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Die Tragweite dessen, was man zu einer gegebenen Zeit verloren hat, wird einem oft erst im Rückblick bewußt; in den Zeitläuften geschieht der Verlust nur allmählich und schrittweise, aber unwiderruflich. Es ist das große Verdienst des Films Goodbye Lenin, uns den Verlust eines Traums bewußt zu machen, indem er im Film in origineller und anrührender Weise noch einmal geträumt wird - der Traum von einer besseren, menschlicheren Gesellschaft. Es ist nicht der Verlust der DDR, der schmerzt, sondern die BRDigung aller Hoffnungen der Wendezeit, als der Staat DDR endlich (und notgedrungen) nach seiner Berechtigung, seiner versprochenen und nie erfüllten Gerechtigkeit, den tatsächlichen Bedürfnissen seiner Bürger zu fragen begann.

Überhaupt nicht zufällig erleidet die Mutter des Filmhelden am Abend des 40. Jahrestages der DDR einen Herzinfarkt, der sie in ein Monate andauerndes Koma versetzt. Und ebensowenig zufällig erwacht sie aus dem Koma im Frühsommer 1990, als ihr Sohn sich zum ersten Mal mit der Liebe seines jungen Lebens küßt. Sie weiß natürlich nichts von der Wende, und um jede - weil lebensbedrohliche - Aufregung von ihr fernzuhalten, nimmt der Sohn sie aus dem Krankenhaus mit in ihre Wohnung und spielt vor der Schwerkranken die Komödie einer unverändert fortbestehenden DDR. Dazu muß er nicht nur ihr Schlafzimmer in den vorherigen Zustand zurückversetzen, sondern unter anderem auch durch gefälschte Fernsehsendungen die Legende eines sich verändernden Staates - angepa0t an die tatsächlichen Umbrüche, aber ganz neu interpretiert - erfinden. Und so wandelt sich der viel versprechende, aber wenig haltende Staat in eine offene, menschliche Gesellschaft, dem die Bundesbürger, enttäuscht vom Kapitalismus, zuströmen. Der Traum gipfelt in der Ablösung Erich Honeckers durch den ersten deutschen Kosmonauten Siegmund Jähn, der am Vorabend der wirklichen deutschen Einheit als erfundener neuer Staatsratsvorsitzender eine neue Zeit verkündet, in der nun tatsächlich die Menschen im Mittelpunkt staatlichen Strebens stehen sollen. Die Mutter, nach einem neuerlichen Infarkt, überlebt die Wiedervereinigung, von der sie nichts weiß - oder inzwischen doch? - keineswegs zufällig nur um wenige Tage.

Mit ihr stirbt auch der Traum: mit Witz und Ironie hatte sie - eine verhinderte Republikflüchtige, wie sich herausstellt - den Mißmut ihrer Nachbarn in Eingaben an den Staat transformiert, also praktischen, konstruktiven Widerstand geleistet. - Bei den ersten freien Wahlen errang das Bünbnis '90, dem viele der Organisatoren des Aufbegehrens im Jahre 1989 angehörten, nicht einmal 3 Prozent der Stimmen. Die real zwangssozialistischen Bürger hatten in ihrer Verwirrung auf den Einen gewartet, der ihnen versprach, daß es keinem schlechter gehen werde und blühende Landschaften entstehen würden. Die Verwandlung der DDR zum Besseren durch ihre Bürger für ihre Bürger war kein Thema nehr. Aus der Traum.

Soweit die rationale Würdigung eines wunderbaren und glücklicherweise sehr unterhaltsamen Films. Bleibt noch zu sagen, daß mir auch beim zweiten Sehen Tränen stiller Trauer die Wangen hinabkullerten, durchaus nicht irrational. Und ich wüßte auch keinen Grund, mich dessen zu schämen.
 

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