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ballaballa

Vorgestern waren wir Papst, gestern waren wir Charlie, irgendwie sind wir immer noch Merkel irgendwo, und jetzt sollen wir Orlando sein? Also ich bin immer noch Dicki, und nach dem planlos wirkenden ersten Spiel Belgiens bei der Europameisterschaft 2016, das ambitioniert wirkte, aber auch seelenlos, bin ich der Meinung, wir sollten einfach mal für fünf glorreiche Minuten Italien sein: schnelles, direktes Spiel, wenn sich die Möglichkeit bot, Ball halten, wenn es keine Anspielmöglichkeit nach vorne gab, jederzeit Anspannung und Leidenschaft - Fußball muß gelebt werden, dann haben auch die Zuschauer etwas davon. Ah, bella Italia! - Und im Endspiel wird die deutsche Mannschaft Europameister, weil sie einfach noch ein bißchen mehr drauf hat. Aber wir werden sehen.

Italien schießt Belgien 2:0 ab, das hätte heute für meinen persönlichen Autokorso genügt, nur bin ich leider kein Automobilist, da muß ein Jubelschrei beim Siegtor Italiens genügen. Paßt gut zu meinem gestrigen Einfall einer Antifa-Hymne, die rhythmisch von einem "Du-ce Du-ce Du-ce"-Chor getragen wird. Wie auch immer, wenn wir überhaupt irgendetwas sind, dann deutsch. Wenn nicht, dann einfach gar nichts. Nur Nullen, die auf eine führende Eins warten, damit sie etwas wert zu sein scheinen. Insofern könnten meinetwegen auch die Färöer-Inseln die Europameisterschaft gewinnen. Oder die Lofoten. Die Hebriden. Die Leoniden. Ist doch wurscht. Hauptsache Authenzität.

Das war's, der letzte Ball ist getreten, der letzte Pfiff getan, den Letzten beißen die Hunde, und die Zeit ist gekommen, einen mentalmäßig vollknackigen Blick in den Rückspiegel zu werfen auf die vergangene Bundesliga-Saison. Was natürlich nicht geht, ohne an die kürzlich verstorbene englische Trainerlegende Sir John Bubble zu erinnern, der bekanntlich als Niemand nach Deutschland kam und zwei turbulente Jahre später als Star nach England zurückkehrte, die Weisheit "elven Froinde musst ihr szain" im Gepäck. Damals wurden Mannschaften noch nicht aus allen fünf Kontinenten zusammengekauft, und damals gab es auch noch das Fußballpornomagazin "Der große Bums", das einen Artikel seiner Serie "Moderne Deckungsarbeit" dem beliebten Bubble widmete, Überschrift: "Der englische Herr und seine Eleven".

Doch nun zum Rückblick. Im Verlauf der Spielzeit haben die Experten wie wild expertet, sich alle Nase lang blamiert, und wie so oft das bessere Ende für sich gehabt: die Verlängerung ihrer Verträge nämlich. Als Werder Bremen nach neun Spieltagen ganze vier Pluspunkte hatte, der SC Paderborn einen Spitzenplatz belegte und Borussia Dortmund dem Tabellenende entgegenstürzte, da hatten sie es alle gewußt. Hatten gewußt, was in Bremen alles falsch gemacht worden war, und darüber verbreiteten sie sich ausgiebig. Augsburg, Mönchengladbach, Mainz, Köln, Hertha, Hannover hatten demnach rechtzeitig die Weichen gestellt, gezielt aufgebaut und fuhren nun den verdienten Lohn ein.

Dann gewann Werder fünfmal in Folge und entkam den Abstiegsplätzen. Jetzt sind Mönchengladbach und Augsburg tatsächlich Spitzenmannschaften, die anderen sind teils nur mit Mühe dem Abstieg entgangen bzw. sind so grau als wie zuvor. Denn der Ball ist rund, das Spiel dauert neunzig Minuten und die Saison hat 34 Spieltage, da hilft alles Expertentum nichts. Der Hamburger SV hat den Klassenerhalt nicht verdient, aber aus hanseatischer Solidarität drücke ich ihm für die Relegationsspiele dennoch die Daumen. Außerdem gibt es noch das Pokalfinale, und dann, endlich, das Zauberwort: Som-mer-pau-se!

