Zeitreihenanalyse klingt gewaltig, ist aber viel heiße Luft. Auf das Wesentliche eingedampft erhält man 18 Seiten, auf denen immer noch viel freier Platz für Anmerkungen bleibt. Ungeachtet dessen gibt es dicke Bücher zum Thema, deren entscheidende Kapitel mit den Worten beginnen: "Gegeben sei ein Vektor V" usw. nach dem Motto: Term X befriedigt die Gleichung M(t) = a + ß * t durch ein gleitendes Mittel der dritten Potenz. So reden die Mathematiker, wenn sie unter sich sind. Ihnen fehlt aber jede Vorstellung, daß es auch Nichtmathematiker gibt bzw. daß diese die exakte Sprache Mathematik nicht ohne weiteres verstehen können (weshalb es auch Seminare gibt, die "Zeitreihenanalyse neu entdecken" heißen, geben müßte es unbedingt "seriöse Zeitreihenanalyse", oder ganz klassisch "Zeitreihenanlyse in 21 Tagen"), und deshalb reden sie immer so, als seien sie unter sich; egal, ob beim Mittagessen in Mensa/Kantine (gegeben sei ein Teigboden T mit Radius r = 13,5 cm. Bringen Sie in den vier Quadranten je eine Jahreszeit unter), ob daheim (gegeben sei eine Durchschnittsfamilie der Aufsteigerklasse mit 1,17 Kindern, 2,3 Autos und 0,4 Hunden in 1.0 Eigenheimen. Ordnen Sie diese gemäß der Gauss'schen Verteilungskurve den verschiedenen Räumen zu), oder in Publikationen (Für einen stochastischen Prozess X der Form Xt = a0 + gXt-1 + et mit einem weißen Rauschen e soll die Nullhypothese H0: g = 1 (Random-Walk mit Drift) gegen die Alternative H1: g < 1 (AR(1)-Prozess) getestet werden. [Das ist der Dickey-Fuller-Test. Nichtmal "Dicki" können sie allgemeinverständlich schreiben]. Ihnen ist nicht bewußt, daß sie mit solchermaßen reiner Lehre und Theorie (also frei von durch Laien verursachte Verunreinigungen und frei von Erklärungszwängen gegenüber einem interessierten Publikum) die Wissenschaft vom Leben und der Welt abkoppeln und dadurch zum Tode verurteilen. Eine Wissenschaft, die nur noch sich selbst verantwortlich ist, trägt nichts mehr bei zur Erkenntnis, sie wird sich im Gegenteil in ein Mittel zur Zerstörung verwandeln. Exakt wie eh und je: Gegeben sei ein Zielobjekt Z mit den Eigenschaften N = 2.35., W = 0.7, A = 33.2, M = 5.4. Finden Sie den optimalen Aufprallpunkt Ap unter Berücksichtung der Beiwerte cw und ct. Was mag Z sein, eine Stadt vielleicht? Diese Frage bleibt ungefragt: es ist ein Problem, das rein mathematisch gelöst wird - jedenfalls soweit es den Mathematiker und einige seiner Zeitgenossen betrifft.
Dicki - am Di, 26. Januar 2010, 14:04 - Rubrik: zickezacke
steppenhund meinte am 26. Jan, 21:23:
Man kann diese Aussagen auch im Volltext nicht-mathematisch formulieren. Aber was ist die Konsequenz?Der Text wird vier mal so lang und selbst dieser Text, den ich selber mit großem Genuss gelesen habe, wird als zu lang empfunden.
Natürlich kann man auch formulieren, dass durchschnittlich von fünf Familien zwei einen Hund haben. (Das ist selbstverständlich nicht korrekt, weil es ja auch Familien mit mehr als einem Hund gibt.)
Aber es ist vollkommen egal. Auch dann werden die Leute die eigentliche Aussage nicht erkennen können.
Mathematik galt immer als Hilfswissenschaft. Aber das ist mittlerweile belanglos, weil niemand mehr mit den Konsequenzen zu tun haben will.
Aber trotzdem: gut gebrüllt, Löwe!