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die kleine Anekdote

Es war ein kalter, klarer Herbstmorgen gegen Ende Oktober und der Atem stieg wie Rauchfahnen von seinem Gesicht auf, als Bodo Graf von Zausel-Pietz, Abkömmling eines alten, aber längst verarmten Adelsgeschlechtes, die letzten Schritte zu seiner Haustür zurücklegte. Die Tritte schallten durch die menschenleere Straße und scheuchten eine buntgescheckte Katze auf, die eilig die Deckung parkender Automobile suchte, auf derem lackierten Blech die Morgenfeuchte kondensierte. Bodo schlug umständlich den verschlissenen Mantel auf und kramte mühselig, da er über Stunden billigem, aber wirkungsvollem Wein zugesprochen hatte, einen Schlüsselbund aus der rechten Hosentasche. In der Ferne brummerte ein Motorroller in den Arbeitsalltag. Die ersten Vögel gaben Laut.

Bodo grinste dümmlich, weil das Schlüsselloch Kapriolen schlug und bei jedem Versuch dem Schlüssel um Haaresbreite entkam. "So sind die Weiber", dachte er in einer plötzlichen Gedankenverbindung, die ebenso rasch erlosch, wie sie aufgeflammt war. In den ungepflegten, aber feingliedrigen Fingern seiner Hand, die edle Herkunft offenbarten, wirkte der Sicherheitsschlüssel wie ein Tapeziererquast zwischen Aquarellpinseln.

"Tu-scheh", murmelte er, als der Schlüssel endlich das Schloß traf; doch anstatt zu schließen mußte er zunächst einmal lachen. Er lehnte sich rücklings an die Schmalseite des Hauseingangs und sackte, leise vor sich hingackernd, in die Knie. Jetzt erst nahm er die Pfütze in der anderen Ecke des Eingangs wahr, von der sich ein Rinnsal quer über den Gehsteig bis in die Gosse erstreckte. "Da soll mich doch der Kuckuck holen", dachte er, "bin ich hier zuhause oder wer?" Er raffte sich auf, öffnete den Hosenstall und ließ unter dem behaglichen Stöhnen der Erleichterung seinen immer noch adligen Urin in den Winkel strömen. Das Schlüsselbund baumelte derweil herrenlos am Schloß.

"Ich störe ja nur ungern", sagte eine angerauhte Frauenstimme hinter ihm, "aber kannst du mir ein bißchen Geld geben, für Frühstück?" Hastig richtete Bodo seine Kleider her bevor er sich umwandte. Er dachte, ihn träfe der Schlag. "Ich dachte, mich trifft der Schlag", berichtete er am Abend seinen Zechgenossen, denen das relativ egal war, solange "der Herr Graf" die Runden bezahlte. Der Engel seiner Träume stand vor ihm. Nun, vielleicht nicht ganz genau der Engel seiner Träume, denn da hingen diese beiden Plastiktüten in der Hand, durchzogen graue Strähnen das etwas unordentliche dunkle Haar, wies das hagere Gesicht zu viele und zu tiefe Falten auf, umgab ihre ganze Erscheinung ein Hauch von Schäbigkeit; aber die Augen. "Aber die Augen", seufzte er abends im Kreis der Seinen, alles alter Trinkeradel durch und durch, "die Augen." - "Prost!"

Er bat sie zu einem Frühstück in seine enge Wohnung, was sie dankend annahm, nicht ohne ihm einen leichten Kuß auf die Wange zu drücken und mit den Worten: "Du bist süß." Während er die zwei Treppen hinauf in süßen Träumereien schwelgte, schob sie ihn an, damit er es überhaupt bis zu seiner Wohnung schaffte. Überraschend konnte er die Tür im ersten Anlauf öffnen, zeigte ihr noch die Küche und sackte erschöpft in seinen Lieblingssessel, ein Erbstück, dessen verblichener Glanz Stolz und Mitte seines Heims bedeutete und in dessen friedlicher Umarmung ihm sogleich die Augen zufielen.

Als er nach einer Weile erinnerungslos erwachte, begab er sich ins Bett, und erst am Nachmittag, ausgeschlafen und geduscht, erschien ihr Bild vor seinem Auge und mit ihm die Frage, was eigentlich aus ihr geworden war. Schon der erste, flüchtige Blick in die Küche verriet ihm, daß sie seine Vorräte angezapft hatte. Nach eingehender Kontrolle erwies sich dann, daß sie außer Lebensmitteln, einem Dosenöffner, drei Geschirrtüchern und verschiedenen Besteckteilen auch den Rest seines Haushaltsgeldes für nützlich befunden und eingesteckt haben mußte.

