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Erwins Welt

Malaysia (die eigentlich Karin heißt) fragte mich am Telefon, ob ich Lust zu ein paar Runenübungen hätte, und ich antwortete, ich wisse kaum etwas darüber; das seien doch diese Schriftzeichen bei den alten Germanen, die hätten sie in die Luft geworfen, um aus dem Ergebnis am Boden eine Art Orakel zu lesen. Ich solle sie besuchen, drängte sie, sie wolle mir ein wenig mehr darüber mitteilen.

So saßen wir dann auf ihrem von Bäumen beschatteten Hinterhof, tranken aus energetisiertem Wasser und Kräutern zubereiteten Tee und redeten über Runen; d.h. sie redete, ich staunte. Das sei ein uraltes Wissen, das diese Runen verkörperten, teilte sie mir mit, ja, die Runen seien vor allem Wissen dagewesen, ein Urwissen der Welt. - Aha.

"Schließ mal die Augen und stell dir die Sonne vor. - Hast du's?" - Ich bejahte und öffnete die Augen wieder. - "Bei dieser Sekunde Vorstellung hast du ungefähr 40 Joule Energie verbraucht. Der Hebelarm deiner Imagination setzt ungefähr einen Meter vor der Sonne an und - äh, ich hab jetzt die genauen Zahlen nicht, aber - du hast also 40 Joule mit Millarden Kilometern Hebelarm in einer Sekunde bewegt, das macht einige Millionen Tonnenmeter pro Sekunde Arbeit, die du gerade geleistet hast. So mächtig sind Gedanken!"

Ich hatte gerade Leere im Kopf. - "Und die Runen sind noch mächtiger. Komm, wir machen mal ein paar Übungen, damit du die Energie spürst." Wir stellten uns auf das kleine Rasenstück - ganz locker! mahnte sie - und probierten als erstes 'Ehwez'. Sie leitete mich an. Die Beine leicht gespreizt, die Arme etwas vom Körper abstehend nach unten gerichtet, das Gesicht der Sonne zugewandt und dazu der Name der Rune gesprochen.

"Spürst du die Energie?" - Ich verneinte ehrlich. - Du mußt locker sein," betonte sie. "Gleich nochmal." - Die Energie blieb bei mir aus. Ich spürte nur, was ich sowohl zuvor als auch danach fühlte und wahrnahm. Die Energie des Sonnenlichtes, den Duft der verschiedenen Blumen, das Schwirren und Summen von Insekten, den Geruch von Gras, Bäumen und dem Moos in den Ritzen der Steinplatten, den Gesang der Vögel: "Amsel, Drossel, Fink und Star" klang es in mir. Ich kenne diesen Zustand; bekifft von einer guten Witterung.

"Du mußt dich öffnen," drängte Malaysia. "Ehwez steht übrigens für gemeinsame Anstrengung, verschiedene beteiligte Kräfte mit einem Ziel, Vertrauen und Partnerschaft. Na gut, vielleicht noch eine andere. Wir probieren 'Gebo', ja? Gebo steht für Geschenk, Teamwork, freigesetzte Kräfte und Anziehungskraft. Die Stellung ist fast wie Ehwez, nur daß du die Arme nach oben nimmst, so." Sie machte es vor, schloß die Augen und murmelte "Geee-boo".

Hatte eine leichte Brise die Blätter der Bäume ein wenig gehoben oder hatte die Erddrehung der Sonne ermöglicht, durch eine Lücke im Geäst zu lugen? Malaysia stand plötzlich in einem Sonnenstrahl und wirkte fremd und beinahe transparent, schien sogar zu schweben. Dann stand sie wieder im Schatten, das knappe Shirt über den Bauchnabel nach oben gerutscht, und mein Blick folgte dem unwiderstehlichen Schwung ihrer Hüften hinauf zu ihrem strahlend schönen Gesicht. - Waren das nicht genau die Worte, die der ungläubige Thomas in seiner Schwärmerei geäußert hatte? Ach ja, Gebo: Anziehungskraft. Und Ehwez: Partnerschaft. Alter Trottel.