Es ist der schiere Wahnsinn, was du heute alles an Statistik über Fußballspiele und Fußballspieler abrufen kannst; ich vermute, da stellt die NSA ihre Datenbanken für die Berichterstattung zur Verfügung. Laufleistung, Ballbesitz, Anzahl der Pässe, Paß- und Zweikampfquoten - anscheinend sind die Spieler direkt mit dem GPS verkabelt vernetzt. Und dennoch: 70 Prozent angekommener Pässe, 75 Prozent gewonnener Zweikämpfe, 80 Prozent Ballbesitz besagen gar nichts, denn "Der Ball ist rund", "Das Spiel dauert neunzig Minuten" und "Elfmeter ist, wenn der Schiedsrichter pfeift", kurz, entscheidend sind immer noch die erzielten Tore. Deshalb gewinnt Werder Bremen derzeit ein Spiel nach dem anderen, obwohl sie im Kampf um die schlechteste Abwehr immer noch die Nummer eins sind, auch wenn Eintracht Frankfurt zum Überholen ansetzt und Hertha BSC ihnen auf den Fersen bleibt. Die nächsten Gegner Werders sind Augsburg, Schalke, Wolfsburg und kurz darauf Bayern München, bevor an den Spieltagen 33 und 34 Mönchengladbach und Dortmund warten, allesamt Balbesitz- und Paßquotenteams, die ihre Spiele meistens gewinnen (naja, Dortmund in dieser Saison seltener). Dazwischen kommen Gurkentruppen, wie Werder selbst seit 2010/2011 eine ist - oder war? Der erfolgreiche Trainer Thomas Schaaf war im früheren Leben Abwehrspieler und impfte seiner Mannschaft Torgefahr mit viel Ballbesitz ein. Denselben Weg geht nun der erfolgversprechende Trainer Viktor Skripnik (ebenfalls ein Abwehrspieler), und wir dürfen gespannt sein, was die verjüngte, umgekrempelte und derzeit euphorische Mannschaft noch erreichen wird. Wenn der Erfolg ausbleibt, werden wir hoffentlich wenigstens wieder sagen können: "Niemand verliert so schön wie Werder Bremen". Denn auf Tiki-Taka kann man verzichten, wenn die Spieler Lust aufs Fußballspielen haben.

... jetzt Grünwald für Königsblau auf Roth, der für Null Vier in den Sechzehner der Null Fünfer legt, Viertel wehrt ab auf Neuner, den zweiten Mann auf der Doppelsechs, die Zwanzig auf dem rot-weißen Jersey, der dribbelt einmal, dribbelt zweimal, und wird brutal abgeräumt, das ist Gelb! ...

Im Fußball geht es gerecht zu, wenn man mal davon absieht, daß du erst kein Glück haben kannst, und dann kommt auch noch Pech dazu. Die Niederlande haben aber durchaus noch eine Chance, wenn sie selbst gegen Portugal gewinnt und Deutschland gegen Dänemark. Dann hätten sie aber Riesenschwein. Und "unsere" Spieler, wie heißen sie, außer Schweinsteiger? Zum Beispiel Neuer, Lahm und Müller, aber auch Özil, Boateng und Gomez. Das ist heutzutage so. Ein Name macht mir richtig Freude: Mats Hummels. Das ist ein echter Gute-Laune-Name.

Der Rest ist Hupen. Deshalb rangieren Fußballturniere, aber auch Hochzeiten in der Beliebtheitsskala ganz oben. Das haben wir schon in der ersten Klasse gelernt: "Tut, da fährt ein Auto". Es hupt und hupt und hupt.

