1968
aus aller Welt
ballaballa
Beobachtungen in der Natur
charmsing
deutsche kenneweiss
Dicki TV
Dickimerone
Dickis Reisen
die kleine Anekdote
dirty old town
Empfehlung
Erwins Welt
Eugen
in eigener Sache
Java
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren
icon

 
Von einem Musical, zudem mit politischen Bezügen, kann man nicht Tiefe erwarten wie bei Komödie und Tragödie, schon aber Spektakel. Und die aktuelle Bremer Inszenierung von "Hair" bietet es, mit Tanz, (Chor)Gesang, Maske, Interviewprojektionen und Bauten. Die Botschaft ist bei mir allerdings nicht angekommen - vielleicht sträubte sich meine Wahrnehmung einfach gegen das Gemisch aus deutsch und englisch -, was besser sein mag als eine klar vernehmliche Botschaft, die peinlich wäre. Wie zum Beispiel, wenn das demonstrative "Do-do-do-do-do-do-do-it!" der vorletzten Gesangseinlage als Aufforderung zu verstehen sei, eigene alternative Lebensformen zu entwickeln wie die interviewten Leute der Filmeinspielungen. Doch dazu später.

Gesanglich, tänzerisch, instrumental, darstellerisch und choreographisch ist die Inszenierung unterhaltsames Spektakel; wenn es keine action gibt, wird zumindest gesungen, der zentrale Bühnenbau - eine zweigeschossige Villa irgendwie alternativen Gepräges - wird mehrmals herumgedreht, jede seiner vier offenen Seiten, ebenso die Terrasse um den kleinen Bau im Obergeschoß, wird als Bühne in der Bühne genutzt, man sieht etwas vom täglichen Leben in dieser Unterkunft: das ist hübsch gemacht und bietet Abwechslung, gelegentlich werden besagte Interviews parallel eingeblendet, oder eine der beiden Kameras in der Villa liefert Bild und Ton. Unterhaltsam ist es, aktualisiert ist es, was will man mehr von diesem "Hair".

Weniger hätte ich bei den neuen Arrangements der alten Songs erhofft, nämlich weniger Handwerk, dafür mehr Inspiration. Ich erinnere mich an eine Stelle, wo der Chor an Kraft gewann, Oberstimme und Unterstimme gegeneinander gesetzt, jetzt hätte es ergreifend werden müssen, aber es blieb seicht, weil Technik nicht Gefühl ersetzen kann. Auch fehlte manchen der neuen Arrangements der rechte Fluß, oder sagen wir drive, weil es offenbar an Pop-Verständnis mangelt, andere gerieten zu Mitklatschnummern. Aber das kommt einem Publikum entgegen, das Spektakel will, und so gesehen ist das auch in Ordnung. Eine gelungene Aufführung also, der auch langanhaltend Applaus gespendet wurde.

Der aktuelle Bezug des alten, erneuerten "Hair" war das Leben Alternativer, die in den besagten Interviews ihre Lebensgestaltung auf dem Lande oder in der WG schilderten, von gemeinsamer Kasse, von Demoteilnahme oder von Kompostklos erzählten. Mal meinte ich in der Spielhandlung eine Persiflage, mal eine Bejahung dieser Dropouts und Außenseiter wahrzunehmen, am Ende blieb es trotz "Do-do-do-do-do-do-do-it!" unentschieden.

Oder doch nicht ganz. Denn heimlich, still und leise lief während der letzten, intensiven Aktionen auf der Bühne auf den beiden seitlichen Leinwänden noch ein Film. Die meisten der Interviewten waren einzeln und in Gruppen zusammen mit dem Hauptdarsteller zu sehen, auf einem ausladenden Bett, hinter dem an der Wand zwei Zettel angebracht waren: "hair peace" und "bed peace". Und da konntest du deutlich sehen, worum es wirklich geht - die Politleute probieren aus, wer sie sein könnten, der Schauspieler lebt; sie spielen, er ist. So steht es in den Gesichtern geschrieben für alle, die des Lesens mächtig sind.