"Oah," sagte Malaysia beeindruckt, "hast du gerade auch die Energie gespürt?" - "Ja," log ich vergnügt.

"Heute ist so schönes Wetter, was sitzen wir hier drinnen?!" maulte der ungläubige Thomas. Schlapp und schwitzend auf unseren Plätzen hängend, gaben wir ihm recht. Erwin, Doris' Pitbull, hechelte sich in der Hitze dumm und dämlich. Vielleicht hyperventilierte er bereits.

Also nichts wie raus. Statt dem vorgesehenen Thema 'Lichtarbeit' einfach in der Sonne sitzen. Das 'wo' und 'wie' war noch zu klären. - "Lasst uns doch nacktbaden gehn," schlug Malaysia keck vor. - "Das ist mir zu intim," protestierte ich sofort, und das ist es wirklich. Beispielsweise meide ich Pinkelrinnen und Pissoirs; wird man nicht in ein idiotisches Gespräch verwickelt, starrt einem der Nebenmann auf den Schniedel, oder beides. Und ich kann dieses scheinunschuldige Nacktgetue nicht ab. Soll Malaysia sich was Besseres einfallen lassen, um endlich mit dem ungläubigen Thomas handgemein werden zu können.

Erwin, der gewissermaßen immer nackt herumläuft, war es egal, aber Doris unterstützte mich gegen Malaysias Tirade über "die Verklemmtheit der Männer", während Thomas sich feige (oder weise?) näherer Äußerungen enthielt. - "Weshalb gehen wir nicht in den Bürgerpack und picknicken dort?" schlug ich vor. - "Au ja!" Doris begeisterte sich. "Aber besser noch in den Stadtwald, zu dieser kleinen Anhöhe am See." Damit waren Alle einverstanden. Wir packten energetisiertes Wasser und Tofupäckchen ein und quetschten uns in Doris' 'Smart'. "Platz ist in der kleinsten Hütte", wie der Dichter sagt, und Erwin klebte sozusagen unter der Decke.

Wir lagerten uns in den Halbschatten, mit Blick auf den kleinen See, den Judentempel hinter uns auf dem Hügel. Als wir bequem im Gras saßen, seufte Doris: "Fehlt nur noch ein Lagerfeuer." Und schon kramten wir Erinnerungen an Ausflüge, Camping und Zeltlager hervor. Als das Gespräch einige Zeit bei Spezialunterwäsche für kalte Camping-Nächte verweilte, nahm ich Erwin zu einem kleinen Spaziergang mit. Vom Unisee klang Badelärm herüber, Erwin schnüffelte in Karnickellöchern und ich sog die würzige Waldluft ein. Wir umrundeten den See und erreichten das Lager gerade, als der ungläubige Thomas eine Schauergeschichte zu erzählen begann.

Als Junge war er mit anderen Kindern in einem Zeltlager in der holsteinischen Schweiz. Die Busfahrt dorthin dauerte lang, und so sprang er bei der Ankunft gleich in den Wald, um sich zu erleichtern. Während der Strahl in Gräser und Farne rauschte, schaute er geistesabwesend in die Bäume. Ein Pieken lenkte seinen Blick auf den Pillermann: dort saß eine große Mücke und nahm sich ihr Teil. Er verscheuchte sie, pinkelte zuende und gesellte sich zurück zur Gruppe, die sich zum eigentlichen Zeltlager aufmachte. Sie bezogen ihre Mannschaftszelte, sahen sich um, aßen im Speisezelt zu Abend, und die ganze Zeit rumorte es in Thomas' Hose.

Als er später auf dem Plumpsklo die Hosen herunterließ, sah er die Bescherung: alles angeschwollen von dem Mückenstich. Und die - juckende! - Schwellung hielt noch Tage an. - "Ich habe mich die ganze Zeit richtig krank gefühlt," schloß Thomas erinnerungsselig. Doris, die Pidel meines Wissens ohnehin für verschwollene Gnuppel hält, rümpfte ein ums andere Mal die Nase, und Malaysia, mit gewissen körperlichen Realitäten konfrontiert, wirkte Thomas nicht mehr ganz so zugeneigt. Erwin schmiegte sich mitfühlend an den ungläubigen Thomas.

