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Nachdem ich im Theater der hiesigen Shakespeare Company den "Mittsommernachtstraum" gesehen hatte, dachte ich, dieser Truppe liegt Komödie mehr als Drama, und weil ich zur selben Zeit Life and Opinion of Tristram Shandy, Gentleman las, war die Frage, ob aus diesem Buch ein funktionierendes Theaterstück entstehen könne. Ja, sagte ich, denn es gibt ja nur drei Geschichten zu erzählen, wenn man auf viele der Schnurren eines Romans, der die Romane seiner Zeit persifliert, verzichtet. Und ich sah das vor mir, wie die Rahmenhandlung auf der Empore gespielt wird, die jeweilige Geschichte aber auf der Bühne. - Ganz nebenbei: es handelt sich um eines jener nichtausgeführten Projekte, zu denen auch der Roman "Meine Reisen mit Kara Ben Nemsi" unter dem Pseudonym Hadschi Halef Omar gehört, den ich noch als Student entworfen hatte. Denn wozu ausarbeiten, was doch nie veröffentlicht oder aufgeführt wird - da genügt mir die Vorstellung, der Rohentwurf im Geiste.

Heute unternahm ich ein ähnlich geartetes Gedankenspiel: wie ließe sich Die Löwenskölds von Selma Lagerlöf verfilmen? Schon das erste Buch, eigentlich nur Vorgeschichte, umfasst drei Generationen und ein Vielfaches an Personen, so daß ein eigener Film dafür nötig wäre. Auch im zweiten und dritten Buch, das immerhin auf den selbstverliebten und selbstgerechten Karl Artur Ekenstedt, Abkömmling der Löwenskölds, konzentriert ist, sind so viele wichtige Nebenpersonen und -handlungen enthalten, daß es unmöglich scheint, alles in einem einzigen Kinowerk, dauerte es auch drei Stunden, unterzubringen. Sicher: weglassen, kürzen, straffen; anders geht es bei Literaturverfilmungen niemals. Aber wie erzählen?

Chronologisch verbietet sich, denn durch die lange, vielgestalte Vorgeschichte wäre das Publikum nicht auf den roten Faden der eigentlichen Erzählung eingestimmt; was als Spukgeschichte anhebt, ist in der Hauptsache das Portrait eines Narzissus (dazu dessen Gegenentwurfs, dazu einer verderbenbringenden grauen Maus, dazu einer einfachen, aber sehr vernünftigen Frau vom Lande, dazu eines reichen Mannes, der durch Entbehrungen gegangen ist und sich vor allen irdischen Gütern nach Liebe sehnt). Nein, zumindest die Episoden des Fluchs, der mit dem Siegelring des alten Löwensköld zusammenhängt, müßte in Rückblenden gezeigt werden. Auf diese Weise ließen sich vielleicht auch die für den Ton des Romans typischen inneren Monologe als Stimme aus dem Off (in gekürzter Fassung) verwenden.

Schön. Einer der Höhepunkte ist der erste, unversöhnliche Streit zwischen Karl Artur und seiner Verlobten Charlotte (sie ist der besagte Gegenentwurf), als Folge dessen er auf die Straße hinausstürzt und die erste beste Frau, die ihm begegnet, ehelichen will (er, der Hilfsgeistliche mit dem Ehrgeiz, Jesus nachfolgen zu wollen, nennt das: sein Schicksal in Gottes Hand legen); er tut es wirklich, und damit nimmt das Unheil seinen tragischen, aber auch vergnüglichen Lauf. Beispielsweise sitzt er am nächsten Morgen stolzgeschwellt am Frühstückstisch und bildet sich sontwas auf sein Gottvertrauen ein, Charlotte aber fragt ihn: "Du bist doch wohl nicht hingegangen und hast allerlei Torheiten angestellt?" Genau das hat er selbstverständlich getan, und genauso holen Frauen auch nach den höchsten geistigen Flügen der Manner diese auf den Boden der Tatsachen eines irdischen Lebens zurück.

Aber auch das muß noch Rückblende sein. Immerhin nimmt der Film Gestalt an; eine ältere, reifere, selbstbewußtere Charlotte unterhält sich mit ihrem Mann, oder ihrem Vetter aus der Stammlinie der Löwenskölds, über die Vergangenheit. Dramaturgisch muß dieses Gespräch am Kreuzweg von Vergangenheit und Gegenwart stehen; als ein Ruhepunkt, bevor die Gegenwart von der Vergangenheit eingeholt und in ein dramatisches Finale getrieben wird, in dem die Hauptpersonen Karl Artur, Charlotte, die graue Maus und der reiche (Ehe)Mann gleichermaßen vertreten sind. Hier müßte die Geschichte ein wenig umgeschrieben werden, um den Ehemann Charlottes, Schagerström, in die aktuelle Handlung einzubeziehen. Jenen Schagerström, der immer wieder glaubt, Charlotte sei nach wie vor in ihren Ex-Verlobten Karl Artur verliebt und auf immer drastischere Art nach Beweisen ihrer Liebe zu ihm selbst heischt. Und auf keinen Fall darf Karl Arturs tatsächliche Ehefrau, die einfache Frau vom Lande, beiseite stehen. Jene Anna Svärd, die sich die Pflegekinder wegnehmen läßt, von denen Karl Artur sich sehr gestört fühlt, denn wer ist sie schon im Vergleich zu ihrem gebildeten Ehemann, die es aber ohne die Kinder nicht aushält und genau erkennt, daß die erwähnte graue Maus Karl Artur von allem trennen will, das ihm am Herzen liegt, und, um ihn für sich zu haben, bei seiner Eigenliebe zu packen versteht.

Das müßte sorgfältig ausgearbeitet werden, um Tonfall und Inhalt des Romans auch dann treu zu bleiben, wenn der Film von der Vorlage abweicht. Das Ende könnte wieder eng am Roman bleiben; versöhnlich, aber mit einem Fragezeichen. Ist Karl Artur wirklich geläutert, ist er zu sich gekommen, und wird er seiner Frau endlich ein guter Mann sein, wird sie ihn nach Jahren der Demütigung und weiteren Jahren der Trennung noch lieben können. Am Ende also ein Monolog der Anna Svärd, worin Charlottes Worte reflektiert werden: "Was sie [Charlotte] noch weiter gesagt hatte, war, daß er {Karl Artur] jetzt gelernt habe, die Menschen zu lieben. Das sei sehr wichtig, denn gerade das habe ihm gefehlt. Er habe Christus geliebt und gezeigt, daß er alles auf der Welt opfern konne, um ihm nachzufolgen. Aber die rechte Menschenliebe habe er nie gekannt. Und wer ein Nachfolger Christi sein wolle, ohne die Menschen zu lieben, müsse durchaus nicht nur sich selbst, sondern auch andere ins Elend führen."

Ja, wer war sie, was wollte sie? Wußte sie denn, was sie wollte?
Sie hatte wahrhaftig etwas Herzklopfen. Es war ihr so seltsam zumute, Sie konnte nicht vergessen, daß er der Mann war, dem sie einstmals mit den Zugvögeln Grüße geschickt hatte
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