Bei Raumfahrtprojekten begenete mir zum erstenmal die Unsitte, ein Projekt mittels geeigneter Wortwahl durch die Anfangsbuchstaben mit Bedeutung aufzulagen, z.B. "Eureka". Seitdem achte ich auf dieses Phänomen und deshalb bezweifle ich, daß "NSU" das ist, als das es gilt. So ein Abkürzungsname soll ja nicht nur bedeutungsschwanger, sondern auch einprägsam sein, und NSU ist meiner Generation nicht zuletzt aus Autoquartetts geläufig. Aber da mag man mir getrost widersprechen und sagen: Zufall! "RAF" war ja auch ziemlich mißglückt.

ISIS aber, mittlerweile als brand etabliert, ergibt sich aus den Anfangsbuchstaben des englischen Namens einer islamistischen Truppe in Syrien und Irak, deren arabischer Originalname, so es einen gibt, wohl zu einem ganz anderen Ergebnis führen dürfte. Anders gesagt, dieser Name ist eine Fabrikation. Einprägsam, aber sich bequem-dümmlich auf eine angenommene Unbildung in der westlichen Welt verlassend. Man kann bei Wikipedia nachlesen, daß Isis der Name einer altägyptischen Gottheit ist, die später noch bei Griechen, Römern und Christen eine gewisse, schwindende Rolle spielte. Im arabischen Raum ist sie bedeutungsleer, das ist der Punkt.

Und dann fragt man sich, wo kommen sie her, diese Truppen, die wir u.a. von werbewirksamen Fotos auf geschniegelten Toyota-Pickup-Konvois kennen, Konvois, die von sämtlichen Spionagesatelliten unbemerkt durch Wüstenlandschaften fahren und es - diese Strategie ist erkennbar - auf die Eroberung von Öl- und Gasförderfeldern anlegen. Und dann stellt man sich die Frage: wer profitiert davon? - Nein, die Antwort "prorussische Separatisten" ist falsch.

Wenn du ein gutes Drehbuch hast, muß schon viel Untalent zusammenkommen, damit daraus kein brauchbarer Film wird. Aber stimmt das Drehbuch nicht, kannste einpacken. Da kann Heinz Rühmann (und alle übrigenden Schauspieler--->[Innen]) in Komödien wie "Dreizehn Stühle" oder "Nanu, Sie kennen Korff noch nicht" noch so charmant, rührig, unschuldig-naiv und durchtrieben sein, man wünscht ihm bessere Dialogsätze und in manchen Szenen eine bessere Inszenierung. Auch in den gelungeneren Filmen "Der Florentinerhut" oder "5 Millionen suchen einen Erben" vermißt man die freiwilligen und die erzwungenen Emigranten; der Aderlaß des deutschen Films nach 1933 ist schmerzhaft spürbar beim Betrachten der genannten Streifen von 1938/39.

Dabei hamse sich ne Masse einfallen lassen, die Filmleute--->[Innen]: ein gemaltes Portrait, das den Gesichtsausdruck ändert, den üblichen Vorspann als Moritat eines Bänkelsängers, ein Ende mit den Worten: "Kuß!", "Schluß!", und dann nur noch "Ende" weiß auf schwarz. Und technische Mätzchen mit einer Doppelrolle sowie subjektiver Kamera. Hat Hollywood auch gemacht, etwa zur selben Zeit, aber mit mehr Pfiff. Is numal so, wennde nich reden darfst, wie dir der Schnabel gewachsen is, denn musste ne trübe Tasse sein, oder die Diktatur macht Einschnitte. Da vergeht einem--->[Innen] der Witz.

"Gib hier nicht den Karasek!" sagte ich neulich zu einem Kulturknilch, der in seine gespreizten Sätze literweise berühmte Namen einfließen ließ. Was diesen leider nicht zum Verstummen brachte, mir aber Befriedigung verschaffte. Seit Wochen schlage ich in Karaseks "Mein Kino - die 100 schönsten Filme" (von 1993) mal diese, mal jene Seite auf und bin erschüttert ob der vielen auf grandiosen Mißverständnissen beruhenden Lobhudeleien. Wobei nicht die Filmauswahl stört.

Bitte einhundert Filminteressierte, ihre hundert Lieblingsfilme aufzulisten, und du wirst mindestens zweitausend Filme genannt bekommen. Einigkeit wird bei einer Reihe berühmter Filme herrschen, z.B. "Casablanca" oder "Fahraddiebe" oder "Psycho". Das ist völlig richtig, denn daß solche Filme ein großes Publikum berührt haben und immer wieder berühren, kann auch vom hartgesottensten Kritiker nicht ignoriert werden. Abgesehen von den gängigen Publikums- und Kritikerlieblingen wird die Auswahl natürlich vom persönlichen Geschmack bestimmt und "de gustibus non est disputandum", selbst wenn es schlechter Geschmack sein sollte.