"Haben auch andere Kinder im Wald gepinkelt, als du da standest?" fragte ich. - "Ja, sicher." - "Dann denk doch mal darüber nach, weshalb die Mücke sich ausgerechnet auf deinen Schwanz gesetzt hat." - "Genau," sagte Malaysia, "sie hat dich ausgewählt, damit du diese Erfahrung machen kannst."

"Und wenn dem so ist," fragte der ungläubige Thomas, "welche Erfahrung sollte das dann sein?"

"Leid." - "Und Schmerz." - "Und Jucken," ergänzte ich. Erwin reagierte sehr menschlich; er hatte das Bedürfnis, sich zu kratzen.

Doris war mir anfangs sehr zugetan. Wie sehr, weiß ich nicht und werde ich auch nie erfahren. Ich wäre einem Techtelmechtel, Téte-á-téte, tatsch-tatsch usw. nicht abgeneigt gewesen. Aber als sie bei unserer zweiten Begegnung sagte, Schwänze (sie meinte tatsächlich Pidel, nicht Schweife) seien eigentlich häßlich, mußte ich einfach widersprechen: "Der Schwanz als solches mag unästhetisch sein, aber häßlich ist er nicht. ICH sehe Schwänze gerne." Damit war unsere Romanze beendet, bevor sie überhaupt begonnen hatte.

Naja, im Grunde liebt sie eh nur Frauen, will das aber nicht wahrhaben. Erwin, ihr Pitbull, passt gut zu ihr, der ist nämlich schwul, allerdings heimlich. Doris hat nicht so ein wahnsinnig intelligentes Gesicht, aber mit ihrer Kurzhaarfrisur sieht sie sehr ansprechend aus, und dann hat sie so einen kleinen spitzen Busen, also, bestimmte Frauen müssen förmlich auf sie fliegen.

Samstag begleitete ich sie zu 'Kristall - der Chakren-Shop'. Sie hatte nämlich in einem Buch über die Heilwirkung von Steinen gestöbert, und nun wollte sie Perle-Essenz kaufen, die "pendelt das sinnliche Empfinden ein", wie sie mir sagte, und die gebe es nur bei 'Kristall'. Weshalb sie sich so betulich ausdrückte, verstand ich nicht. Jedes Kind weiß doch, daß Perlen das Sexual-Chakra günstig beeinflussen. Aber bitte, jeder wie er mag. Außer Erwin, der mußte in Doris' 'Smart' warten, weil er in Geschäften immer sehr territorial agiert.

Gleich als wir den Laden betraten, bemerkte ich den Blick, mit dem die mittelalte Betreiberin - buntes Geflatter, eine Menge Ringe und Ketten, vertrauenerweckende Leibesfülle - Doris ansah. Das wäre was für Erwin jetzt, dachte ich und wandte mich diskret der Abteilung 'Düfte' zu. Doris kam gleich zur Sache: "Haben Sie Perle-Essenz?"

"Erstens darfst du mich duzen, zweitens heiße ich Hermine, und drittens - wer bist du denn?" sprach die Frau mit rauchigem Alt. "Nein, warte, laß mich raten. Hmmm-Mmhhhmmm. Du hast eine sehr feminine Aura hinter deinem maskulinen Auftreten, das fühle ich deutlich. Du bist eine Sucherin, eine sinnliche Sucherin, ein sehr sinnlicher Mensch. Das einzige, was dir ein wenig mangelt, ist die Sinnenfreude. Glaube mir, die Freude ist leicht wie Blütenstaub und süß wie Honig. Koste davon, dann weißt du, was ich meine. Ein Duft wie zarte Blütenknospen, eine Frische wie Tau auf Rosenblättern, ein Gefühl wie tanzende Schmetterlinge im Sonnenschein. Perle-Essenz? Mais oui!"

