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Jahr um Jahr komme ich während der Fahrradsaison mehrmals an einem Dutzend neuer Einfamilienhäuser vorbei (die inzwischen nicht mehr ganz so neu sind) und dem gegenüberliegenden Abenteuerspielplatz, einst etepetete, heute vom Gammel bedroht. Dort waren nie Kinder zu sehen, so daß ich Jahr um Jahr fragte, weshalb nie Kinder auf diesem Spielplatz sind. Endlich weiß ich es: diese Kinder sind kleine Bestien, die nur in strengem Arrest gehalten werden dürfen, aber gelegentlich doch ausbüxen. Deshalb gibt es eingangs der Siedlung jetzt ein Hinweisschild für Ortsunkundige: Achtung, Kinder!

Eine Beamtin des LKA ist im Umfeld der Roten Flora in Hamburg enttarnt worden. Daß es Undercover-Leute bei den Linken gibt, ist nicht neu, und das Geheule über die Verbindungen des Verfassungsschutz zur NSU hat mir deshalb nur ein grimmiges "Wartet's ab, Kinder, es gibt noch ein böses Erwachen" entlockt. Es gibt heute keine radikale oder gar terroristische Gruppe mehr, in der nicht auch Geheimdienste mitmischen. Sie wollen nur nicht publik werden lassen, wie weit sie die Leine lassen, an der sie diese Gruppen führen oder mindestens beeinflussen. Die wissen genau, daß Fanatiker die nützlichsten Idioten sind.

Die enttarnte Beamtin hatte nicht nur spioniert, sondern eine Antifa-Jugendgruppe in Hamburg mitaufgebaut (naja, denn isse doch ne Linke, oder, hat doch alles richtig gemacht, hm?). Jetzt fragt sich, wo das LKA oder sonstige staatliche Organisationen noch überall bei den zornigen Linken mitmischen. Aber nicht das hat die Kommentatorin der taz thematisiert, sondern erstens ihre Feindbilder gepflegt, und zweitens eine erstaunliche Moral offenbart: Jugendliche sind unerfahren und schöpfen nicht so schnell Verdacht, sie sind politisch nicht so gefestigt, sondern leichter zu beeindrucken und zu manipulieren. Es ist höchst verwerflich, sie zu benutzen, weil es noch skrupelloser ist, als jahrelang Erwachsene zu betrügen oder sich ihnen auf der Straße entgegenzustellen.

Ein sehr zweischneidiges Schwert, denn wenn die Beamntin jahrelang unerkannt in Kreisen der Antifa tätig sein konnte, dann war sie doch - rein äußerlich betrachtet - politisch korrekt im Sinne der Antifa und hat diese so leicht manipulierbaren Jugendlichen eben im Sinne der Antifa manipuliert. Das will ihr ausgerechnet eine Linke zum Vorwurf machen? Und wenn sie jahrelang unerkannt bei den Radikalen aktiv sein konnte, wie leicht ist dann deren "richtige" Gesinnung nachzumachen und ihnen glaubhaft vorzuspielen. Mit anderen Worten: geistloses Plappern der "richtigen" Parolen genügt als Eintrittskarte zu diesen hochmoralischen, hochkorrekten und hochaggressiven Kreisen.

Der Artikel schließt mit den Sätzen: Die Polizei kämpft dagegen, dass Leute in ihrer Freizeit versuchen zu verhindern, dass Nazis Flüchtlingsheime anzünden. Klar, das tut die Polizei immer, wenn sie Nazidemos beschützt oder linke Demos blockiert. Im Fall von Astrid O. war es nur hinterhältiger. Und die Tränendrüse spritzt Liter um Liter. Ich amüsiere mich prächtig bei solch bereitwillig publizierter Dummheit.

Wir sahen ein video to brain, einen Lehrfilm also, der für eine Zigarettenpause unterbrochen wurde. Danach lief der Film weiter, aber nicht von der Unterbrechung an, sondern setzte ein paar Minuten vorher ein. Darauf Peter: "Ich hab gerade ein dejá vu." Ich drehte mich zu ihm um: "Das hast du vorhin auch gesagt, genau an derselben Stelle."

Vorhin kam mir ein schwarzgewandeter junger Mann - Typ Oberschüler, harmlos, Eltern Mittelschicht - entgegen, auf dessem T-Shirt "Freiheit für Valentin" prangte. Vor einigen Wochen, als 40 Leute in schwarz marschierten und den ersten Streifenwagen, dem sie begegneten, mit Pflastersteinen bewarfen, die sie in Einkaufstaschen eigens dafür mitgeschleppt hatten, hieß die Parole noch "Free Valentin". Vielleicht hat inzwischen jemand bemerkt, daß daraus unweigerlich "Frie Wällentein" wird, und dann weiß ja niemand mehr, wer eigentlich gemeint ist. Und die Assoziation zu "Free Willy", einem Hollywoodschinken, in dem ein Killerwal befreit wird.

Es geht aber nicht um einen Killerwal, sondern um einen Valentin, den Polizei und Staatsanwaltschaft für einen Wiederholungstäter in Sachen Schlägerei halten. Ich halte mich da heraus und erwähne nur, daß der Angeklagte einige Szeneevents verpasst hat, weil die Weigerung, in Untersuchungshaft an einer Gewalttherapie teilzunehmen, die Abweisung seines Antrags auf Haftverschonung zur Folge hatte.

