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Von einem Musical, zudem mit politischen Bezügen, kann man nicht Tiefe erwarten wie bei Komödie und Tragödie, schon aber Spektakel. Und die aktuelle Bremer Inszenierung von "Hair" bietet es, mit Tanz, (Chor)Gesang, Maske, Interviewprojektionen und Bauten. Die Botschaft ist bei mir allerdings nicht angekommen - vielleicht sträubte sich meine Wahrnehmung einfach gegen das Gemisch aus deutsch und englisch -, was besser sein mag als eine klar vernehmliche Botschaft, die peinlich wäre. Wie zum Beispiel, wenn das demonstrative "Do-do-do-do-do-do-do-it!" der vorletzten Gesangseinlage als Aufforderung zu verstehen sei, eigene alternative Lebensformen zu entwickeln wie die interviewten Leute der Filmeinspielungen. Doch dazu später.

Gesanglich, tänzerisch, instrumental, darstellerisch und choreographisch ist die Inszenierung unterhaltsames Spektakel; wenn es keine action gibt, wird zumindest gesungen, der zentrale Bühnenbau - eine zweigeschossige Villa irgendwie alternativen Gepräges - wird mehrmals herumgedreht, jede seiner vier offenen Seiten, ebenso die Terrasse um den kleinen Bau im Obergeschoß, wird als Bühne in der Bühne genutzt, man sieht etwas vom täglichen Leben in dieser Unterkunft: das ist hübsch gemacht und bietet Abwechslung, gelegentlich werden besagte Interviews parallel eingeblendet, oder eine der beiden Kameras in der Villa liefert Bild und Ton. Unterhaltsam ist es, aktualisiert ist es, was will man mehr von diesem "Hair".

Weniger hätte ich bei den neuen Arrangements der alten Songs erhofft, nämlich weniger Handwerk, dafür mehr Inspiration. Ich erinnere mich an eine Stelle, wo der Chor an Kraft gewann, Oberstimme und Unterstimme gegeneinander gesetzt, jetzt hätte es ergreifend werden müssen, aber es blieb seicht, weil Technik nicht Gefühl ersetzen kann. Auch fehlte manchen der neuen Arrangements der rechte Fluß, oder sagen wir drive, weil es offenbar an Pop-Verständnis mangelt, andere gerieten zu Mitklatschnummern. Aber das kommt einem Publikum entgegen, das Spektakel will, und so gesehen ist das auch in Ordnung. Eine gelungene Aufführung also, der auch langanhaltend Applaus gespendet wurde.

Der aktuelle Bezug des alten, erneuerten "Hair" war das Leben Alternativer, die in den besagten Interviews ihre Lebensgestaltung auf dem Lande oder in der WG schilderten, von gemeinsamer Kasse, von Demoteilnahme oder von Kompostklos erzählten. Mal meinte ich in der Spielhandlung eine Persiflage, mal eine Bejahung dieser Dropouts und Außenseiter wahrzunehmen, am Ende blieb es trotz "Do-do-do-do-do-do-do-it!" unentschieden.

Oder doch nicht ganz. Denn heimlich, still und leise lief während der letzten, intensiven Aktionen auf der Bühne auf den beiden seitlichen Leinwänden noch ein Film. Die meisten der Interviewten waren einzeln und in Gruppen zusammen mit dem Hauptdarsteller zu sehen, auf einem ausladenden Bett, hinter dem an der Wand zwei Zettel angebracht waren: "hair peace" und "bed peace". Und da konntest du deutlich sehen, worum es wirklich geht - die Politleute probieren aus, wer sie sein könnten, der Schauspieler lebt; sie spielen, er ist. So steht es in den Gesichtern geschrieben für alle, die des Lesens mächtig sind.
 

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