Vorösterliche Freude verbreitet der SV Werder Bremen. Das hat der Verein aber nur zum Teil selbst zu verantworten (Sieg gegen Hannover 96, Sieg im ersten Viertelfinalspiel des UEFA-Cup gegen Udinese Calcio), einen großen Anteil hat auch die hiesige Zeitung: am Montag prangte oben auf der Titelseite ein Bild des jubelnden Claudio Pizarro. Der Leitartikel darunter hatte die fette Schlagzeile: Piraten schlagen wieder zu. Weiter so!

Carmen war ja bald die Einzige im Büro, die sich die Spiele der Fußball-EM (European Soccer Contest?) angesehen hat; nur mit den Praktikanten konnte sie ein wenig fachsimpeln. Am Morgen nach dem Halbfinalsieg ihres Teams kam sie juchzend mit einer Spanienfahne zur Türe hereingestürzt. Die war voll drauf.

Gleich nach dem Finale hatte sie Urlaub, so daß ich mit Verspätung und nur per E-Mail gratulierte. Für Gestern hatten wir sie zurückerwartet, aber es erschien keine Carmen. Nanu? Heute rief sie mich an: nach dem Schlußpfiff sei sie jubelnd herumgesprungen und habe sich - das stehe nicht fest - entweder eine Zerrung oder einen Bänderriß zugezogen; gleichviel, sie habe das Bein geschient bekommen und laufe nun an Krücken herum.

"Du hast aber auch ein Pech!" sagte ich und dachte: wie isses nun bloß möglich. Nach der Fußball-WM 1966 erzählte meine Schwester, der Vater einer Mitschülerin habe während des Finales England gegen Deutschland vor Aufregung einen Herzanfall erlitten und sei stickum verröchelt. Auch wenn das nicht genau ihre Worte waren, mußte ich doch schrecklich lachen ("Das ist nicht lustig!"), denn es ist doch absurd, sich wegen eines Spieles derart zu echauffieren.

Spanien 1, Deutschland 0, Carmen -1. - Das war es nun endgültig mit der Berichterstattung von der EM 2008, freuen wir uns auf eine tönende und hoffentlich verletzungsfreie WM 2010.

Erstmal muß ich hier Abbitte leisten: als ich neulich frohlockte, die Huprate werde auf zwei pro Woche sinken, befand ich mich im Irrtum, hatte irgendwie nicht an die Viertelfinals gedacht. Aber schlußendlich war es doch kein Irrtum. Erst Deutschland - doink doink - , dann Türkei - toink toink -, dann ... Schweigen. Die Spanier hauen die Squadra Azurra weg und - gar nichts? Lagen die hiesigen Fans bereits im Bett (Sonntagabend), hatten sie ihre Mannschaft aufgegeben? Kaum zu glauben, zumal der Volksmund weiß: die Sonne scheint bei Tag und Nacht, eviva Espana!

Wie dem auch sei, am Abend zuvor die Russen. Genau, das Mucksmäuschen blieb still. Soll das jetzt so weitergehen; Halbfinale, Finale, Europameisterschaft und kein Hupen? Was muß eigentlich passieren, damit etwas passiert? Die UEFA solte wirklich Russland sperren, wegen unwürdigen Verhaltens der Fans im Ausland. Oder haben die gar keine Fans? Wenn ich es recht bedenke: jahrzehntelang nur Schach, Eishockey und Atomrüstung; das hinterläßt natürlich Spuren.

Bevor es zum Schlimmsten kommen kann, tritt Spanien gegen Russland an und hat noch eine Rechnung offen wegen unterlassener Hilfeleistung im spanischen Bürgerkrieg. Die vierzig Jahre Franco-Diktatur stecken denen noch in den Knochen, und sie werden die Knochen der Russen knirschen lassen, bis es kracht. Oder doch nicht? Carmen sagt, die hätten keine cojones, die Türken dagegen schon.