Was hat er verpasst? Da wäre ein kurzer, schlechtbesuchter Schulstreik, der es unter dem Motto "Gegen Rassismus, Bildung für alle" oder so in die lokale Presse schaffte (heute muß ja alles mit 'gegen Rassismus' beginnen, sonst ist es für Rassismus, klarer Fall). Das Foto des Berichts zeigte in der ersten Reihe zwei nicht mehr allzu junge Schüler in schwarzer Kleidung und mit haßerfüllten Gesichtern. Daß ausgerechnet solche Leute für Toleranz einstehen, glaube wer will.

Dann trat am 1. Mai eine neue Gruppe namens "Revolutionärer Aufbau" (ah, mal was Konstruktives!) in Erscheinung, deren Gesichter verdeckt und verhüllt waren, und deren schwarze Kleidung Vermutungen zuläßt, aber mehr auch nicht, es sei denn man hätte deren Auftritt live erlebt.

Und last not least einige Heimspiele seiner Werder-Ultras, wobei ich nicht weiß, ob er überhaupt auch nur in die Nähe des Weserstadions gedurft hätte, also, beliebt hat der sich mal nicht gemacht.

Ob er trotz schwieriger Beweislage - schwammige Aussagen, Rückzieher von Belastungszeugen - verurteilt werden wird, läßt sich nicht sagen. Unschön wäre es wohl, denn schließlich könnte er in 25 bis 30 Jahren Außenminister der Bundesrepublik Deutschland sein, und wie stünde unser schönes Bremen dann in der Öffentlichkeit da!

Immer mal wieder lese ich Bücher, die seit zehn und mehr Jahren in dunklen Regalwinkeln stehen: ob dies verstaubende Etwas mir im Licht neuer Erkenntnisse mehr zu erzählen hat als bei der letzten Lesung. So kommt es, daß ich aktuell zwei schwule Bücher parallel lese (wer die komplexe 'l'-Struktur phonetisch nicht hinbekommt, darf "parallese" sagen), die weder derselben Meinung sind, noch aufeinander Bezug nehmen, und doch miteinander zu tun haben. Es sind Max Goldts erste Kolumnen für die "Titanic" ('89 bis '92) und eine Art Biographie Rosa von Praunheims (1993), die dieser zu seinem 50jährigen Bestehen verfasste, obwohl er unter dem brand erst seit seinem zwanzigsten Lebensjahr firmierte.

Rosa, dies sei für die Jüngeren gesagt, kämpfte für Schwulenrechte, als Schwule noch verfolgt wurden; er war nacheinander Schwulenpapst, Aids-Alarm und Outing-Minister, damals in den 70ern (und 80ern). Rosa ist erklärter Gegner der "scheißbürgerlichen Gesellschaft", verabscheut bürgerliche Kultur und Religion(en), und glaubt, daß nach der Befreiung der Himmel voller Pimmel hängt. Verständlich für einen einst braven Jungen, der nach dreimaligem Sitzenbleiben die Schule verlassen mußte und unter Schmerzen seine sexuelle Präferenz entdeckte. Das Leib-Seele-Problem äußert sich bei ihm so, daß er von den schöpferischen Menschen schwärmt, denen er an den schwulen Treffpunkten der weiten Welt begegnet ist, aber nie zufrieden war, wenn er nicht alle großartigen Männer ficken konnte, die er begehrte. Obwohl er auch dann nicht zufrieden war, weil er eine innere Leere empfand.

Wenn er nicht provozierte oder notgeil war, trat der Charmeur hervor und er konnte sehr amüsant sein. Gelegentlich verfiel er aber auch in Tiefsinn, wie bei den folgenden Zeilen über New Ýork: "Die Stadt gleicht heute einem Friedhof, ein Holocaust hat stattgefunden, wie bei der Vernichtung der Juden durch die Deutschen, als die besten Künstler und Wissenschaftler, die produktivsten Menschen Deutschlands, ermordet wurden. Aids ist ähnlich. Aids mordet Genies." Und, so möchte man ergänzen, treibt Menschen in den Schwachsinn. Rosa hat offensichtlich keine Ahnung, wovon er da redet und was er miteinander vergleicht. (kleiner Wissens- und Intelligenztest am Rande: wieviele Fehler, Ungenauigkeiten, Verwechslungen und Gedankensprünge hat er in diesen kurzen Text eingebaut?)

Wenn man Menschen und Gefühle nicht konsumiert, sondern zu verstehen und zu verarbeiten versucht (die Gefühle, nicht die Menschen), sieht die glorreiche Schwulenbewegung ("Schwule aller Länder, vereinigt euch!") doch ein wenig anders aus. In den Worten Max Goldts: "[...] weil es absolut Kokolores ist, aus einem kleinen, unterhaltsamen Defekt wie der Homosexualität einen ganzen Lebensstil zu destillieren [...]. Die kultische Überhöhung einer unbedeutenden Norm-Abweichung führt natürlich zwangsläufig dazu, daß alle individuellen Eigenschaften gegenüber dem Schwulsein verblassen, es laufen Leute herum, die nicht mehr links, nicht mehr rechts, nicht mehr musisch, nicht mehr Mensch sind, sondern nur noch schwul und nichts anderes."

"Ist Schwulsein eine Krankheit?" fragte eine Bekannte, nachdem sie geschildert hatte, wie ein schwuler Freund sie auf einem gemeinsamen Inselspaziergang stehen gelassen hatte, weil er sich spontan einem schwulen Mannschaftsfick in den Dünen anschließen mußte, und erst nach erhaltener Satisfucktion zu ihr zurückkehrte. Nein, Schwulsein ist keine Krankheit, kann aber Symptom sein. Es ist heute nur eine von drei bis vier Dutzend Möglichkeiten, wie ein innerlich leerer Mensch Identität und Zugehörigkeit finden kann.

 

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