Das müßte Erwin miterleben, da könnte selbst er, der alte Schlawiner, noch etwas dazulernen. Doris, deren Reaktion ich zu gern gesehen hätte, aber ich hatte mir ja auferlegt, diskret anderswohin zu schauen, Doris also murmelte ein paar Worte, die ich nicht verstehen konnte. Dann sprach sie mich an: "Kannst du bitte nach Erwin sehen? Ich habe Angst, daß der Krawall macht, der ist heute schon die ganze Zeit so hyperaktiv."

Ich bin kein Spielverderber, tat ahnungslos und trollte mich aus dem Laden; nicht ohne einen innerlichen Stoßseufzer: Erwin verheimlicht es Doris, Doris verheimlicht es Erwin (und der ganzen Welt). Wenn die beiden wüßten. Ich setzte mich zu Erwin in den 'Smart'. "Na , Kumpel, langweilst du dich? Laß uns mal 'ne Runde Mau-Mau spielen."

Kaum hatte ich die Karten gemischt und ausgeteilt, als Doris schon zu uns einstieg. Das ging ja ziemlich schnell! "Hör mal," sagte ich, "ich weiß Bescheid und ich meine, du solltest dich dazu bekennen." - "Was du schon weißt!" giftete sie und zerkrümelte eine Filterzigarette. "Diese Hermine ist ein Kerl im Fummel. Der wäre was für dich, du stehst doch auf Schwänze!" - Erwin grinste mich an.

"Doris," sagte ich, "ich weiß eine italienische Eisdiele, da fahren wir jetzt hin und gönnen uns ein leckeres, was sage ich, ein exquisites Eis. Dort arbeitet außerdem eine zauberhafte Kellnerin, die garantiert keinen Schwanz hat." - "Hast du die gevögelt oder wieso weißt du das so genau?!"

Ich habe nicht nachgefragt, aber vermutlich hat sie ihre Perle-Essenz nicht bekommen.

Vor einigen Wochen war ich mit dem ungläubigen Thomas in einer dieser Kneipen, wo man noch auf herkömmliche Art - nämlich bei altmodischer Musik in mittlerem Tempo - seiner Alkoholsucht frönen kann. Wir tranken Bier in ganz und gar unhomöopathische Mengen und schwatzten, wie es die Zunge zuließ.

Um es mal ganz krass zu sagen: dem ungläubigen Thomas geht die ganze Esoterik vollständig am Arsch vorbei. Der hat nicht mal Gegenargumente, es interessiert ihn einfach nicht. Trotzdem ist er bei jedem unserer Treffen dabei. In jener Nacht verriet er mir, weshalb. "Malaysia hat solch ein strahlend schönes Gesicht" - das träumt er wohl - "und der Schwung ihrer Hüften ist einfach unwiderstehlich" - Papperlapapp! Anders ausgedrückt, er hat sich in sie verguckt, es hat ihn erwischt.

Wir hatten bereits den Nachbrenner gezündet und nahmen Schnäpse zum Bier und er redete und redete von seiner Begehrten; als ich sein Gebrabbel schon längst nicht mehr verstehen konnte, zeigte mir das Leuchten in seinen Augen, daß er noch beim Thema war. An mehr kann ich mich nicht erinnern, er sich bestimmt an noch weniger.

Gestern war wieder Treffen. Als ich das Versammlungszimmer betrat, saß der ungläubige Thomas bereits still auf seinem Platz, Doris spielte mit Erwin, ihrem Pitbull, Mau-Mau. Malaysia, sonst immer die Erste, fehlte. Wir warteten unbehaglich; ihre Nichtanwesenheit kam einer Anomalie im Raum-Zeit-Kontinuum gleich.

Endlich stürzte sie keuchend zur Tür herein, plumpste auf ihren Sitz und sah aus wie Buttermilch und Spucke. Der ungläubige Thomas sah sie besorgt an und fragte, ob er irgendetwas für sie tun könne - während wir anderen sie noch entgeistert anstarrten.