Meinetwegen die Türken, denn mir geht das Deutschlandgetue dermaßen auf den Keks! 1974 - WM in Deutschland - gab es nicht diese Siegesparaden und das ewige Deutschlandgeschrei; gefreut haben wir uns aber wie die Weltmeister. Tat mir leid für die Niederlande, die spielten den modernsten, offensivsten Fußball. So wie jetzt, aber die Russen haben das niederländische System erfolgreicher gespielt. Also wird Russland auch Spanien besiegen, und dann - ja, was dann? - Russisch-orthodoxe Stille?

Vor ein paar Minuten kam ein junger Fußballfan durch unsere Straße und sang "Das Lied der Deutschen" auf eine ganz neue, moderne und verblüffende Melodie, während im Hintergrund die Autohupen für einen erfrischend spontanen Klangteppich sorgten. Ich habe diesem Nachwuchstalent sofort einen Plattenvertrag angeboten. - Nun werde ich Helmut Kohl bitten, seine sehr persönliche Interpretation der Nationalhymne von 1990 sampeln zu dürfen. Die deutsche Hymne, arrangiert für Gesang, Altkanzler und Hupkonzert - Kinder, ich werde reich!

einmal jubelmäßig, ist festzustellen ("Fest zu stellen" heißt das inzwischen wohl), daß die Sieger allesamt auf europäischem Standard sind, auch die Portugiesen, deren Autokorso vor zwei Jahren noch aus einer unverzagten Radfahrerin bestand, aber die haben jetzt aufgerüstet und da geht die Post ab, wie überall. Außer bei den Russen. Was ist los? Russland besiegt Griechenland, und nur eine einzelne Hupe blökt von ferne und könnte Zufall sein. Die Russlanddeutschen trauen sich natürlich nicht, sonst würde ihnen auch noch Hartz IV entzogen (fürchten sie), und was ist mit den echten Russen? Ich kenne einen Herrn Pushkin, aber der will mit Fußball nix am Hut haben; er sei ein Großenkel siebten Grades des berühmten Schriftstellers - Moment mal, ich kenn mich mit Verwandtschaftsverhältnissen nicht so aus, schwindelt der mich etwa an? Seine Mutter schwärmt für Fußball und hat sich Sanktion Petrograd gegen Reihern München angeguckt, na, soll sie doch. Hier ist Bremen, und es ist extrem uncool, Spiele der Münchner auch nur zu erwähnen (es sei denn Niederlagen).

Während ich dies schreibe hupt sich die deutsche Nation in den Schlaf; nach einem glorreichen 1:0 gegen Österreich, ein Supererfolg, echt. - Überzeugt haben bisher nur die Niederlande und Portugal, hoffen kann man noch auf Spanien und Schweden, erfreulich finde ich die Türken, die sich ihr Glück erkämpfen. Kroatien erwähne ich nicht, weil ich die nicht abkann. Wegen der EM 1996 in England, wo sie die Unfairnesstrophäe verdient gehabt hätten. Damals hatte ich noch ein Fernseh und freute mich wirklich, wie die deutsche Elf (Marko Bode und Dieter Eilts dabei) den Kroaten ein Bein stellte. Das waren aber auch Arschlöcher, denen hätte man direkt in ihre aufgeblähten Eier treten sollen. Obwohl das politisch nicht korrekt ist. Und gerade deshalb.

Die Österreicher, um zum Thema zurückzukommen, haben jedenfalls nichts zu hupen. Da übermorgen die Gruppenspiele durch sein werden, wird die Hupfrequenz auf zwei pro Woche reduziert, was ich aus ganzem Herzen begrüße. Jubelmäßig ist Deutschland doch bloß ein Möchtegernland, erst recht; wenn spätestens im Halbfinale Schluß mit lustig ist. - Ich sach ma: Niederlande. Ist ja auch meine Muddis Land. Wenn sie Internet hätte, würde ich sie jetzt und an dieser Stelle grüßen. Tu-u! Doe-ie!

 

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