohn noch völlig ausspare.

Aber jetzt endlich weniger Arbeitslosigkeit? "Nach Berechnungen von Konjunkturforschern wird [blablabla] unter drei Millionen sinken." Nach dem Konsumklima-Index, der Monat für Monat bejubelt wird, weil steigend, während die realen Umsätze im Einzelhandel bestenfalls stagnieren, meistens aber rückläufig sind, nun ein Erwerbsklima-Index? Das ist wohl die Zukunft: da in Wirklichkeit alles mies ist, außer den Geschäften der Eliten (elitär kriminell, wenn ihr mich fragt), werden eben Prognosen als Wirklichkeit in den Medien ausgerufen.

Da ist noch viel Spielraum für Kreative. Weshalb nicht einen Lohn- und Gehalts-Index, der steigende Einkommen für alle suggeriert, wo die realen Erhöhungen bestenfalls die Inflation im täglichen Bedarf ausgleichen? Oder einen Friedens-Index, der das baldige Ende von Kriegshandlungen ausruft, während mehr Truppen und Gerät in etwas geschickt werden, das sich immer deutlicher als dritter Weltkrieg entpuppt, dessen Beginn Historiker einmal auf den 11. September 2001 datieren werden. Und ich schlage einen weiteren Kennwert vor, der propagandistisch von großer Bedeutung ist, da es ihn gefühlt bereits gibt, und der beständig steigt: den Rassismusklima-Index, der über kurz oder lang ausweisen wird, daß wir ein Volk von Rassisten sind.

Freilich ist das alles kein Grund zur Besorgnis, denn die Verfassung garantiert uns Meinungsfreiheit. Schade nur, daß wir sofort niedergeschrieen, -geschrieben und -gesendet werden, sobald wir davon anders Gebrauch machen, als die "marktkonforme" Demokratie erlaubt. Schade auch, daß die linke Szene sich mehr und mehr vor diesen Karren spannen läßt wie der Esel, dem der Kutscher eine Mohrrübe vor die Nase hält.

Der Regisseur Anthony Mann hat gerade in den 50ern zahlreiche Western gedreht, die ins melodramatische Fach fallen, weshalb ich nur „Fernsehen“ sage, denn dort hat das Melodram den perfekten Platz, als unauthentische Gefühlsduselei im unauthentischen Medium schlechthin. Der beste dieser Western scheint mir „Winchester 73“ (von 1950) zu sein, in dem James Stewart einen zerrissenen Charakter spielen kann, dessen Story aber überzeugender ist als in vielen folgenden Mann-Western, die sich viele Freiheiten mit der Logik und Folgerichtigkeit herausnehmen. Diese Filme haben eine Botschaft, was in „The Tin Star“ (diesmal mit Henry Fonda) schon an die heutige political correctness grenzt. Nur war es in den 50er Jahren in den USA ein Fortschritt, nicht auf Indianer und Neger herabzusehen, sondern ihnen eine eigene Würde zuzugestehen. Dieser Fortschritt hat allerdings nur zu fortschreitender Verlogenheit geführt anstatt zu mehr Verständnis - Rassenunruhen sind nun einmal authentischer als verkrampftes Liebgetue: erstere spiegeln die ungeschminkte Wahrheit, letzteres ist verkapptes Herrenmenschentum.

Immerhin ist es komisch zu sehen, wie später berühmte Schauspieler in den 50er Jahren ihre ersten Film(neben)rollen hatten, z.B. Anthony Perkins als Aushilfssherrif in „The Tin Star“, dem beim Üben des eleganten Coltdrehens die Waffe aus der Hand poltert, oder Rock Hudson (als Häuptling Kleiner Bär) und Tony Curtis (als Blaurock) in „Winchester 73, wo ein gewisser Dan Dureya eine ganz ganz bösen Bösewicht (aber nicht den bösesten) spielt. Es galt immer die Regel, daß der Held umso strahlender (und der Film umso überzeugender) ist, je stärkere der Schurke besetzt wird. Deshalb ist „Liebesgrüße aus Moskau“ der beste James Bond Film; Robert Shaw (der später u.a. der zynische Kutterkapitän in „Der weiße Hai“ und der Bandenführer in „Pelham 123“ war) verkörpert überzeugend tödliche Gefahr.

Und „Winchester 73“? Hätte eine Variation der Geschichte von Kain und Abel sein sollen, blieb aber an der spektakelnden Oberfläche und konzentrierte sich auf die Rache einer Blutschuld, die James Stewart nach einem bilderbogenhaften Querschnitt durch den wilden Westen des Jahres 1876 endlich eintreiben durfte. Ach, wenn die schlechten Menschen doch immer tödlich getroffen von schroffen Felsen herabstürzen würden! Leider gibt es das nur im Melodram. Aber irgendwie auch schön, daß es immer Bösewichte gibt, die man als guter Mensch guten Gewissens totschießen darf. Oder verbrennen. Oder steinigen. Oder. Oder. Oder?

Heute las ich bei einem Polit-Blogger über Jan Fleischhauers Russen- und Griechen-Bashing: Das geht schon eher in die Richtung von Publikationen aus einer Zeit an die wir nicht so gern erinnert werden. Und da war ich baff. WIR werden doch im Gegenteil mit Vorliebe daran erinnert, WIR versäumen keine Gelegenheit, an diese Zeit zu erinnern, WIR definieren uns doch über diese Zeit, in dem WIR pausenlos vermeintlichen Gegnern unterstellen, diese Zeit neu installieren zu wollen. Aber weil WIR im Geiste dieser Zeit leben, sind WIR es dann auch nicht gewesen: nei-hein, WIR werden gar nicht gern daran erinnert!