"Ihr wißt ja, ich bin vor unserem Treffen immer noch bei einem Seminar für Reinkarnations-Arbeit, um meinen Identitätsknoten mal zu lösen. Heute ging das unheimlich locker voran, der Karl-Heinz gab mir eine leichte Trance, ich war plötzlich weit weg irgendwie und der Karl-Heinz fragte: wer bist du jetzt?" Pause.

"Und dann?" wollten wir wissen.

"Ich hab gesagt, Gesche Gottfried, ganz laut, weil das aus mir herausdrängte irgendwo. Dann waren plötzlich alle still und haben mich angeglotzt. Ich hab mich sowas von geschämt!"

"Das kann doch nur eine Verwechslung sein!" rief der ungläubige Thomas vehement. "Äh, ich meine, du kannst diese Giftmörderin nicht sein, ausgeschlossen, so etwas könntest du niemals tun."

"Ja, genau." - "Thomas hat recht." - "Wuff."

"Ach, das ist lieb von dir," strahlte Malaysia (die eigentlich Karin heißt), "äh - lieb von euch." - Hört! Hört! - "Nee, ich bin auch nicht, also, ich war auch niemals die Gesche Gottfried, im Leben nicht. Aber wie stehe ich jetzt da, bis auf die Knochen blamiert. Da kann ich nie wieder hingehen. Diese Schande!" Der ungläubige Thomas legte seine Hand auf ihre: "Wenn du willst, begleite ich dich das nächste Mal." - Oha!

Erwin, mit seinem feinen Sensorium für zwischenmenschliche Beziehungen, hatte den Braten gerochen und sah interessiert von einem zum andern. Doris schien nichts zu merken. Ob ich bald mein Reinkarnationsarbeit-Computerprogramm fertig hätte, fragte sie mich. Sie will das Geld für die teuren Seminare sparen und zum Arbeiten hat sie wenig Neigung, deshalb nutzt sie jede Gelegenheit, mich anzutreiben.

Malaysia dankte dem ungläubigen Thomas, Erwin sah fragend zu mir herüber und ich zwinkerte ihm zu, Doris zog einen Flunsch, weil sie weiterhin auf mein Programm warten mußte, alle zusammen vertagten wir das für gestern geplante Thema 'Licharbeit'.

"Vielleicht sollte man versuchen, die Gesche Gottfried postiv zu sehen," regte ich an, ohne Resonanz zu finden. Malaysia und Thomas sahen einander positiv, wagten sich aber beide nicht weiter. Erwin stubste Doris an. "Ist ja gut," sagte sie genervt, "also der Erwin meint, er war der Hund von Baskerville."

Erwin, Doris' Pitbull (vgl. Dicki trinkt energetisiertes Wasser), ist an und für sich ganz in Ordnung. Aber er mag Damen nicht, keine Ahnung weshalb. Begegnet ihm ein Gentleman, hängt er gleich schnüffelnd und schwanzwedelnd an dessen Achtersteven, aber bei Damen tut er immer so, als sähe er sie gar nicht. Manchmal ist er richtig albern und tut so, als sei er eine Katze, mit Gefauch und Gebuckel. Dann tun die Damen so, als sähen sie ihn nicht.

Doris rief mich an, sie müsse rasch Bauholz für ihren Orgonkasten besorgen, da sei eine günstige Gelegenenheit, und den Erwin könne sie in kein Geschäft mitnehmen, weil er da immer so territorial agiere. Ich verstand, was sie meinte, und stimmte zu, für eine Stunde Erwin Gesellschaft zu leisten. Wir würden wie gewöhnlich spazierengehen.

Doris ist ein feiner Kerl, wenn sie mir nicht gerade von telepathisierenden Delphinen erzählt oder meine geliebte populäre Musik madig zu machen versucht. Sie ist da, wenn man sie braucht, und so tu ich ihr gern mal den einen oder anderen Gefallen. Mit Erwin bin ich häufig unterwegs und kenne alle seine Geheimnisse.

Doris übergab mir also Erwin und brauste mit ihrem 'Smart' in einer Wolke verbrannten Pflanzenöls davon. Ich band Erwin eine rotgepunktete blaue Fliege um den Hals und wir flanierten den Osterdeich entlang.