Anders steht es um die Gründe, die zur Auswahl dieses oder jenes Filmes führen, und K. hat seine Gründe, im jederzeit gegenwärtigen Bemühen, brilliant zu schreiben, genannt: die Gründe sind im Gegensatz zum Geschmack, durchaus diskussionswürdig. (Jetzt schreibe ich schon selbst gespreizt, es ist nicht zu fassen, aber kommen wir endlich zur Sache)

Die Sache ist die, daß K. mit Blick auf die Luftschachtszene Marilyn Monroes (er versteigt sich zu der Formulierung "ein lasziver Windstoß", hurregottnejah!) und den Kuß in der Meeresbrandung zwischen Burt Lancaster und Deborah Kerr behauptet "sie" hätten "einen Film-Augenblick lang den Schleier der biederen fünfziger Jahre vor der sexuellen Wahrheit gelüftet" (Besprechung von "Verdammt in alle Ewigkeit"). Noch ein Beispiel, diesmal aus "Der Leopard". Der Neffe des Fürsten erzählt der Tochter des neureichen Bürgermeisters bei Tisch eine schlüpfrige Geschichte, macht ihr dann "ein frivoles Kompliment. Und da bricht sie in ein unbändiges, sinnliches, lautes, nicht enden wollendes Lachen aus [...] Es ist der Ausbruch des ungefügen, wilden, unerzogenen Gefühls mitten in der erstarrten Etikette. Es ist der wahre Anbruch der neuen Zeit."

Dabei scheint K. nicht begreifen zu können, daß die "erstarrte Etikette" auch das aufgeklärte Arrangement mit menschlichen Schwächen bedeutet, die neue Zeit aber das "ungefüge, wilde, unerzoge" Ausleben menschlicher Egoismen. K. ist kein Revolutionär, in seiner Sicht auf die Welt aber nachhaltig von den Revoluzzern Neunzehnhundertachtundsechzigs geprägt. Die Wohlgestalt der Tochter-Darstellerin Claudia Cardinale ist unbestreitbar, ebenso ihr etwas vulgäres Gesicht - eine gute Wahl für diese Rolle in diesem Film, dessen Regisseur Luchino Visconti genau wußte, was er tat.

K. nutzt jede Gelegenheit, Verstöße gegen die Zensur (in Hollywood) zu feiern und mehr oder minder unterschwellige Sexualanspielungen lobend zu erwähnen, so daß der Eindruck entsteht, er tue das bei zwei Dritteln seiner "100 schönsten Filme", real wird es wohl kaum ein Drittel sein. Interessant finde ich, daß K., der Sexualitätsbefreier, Truffauts "Der Mann, der die Frauen liebte" nicht in seinen Kanon aufgenommen hat: dieser Film behandelt die männliche Sexualität freundlich-kritisch mit viel (Selbst)Ironie und ist darin wirklich frei - das war wohl des Guten zuviel.

Carole Lombard war eine Cousine zweiten Grades von Howard Hawks, der sie als die seiner Überzeugung nach ideale Besetzung gegen John Barrymore in Twentieth Century (1934, "Napoleon vom Broadway") haben wollte, aber die ersten Proben waren enttäusdchend, sie spielte steif und gekünstelt, zum Mißvergnügen sowohl des Regisseurs als des Schauspielers. Howard Hawks nahm sie beiseite, wie hoch ihre Gage sei. Und was sie täte, wenn ein Mann Übles über sie sagte ("... that comes from the back of his mind")? - "I'd kick him in the balls!" - Dann solle sie das gefälligst tun. Fortan spielte sie intuitiv und der Film wurde zusammen mit Frank Capras It happened one night zum Gradmesser aller kommenden screwball comedies.

Von diesem befreiten Spiel profitierte auch My man Godfrey (1936, "Mein Mann Godfrey"). Hauptdarsteller William Powell, damals im Zenit seiner Laufbahn (hierzulande bekannt aus "Der dünne Mann"), wollte Carole Lombard als Filmpartnerin. Diese Komödie hat Tempo, ist auch in den Nebenrollen gut besetzt und handelt - na, von den Irrungen und Wirrungen zwischen Mann und Frau, was sonst. Und davon wie ein armer Schlucker (mit einem Geheimnis) eine reiche Familie als Butler zur Vernunft bringt.