Ist schon klar, heute geht es um die Fernsehserie "Vier Frauen und ein Todesfall". Darauf gekommen bin ich durch ein Marketingfoto für den DVD-Verkauf: das ist ein Gesicht, dachte ich. Aber eigentlich dachte ich nichts, sondern war einfach nur neugierig. Die Serie ist der übliche Schmu von den starken Frauen, die es den Männertrotteln zeigen; Augenkokain also für all die grauen Mäuse, denen Selbstbewußtsein zu anstrengend ist. Aber mit Witz gemacht und sehr unterhaltsam.

Das Gesicht, ach ja. Adele Neuhauser siehst du an, daß sie gelebt hat (und noch lebt!). Dabei könnte sie längst tot sein: mehrere Selbstmordversuche zwischen 10 und 20. Sie selbst meint rückblickend, wenn sie es ernst gemeint hätte, gäbe es sie nicht mehr. Wie dem auch sei, sie hat unter der Scheidung ihrer Eltern gelitten, und was sonst noch war, Pubertät, Identitätskrise, Außenseitertum, übersensibel bis zur Autoaggressivität. Wobei, angesichts der Dominanz von PKW im Straßenbild kommt man bei "Autoaggressivität" auf ganz andere Gedanken. Danach eine Tour de Force durch Theater Deutschlands (als Wi-enerin). Sechs Jahre lang hat sie dabei den Mephisto (androgyn) gespielt. Kampferprobt, könnte man sagen.

Und dann wurde sie für besagte Serie verpflichtet (mit zunächst Gaby Dohm als Zugpferd) und wurde und ist die zentrale Figur, die den ganzen Schmarrn trägt und ihm Glaubhaftigkeit verleiht. "Also I glaub net, daß des ein Unfall gewesen ist" wird von Historikern dereinst als typische Aussage weiblicher österreichischer Dorfbewohner angeführt werden. Dorf? Wenn Dorf Ilm wirklich Dorf wäre, hätte es keine vierzig Folgen gegeben, in denen über die Zeit genügend Figuren für eine Kleinstadt zu sehen waren und jede Menge Leute ins Jenseits gehen mußten. Sei's drum, Adele bzw. die Zirbner Julie leitet die Untersuchungen der "Begräbnisweiber", macht die härtesten Sprüche, verliebt sich ausgerechnet in den neuen Pfarrer, legt sich heftig mit einer jungen Zugereisten an, die sich als ihre (zur Adoption gegebene) Tochter entpuppt, während sich das depperte Dorf Ilm komplett in ein Irrenhaus verwandelt, die Charaktere sich untreu werden und die Autoren von ihrer Kunstfertigkeit besoffen allmählich alles nihilieren, oder müßte es "negieren" heißen.

Was bleibt, ist Adele Neuhauser, die eine großartige Schauspielerin ist, der ich gerne zusehe, die seit 2011 auch im Wiener Tatort als feste Problemfigur einen Platz hat, die ich wegen ihres ausdruckstarken Gesichtes liebe und ihrer Lebendigkeit dahinter, die sich aber - so ist das heute - ans Fernsehen verkauft. Nu, Schauspieler müssen auch essen, und ohne Engagements gibt's keine Kohle. Kein Vorwurf, liebe Adele, genieße deine Rollen und vor allem dein Leben. Du hast meines bereichert.

Es ist der schiere Wahnsinn, was du heute alles an Statistik über Fußballspiele und Fußballspieler abrufen kannst; ich vermute, da stellt die NSA ihre Datenbanken für die Berichterstattung zur Verfügung. Laufleistung, Ballbesitz, Anzahl der Pässe, Paß- und Zweikampfquoten - anscheinend sind die Spieler direkt mit dem GPS verkabelt vernetzt. Und dennoch: 70 Prozent angekommener Pässe, 75 Prozent gewonnener Zweikämpfe, 80 Prozent Ballbesitz besagen gar nichts, denn "Der Ball ist rund", "Das Spiel dauert neunzig Minuten" und "Elfmeter ist, wenn der Schiedsrichter pfeift", kurz, entscheidend sind immer noch die erzielten Tore. Deshalb gewinnt Werder Bremen derzeit ein Spiel nach dem anderen, obwohl sie im Kampf um die schlechteste Abwehr immer noch die Nummer eins sind, auch wenn Eintracht Frankfurt zum Überholen ansetzt und Hertha BSC ihnen auf den Fersen bleibt. Die nächsten Gegner Werders sind Augsburg, Schalke, Wolfsburg und kurz darauf Bayern München, bevor an den Spieltagen 33 und 34 Mönchengladbach und Dortmund warten, allesamt Balbesitz- und Paßquotenteams, die ihre Spiele meistens gewinnen (naja, Dortmund in dieser Saison seltener). Dazwischen kommen Gurkentruppen, wie Werder selbst seit 2010/2011 eine ist - oder war? Der erfolgreiche Trainer Thomas Schaaf war im früheren Leben Abwehrspieler und impfte seiner Mannschaft Torgefahr mit viel Ballbesitz ein. Denselben Weg geht nun der erfolgversprechende Trainer Viktor Skripnik (ebenfalls ein Abwehrspieler), und wir dürfen gespannt sein, was die verjüngte, umgekrempelte und derzeit euphorische Mannschaft noch erreichen wird. Wenn der Erfolg ausbleibt, werden wir hoffentlich wenigstens wieder sagen können: "Niemand verliert so schön wie Werder Bremen". Denn auf Tiki-Taka kann man verzichten, wenn die Spieler Lust aufs Fußballspielen haben.

 

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