"Ach! Äh -wie heißt du überhaupt", dachte er, "ach, hättest du mich doch gefragt, mit Freuden würde ich dir alles gegeben haben. Aber eigentlich ist es meine Schuld: wäre ich nicht eingeschlafen, hättest du nicht zur Diebin werden müssen." Dann entdeckte er den Zettel auf dem Wohnzimmertisch, auf dem in ungelenker Schrift, aber mit Herzchen verziert, geschrieben stand: "Du bist süß." Mochte er eben noch gezürnt haben - aber er hatte gar nicht gezürnt -,so sank er nun entwaffnet in den Erbsessel. Ach, der Engel seiner Träume. Vielleicht nicht ganz genau der Engel seiner Träume. "Aber ihre Augen!" - Prost."

Karl Otto von Pimmel war ein aufrechter Mann ganz in der Tradition des Geschlechts derer von Pimmel. Er krümmte sich nicht, ließ sich nicht verbiegen und stolzierte kerzengerade durch die Straßen. "Als habe er einen Besenstiel verschluckt," ratschte man hinter seinem Rücken. "Da kommt der Pimmel!" johlten die Straßenkinder, sobald sie seiner angesichtig wurden, und besorgte Eltern zerrten die Kleinen sofort ins Haus.

Es ist wahr, sein Ruf war nicht der beste, trotz seines geraden Charakters, und nur im Kreis seiner Kumpane fand er Anerkennung. Dies waren der Ritter zu Arsch, ein Pastor Punzenleck und Admiral a.D. "Flotten"-Dreyer. Wenn sie gleich den vier Reitern der Apokalypse die Schankwirtschaft "Zur dicken Berta" stürmten, fielen den übrigen Gästen immer dringende und unaufschiebbare Geschäfte ein, derentwegen sie sofort gehen mußten. Die dralle Wirtin aber schenkte sogleich eine Runde "Hosenbrummer" aus, um die vier Meisterzecher in Laune zu bringen. Die setzten sich dann an den besten Tisch und droschen Skat. Rufe wie "Ei der Daus!" oder "Da klingelt's im Sack!" oder "Gespalten ist der Arsch!" drangen oft aus ihrer Runde. Am Ende solchen Abends pflegte die dralle Wirtin Reitstunden zu geben, die sich gut bezahlen ließ.

Mit einiger Berechtigung konnte man das Leben dieses Quartetts älterer Herren beschaulich, wenn nicht gar heiter nennen. Eines Abends betrat die auch nicht mehr ganz junge Frau Manteuffel, als Zugezogene vom Getuschel in der Nachbarschaft neugierig gemacht, die Wirtsstube. Mit den Worten "Hosen runter, Beine breit, im Mohrenarsch ist's duster!" knallte soeben Pastor Punzenleck seine Trümpfe Karte für Karte in die Mitte. Frau Manteuffel trat an den Tisch und fragte: "Was treiben denn die Herren da?". Mit Genugtuung nahm sie das Erröten aller Vier wahr.

"Skat, gnädige Frau, wir spielen Skat," murmelte "Flotten"-Dreyer. - "Oh!" tat Frau Manteuffel überrascht, "Skat. Sie führen dabei allerdings lustige Reden im Munde, die auf ganz anderes hindeuten." - "Bitte um Entschuldigung," sagte zackig von Pimmel, der ihr sein blaurotes, trunkglänzendes Gesicht zuwandte, "hätten wir rechtzeitig bemerkt, daß eine Dame anwesend ist ..." Er deutete eine Verbeugung an.

Ritter zu Arsch, der über die Dame wußte, daß sie bereits fünf Ehemänner beerdigt hatte, versuchte, von Pimmel unterm Tisch warnend zu treten, traf aber des Pastor Punzenleck Schienbein, worauf dieser quiekend niederfuhr und mit dem Kinn heftig die Tischplatte rammte, so daß sämtliche Gläser klirrend umstürzten. Frau Manteuffel ergriff die Gelegenheit beim Schopfe. "Warum kommen Sie nicht auf einen Sherry zu mir?" fragte sie von Pimmel. "Wir machen es uns gemütlich und werden nicht" - ihren Augen umfassten kreisend den Raum - "vom Wesentlichen abgelenkt."

Voller Tatendrang verließ von Pimmel an ihrer Seite das Durcheinander. Frau Manteuffel war's zufrieden und ergänzte anderntags die Liste ihrer Liebhaber um den kurzen Eintrag: "K.O. von Pimmel".

 

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