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Immer mal wieder lese ich Bücher, die seit zehn und mehr Jahren in dunklen Regalwinkeln stehen: ob dies verstaubende Etwas mir im Licht neuer Erkenntnisse mehr zu erzählen hat als bei der letzten Lesung. So kommt es, daß ich aktuell zwei schwule Bücher parallel lese (wer die komplexe 'l'-Struktur phonetisch nicht hinbekommt, darf "parallese" sagen), die weder derselben Meinung sind, noch aufeinander Bezug nehmen, und doch miteinander zu tun haben. Es sind Max Goldts erste Kolumnen für die "Titanic" ('89 bis '92) und eine Art Biographie Rosa von Praunheims (1993), die dieser zu seinem 50jährigen Bestehen verfasste, obwohl er unter dem brand erst seit seinem zwanzigsten Lebensjahr firmierte.

Rosa, dies sei für die Jüngeren gesagt, kämpfte für Schwulenrechte, als Schwule noch verfolgt wurden; er war nacheinander Schwulenpapst, Aids-Alarm und Outing-Minister, damals in den 70ern (und 80ern). Rosa ist erklärter Gegner der "scheißbürgerlichen Gesellschaft", verabscheut bürgerliche Kultur und Religion(en), und glaubt, daß nach der Befreiung der Himmel voller Pimmel hängt. Verständlich für einen einst braven Jungen, der nach dreimaligem Sitzenbleiben die Schule verlassen mußte und unter Schmerzen seine sexuelle Präferenz entdeckte. Das Leib-Seele-Problem äußert sich bei ihm so, daß er von den schöpferischen Menschen schwärmt, denen er an den schwulen Treffpunkten der weiten Welt begegnet ist, aber nie zufrieden war, wenn er nicht alle großartigen Männer ficken konnte, die er begehrte. Obwohl er auch dann nicht zufrieden war, weil er eine innere Leere empfand.

Wenn er nicht provozierte oder notgeil war, trat der Charmeur hervor und er konnte sehr amüsant sein. Gelegentlich verfiel er aber auch in Tiefsinn, wie bei den folgenden Zeilen über New Ýork: "Die Stadt gleicht heute einem Friedhof, ein Holocaust hat stattgefunden, wie bei der Vernichtung der Juden durch die Deutschen, als die besten Künstler und Wissenschaftler, die produktivsten Menschen Deutschlands, ermordet wurden. Aids ist ähnlich. Aids mordet Genies." Und, so möchte man ergänzen, treibt Menschen in den Schwachsinn. Rosa hat offensichtlich keine Ahnung, wovon er da redet und was er miteinander vergleicht. (kleiner Wissens- und Intelligenztest am Rande: wieviele Fehler, Ungenauigkeiten, Verwechslungen und Gedankensprünge hat er in diesen kurzen Text eingebaut?)

Wenn man Menschen und Gefühle nicht konsumiert, sondern zu verstehen und zu verarbeiten versucht (die Gefühle, nicht die Menschen), sieht die glorreiche Schwulenbewegung ("Schwule aller Länder, vereinigt euch!") doch ein wenig anders aus. In den Worten Max Goldts: "[...] weil es absolut Kokolores ist, aus einem kleinen, unterhaltsamen Defekt wie der Homosexualität einen ganzen Lebensstil zu destillieren [...]. Die kultische Überhöhung einer unbedeutenden Norm-Abweichung führt natürlich zwangsläufig dazu, daß alle individuellen Eigenschaften gegenüber dem Schwulsein verblassen, es laufen Leute herum, die nicht mehr links, nicht mehr rechts, nicht mehr musisch, nicht mehr Mensch sind, sondern nur noch schwul und nichts anderes."

"Ist Schwulsein eine Krankheit?" fragte eine Bekannte, nachdem sie geschildert hatte, wie ein schwuler Freund sie auf einem gemeinsamen Inselspaziergang stehen gelassen hatte, weil er sich spontan einem schwulen Mannschaftsfick in den Dünen anschließen mußte, und erst nach erhaltener Satisfucktion zu ihr zurückkehrte. Nein, Schwulsein ist keine Krankheit, kann aber Symptom sein. Es ist heute nur eine von drei bis vier Dutzend Möglichkeiten, wie ein innerlich leerer Mensch Identität und Zugehörigkeit finden kann.
 

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