Hunde sind gegenüber Schwulen viel toleranter als Menschen. Sie rufen nicht gleich "Schwanzlutscher!" oder "Arschficker!" oder "schwule Sau!", bloß weil einer vom anderen Ufer ist. Manch junger Rüde verfällt Erwins galanten Schmeicheleien und probiert es einfach mal aus. Der Erwin hat es aber auch drauf. Er ist ja ein wenig pädophil veranlagt, das muß man schon sagen. Und die unerfahrenen Jungen lassen sich von seiner Erscheinung blenden; noch mehr, seit ich ihm die Fliege aufgeschwatzt habe.

Wir schlenderten also den Weg entlang, er mit Fliege und Mittelscheitel, ich mit James-Dean-Jacke. Uns kam ein junges Heteropaar entgegen, ein wenig klischeehaft hetero. Der Kläffer von denen sprang mir gleich ans Bein, als ich nach der Uhrzeit fragte (erst eine halbe Stunde rum). Ehe die was merkten, stupste Erwin den pubertierenden Terrier mit der Schnauze von mir fort, als wolle er sagen: wenn du nicht weißt, wohin damit, lade es doch bei mir ab. Und husch! waren die Beiden im Gestrüpp beim Bürgerhaus verschwunden.

Routiniert tischte ich dem Paar die Lüge auf, daß Erwin immer spielen wolle und jeden anderen Hund herumkriege, jeden! - Wie alt er denn sei, fragte sie. Ich machte Erwin ein bißchen jünger, damit der angbliche Spieltrieb glaubwürdig wirkte. "Irgendwann wird auch Erwin mal ruhiger," sponn ich meine Rolle fort. Wie ihrer denn hieße?

"Wir" - Seitenblick auf ihn - "haben uns für Detlev entschieden, weil wir den Namen so komisch finden, also, für einen Hund." - "Ja, haha, das ist komisch," bestätigte ich. Und wie, ihr Ahnungslosen!

Schon hopste der junge Spund sichtlich erleichtert um seine Besitzer herum, während Erwin mal wieder besonders melancholisch dreinschaute. Ja, das Alter, da ist man nicht mehr so spritzig wie die Jugend. Wir verabschiedeten uns von dem Paar bzw. von Detlev, und ich rückte Erwin die verrutschte Fliege zurecht und redete ihm zum x-ten Mal ins Gewissen, er solle sich vor Doris nicht länger verstellen. Wovor er denn Angst hätte, daß sie ihm keine Tofu-Plätzchen mehr bäckt? Na also. "Denk dran, Erwin, irgendwann kommt sie doch dahinter." Er sah mich so leidend an, daß ich das Thema wechselte.

Doris bedankte sich herzlich und erzählte von ihrem Orgonkasten. Wie würde sie Erwins Outing wohl aufnehmen? Einerseits ist sie eine tolerante Natur, andererseits glaubt sie allen Ernstes, daß sich in der Rockmusik finstere Mächte artikulieren. Man muß das "Finstere" in sich akzeptieren und sich damit auseinandersetzen, das ist man sich selbst schuldig, meiner Meinung nach. - Ich glaube nicht, daß sie Erwin für seine Homosexualität verdammen wird (hoffentlich nicht!), aber die Heimlichtuerei wird sie ihm ganz sicher übelnehmen. Da soll er mal gründlich drüber nachdenken, der Schwerenöter.

In unserer allwöchentlichen prä-meditativen Stunde saßen wir vorgestern im Versammlungsraum miteinander: die Voll-Adeptin Malaysia, ihre Schülerin Doris, Erwin, der ungläubige Thomas und ich. Erwin ist der zu Tiefsinn neigende, melancholische Pitbull von Doris, eine Reinkarnation Arno Schmidts.

Malaysia, die uns spirituell durch die messerscharfen Klippen zerstörerischen Zweifels lenkt, hatte 'energetisiertes Wasser' zum Thema bestimmt bzw. eine Stimme - war es Christian Morgenstern, war es General Sternwood? - hatte ihr dies ans Herz gelegt. Als Anschauungsmaterial diente uns ein reich bebildertes Buch von Masaru Emotio, dem es durch seine Forschungsarbeit gelungen ist, gute und schlechte Einflüsse auf Wasser sichtbar zu machen.