Zwei konkurrierende Schwestern, "Park Avenue brats", brauchen zum Sieg in einem "scavenger hunt" einen "forgotten man", den sie von einer Müllkippensiedlung herbeischaffen wollen, und geraten an William Powell. Der stößt die eine zu Boden, weil ihn das Angebot, für fünf Dollar als Reichenbelustigung zu dienen, empört, befragt aber, dann doch neugierig geworden, die andere und schlägt vor, ihre Schwester in dem Spiel zu schlagen ("Let's beat Cornelia"). Carole Lombard gewinnt tatsächlich, er hält eine kleine Ansprache (erstens habe er der jungen Dame helfen wollen und zweitens sei er neugierig gewesen, wie sich gelangweilte Knallköpfe aus der Oberschicht aufführten; seine Neugier sei gestellt, und er begäbe sich gerne zurück in die Gesellschaft einiger wirklich wichtiger Menschen).

Carole bietet ihm die vakante Stelle als Butler ihrer Familie, der Bullocks, an. Dort erscheint er am nächsten Morgen rasiert und mit geliehener Butlerkleidung. Vom Hausmädchen erfährt er, daß die Butler kommen und gehen, weil es niemand länger als einen Tag aushält, entweder gefeuert werden oder kündigen. "May I be frank?" fragt er. - "Is that your name?" - "No, my name is Godfrey." - "Then be frank."

Das Hausmädchen weist ihn ein, der "old battleaxe" Miss Bullock - auf beredte Art geistlos und schrill komisch - Tomatensaft gegen ihren hangover zu bringen, und er solle Hut und Mantel in der Nähe der Tür lassen, damit er nach dem Rausschmiß nicht lange suchen müsse. Er übersteht die Prüfung, wird mit Frühstück zu Cornelia geschickt (sie stelle seine Sachen in die Halle) und wird aus dem Zimmer geschmissen, und schließlich zu Carole (sie stelle seine Sachen auf den Treppenabsatz), mit der er gut auskommt, denn sie erklärt ihn zu ihrem Protegé, dem Gegenstück zu Mutters Protegé Carlo, einem Vielfraß von verkanntem Musikgenie. Man ahnt schon Caroles heftig werdende Verliebtheit. Doch beim Verlassen des Zimmers begegnet er Mister Bullock, der den vermeintlichen Unschuldräuber zu verprügeln droht. Der Irrtum wird geklärt, William ist als Butler eingeführt und behauptet seine Stellung gegen Mister Bullocks drohenden Bankrott, Miss Bullocks liebenswert nervigen Schwachsinn, Cornelias Anfeindungen und Caroles Nachstellungen.

Aber bis hierher sind erst zwanzig Filmminuten vergangen und es erwarten uns weitere siebzig atemberaubende Minuten einer im Grunde süßlichen Geschichte mit einem nur angedeuteten happy end voll komischer Nummern, Verwicklungen und Dialogen, kurzum, mit allem, was das Herz von einer Komödie begehrt.

William Powell brilliert als armer Schlucker, perfekter Butler und (frauenscheuer) Gentleman, hat eine Szene, in der er Chaplins Mimik perfekt einsetzt, und eine komische Einlage als zweitklassiger Schmierenkomödiant, als er betrunken ist, d.h. den Betrunkenen spielt, eine seiner vielen Stärken (vergl. "Der dünne Mann"). Carole Lombard als abgewiesene Geliebte wirft sich in überdramatische Posen und bekämpft ihre Schwester mit allen gerade noch erlaubten Mitteln, und ist in ihrer hilflosen Verliebtheit immer liebenswert komisch. Zusammenfassung: eine großartige Komödie, eine der besten ihrer Art, und leider unterschätzt, denn, sehr verehrtes Publikum, das ist ganz großes Kino. William Powell, betrunken von seinem freien Tag heimkehrend angesichts der sich unglücklich verliebt weinend in den Armen liegenden Carole und dem Hausmädchen: "How about a quartett?"

 

twoday.net AGB

xml version of this page

powered by Antville powered by Helma