1968
aus aller Welt
ballaballa
Beobachtungen in der Natur
charmsing
deutsche kenneweiss
Dicki TV
Dickimerone
Dickis Reisen
die kleine Anekdote
dirty old town
Empfehlung
Erwins Welt
Eugen
in eigener Sache
Java
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren
icon

 
"Gib hier nicht den Karasek!" sagte ich neulich zu einem Kulturknilch, der in seine gespreizten Sätze literweise berühmte Namen einfließen ließ. Was diesen leider nicht zum Verstummen brachte, mir aber Befriedigung verschaffte. Seit Wochen schlage ich in Karaseks "Mein Kino - die 100 schönsten Filme" (von 1993) mal diese, mal jene Seite auf und bin erschüttert ob der vielen auf grandiosen Mißverständnissen beruhenden Lobhudeleien. Wobei nicht die Filmauswahl stört.

Bitte einhundert Filminteressierte, ihre hundert Lieblingsfilme aufzulisten, und du wirst mindestens zweitausend Filme genannt bekommen. Einigkeit wird bei einer Reihe berühmter Filme herrschen, z.B. "Casablanca" oder "Fahraddiebe" oder "Psycho". Das ist völlig richtig, denn daß solche Filme ein großes Publikum berührt haben und immer wieder berühren, kann auch vom hartgesottensten Kritiker nicht ignoriert werden. Abgesehen von den gängigen Publikums- und Kritikerlieblingen wird die Auswahl natürlich vom persönlichen Geschmack bestimmt und "de gustibus non est disputandum", selbst wenn es schlechter Geschmack sein sollte.

Anders steht es um die Gründe, die zur Auswahl dieses oder jenes Filmes führen, und K. hat seine Gründe, im jederzeit gegenwärtigen Bemühen, brilliant zu schreiben, genannt: die Gründe sind im Gegensatz zum Geschmack, durchaus diskussionswürdig. (Jetzt schreibe ich schon selbst gespreizt, es ist nicht zu fassen, aber kommen wir endlich zur Sache)

Die Sache ist die, daß K. mit Blick auf die Luftschachtszene Marilyn Monroes (er versteigt sich zu der Formulierung "ein lasziver Windstoß", hurregottnejah!) und den Kuß in der Meeresbrandung zwischen Burt Lancaster und Deborah Kerr behauptet "sie" hätten "einen Film-Augenblick lang den Schleier der biederen fünfziger Jahre vor der sexuellen Wahrheit gelüftet" (Besprechung von "Verdammt in alle Ewigkeit"). Noch ein Beispiel, diesmal aus "Der Leopard". Der Neffe des Fürsten erzählt der Tochter des neureichen Bürgermeisters bei Tisch eine schlüpfrige Geschichte, macht ihr dann "ein frivoles Kompliment. Und da bricht sie in ein unbändiges, sinnliches, lautes, nicht enden wollendes Lachen aus [...] Es ist der Ausbruch des ungefügen, wilden, unerzogenen Gefühls mitten in der erstarrten Etikette. Es ist der wahre Anbruch der neuen Zeit."

Dabei scheint K. nicht begreifen zu können, daß die "erstarrte Etikette" auch das aufgeklärte Arrangement mit menschlichen Schwächen bedeutet, die neue Zeit aber das "ungefüge, wilde, unerzoge" Ausleben menschlicher Egoismen. K. ist kein Revolutionär, in seiner Sicht auf die Welt aber nachhaltig von den Revoluzzern Neunzehnhundertachtundsechzigs geprägt. Die Wohlgestalt der Tochter-Darstellerin Claudia Cardinale ist unbestreitbar, ebenso ihr etwas vulgäres Gesicht - eine gute Wahl für diese Rolle in diesem Film, dessen Regisseur Luchino Visconti genau wußte, was er tat.

K. nutzt jede Gelegenheit, Verstöße gegen die Zensur (in Hollywood) zu feiern und mehr oder minder unterschwellige Sexualanspielungen lobend zu erwähnen, so daß der Eindruck entsteht, er tue das bei zwei Dritteln seiner "100 schönsten Filme", real wird es wohl kaum ein Drittel sein. Interessant finde ich, daß K., der Sexualitätsbefreier, Truffauts "Der Mann, der die Frauen liebte" nicht in seinen Kanon aufgenommen hat: dieser Film behandelt die männliche Sexualität freundlich-kritisch mit viel (Selbst)Ironie und ist darin wirklich frei - das war wohl des Guten zuviel.
 

twoday.net AGB

xml version of this page

powered by Antville powered by Helma