Wasser, so begriff ich, ist das Chamäleon unter den vier Elementen. In einem Apparat, der einer stinknormalen modernen Laborwaage zum Verwechseln ähnlich sieht, hatte er eine homöopathische Menge Kamillenauszug neben eine Probe gewöhnlichen Wassers gestellt. Seine Methode ist es, behandeltes und unbehandeltes Wasser zu gefrieren und Fotos von der Kristallisation aufzunehmen. Die Ergebnisse sind überwältigend; so auch in diesem Fall: neben ein Bild einer blühenden Kamille hatte er das Foto der Kristallisation gestellt, und die Kristalle ähnelten in ihrer Form stark der Kamillenblüte.

"Das ist der Beweis!" rief Malaysia bewegt, und wir klatschten spontan. Ein versöhnlicher Abschluß unseres Treffens, das beinahe mit einem Eklat begonnen hätte. Denn der ungläubige Thomas hatte die Stirn gehabt zu fragen, wieviel Kilowatt man dem Wasser denn an Energie verpassen könne, was aus zweierlei Gründen dumm ist, denn zum Einen äußert sich hier ein unangebrachter Unglaube, zum Anderen sprach er es so aus, als würde man Schlamm ("Kilo Watt") ins Wasser kippen.

Malaysia bedachte ihn mit einem ihrer strengsten Blicke, Doris rümpfte die Nase, ich kristallisierte vor Schreck und Erwin knurrte mißmutig. Nur weil sich der ungläubige Thomas alsbald entschuldigte, glätteten sich die Wogen und Spiritualität flutete wohltuend in unser Bewußtsein, während wir reihum den Bildband betrachteten.

Die fotografischen Beweise Emotios sind wirklich eindrucksvoll: Wasser aus Lourdes (Wallfahrtsort, die heiligen Quellen von Lourdes!) kristallisiert in Form eines Rosenkranzes, Wasser unter dem Einfluß von Hardrock kristallisiert gar nicht(!), sondern bildet eine gestörte (!) Struktur aus kreisförmigen Wellen, wodurch sich für mich die Triebhaftigkeit (!) der Rockmusik herauskristallisiert.

Als wir also nun den Segen energetisierten Wassers erfasst hatten, bot uns Malaysia - eine besondere Gelegenheit! rief sie - einen Keramikuntersatz mit eingelegten Magneten zum Vorzugspreis von 69 Euro an. Erwin guckte trübsinnig aus dem Fenster, weil er kein Geld dabeihatte, der ungläubige Thomas wollte mich anpumpen und ich versuchte vergeblich, den Preis herunterzuhandeln; Doris hatte natürlich längst solch ein Teil.

Während ich voller Vorfreude auf beglückendes Wasser meinen energetisierenden Untersatz einpackte, sagte Malaysia, daß wir uns nächste Woche mit dem Thema 'Lichtarbeit' befassen sollten. Dem Licht, sagte sie, bevor ich fragen konnte, ob sie auch dazu erhebende Kristallisationsfotos mitbringen werde, wohnen besondere Energien in Form von Biophotonen inne, die man sich aber erarbeiten muß. Wir nickten, jaja, ohne Fleiß kein Preis, und sie versprach, auch zu diesem Themenkreis nützliche Hilfsgeräte vorzustellen, die sie uns wie üblich günstig überlassen könne.

Erwin versuchte noch, das Portemonnaie aus meiner Jacke zu ziehen und es gab ein kleines Handgemenge, aber als Doris ihrem Schützling eine Schale durchgeistigten Wassers vorsetzte, ließ er endlich ab. Der ungläubige Thomas begleitete mich ein Stück meines Heimweges. "Ob es außer Erwin jemand merken würde, wenn man in das Wasser hineinpißt?" wollte er wissen. "Natürlich," sagte ich, "auf den Kristallisationsfotos wäre das ganz genau zu erkennen."

 

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