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Vorhin kam mir ein schwarzgewandeter junger Mann - Typ Oberschüler, harmlos, Eltern Mittelschicht - entgegen, auf dessem T-Shirt "Freiheit für Valentin" prangte. Vor einigen Wochen, als 40 Leute in schwarz marschierten und den ersten Streifenwagen, dem sie begegneten, mit Pflastersteinen bewarfen, die sie in Einkaufstaschen eigens dafür mitgeschleppt hatten, hieß die Parole noch "Free Valentin". Vielleicht hat inzwischen jemand bemerkt, daß daraus unweigerlich "Frie Wällentein" wird, und dann weiß ja niemand mehr, wer eigentlich gemeint ist. Und die Assoziation zu "Free Willy", einem Hollywoodschinken, in dem ein Killerwal befreit wird.

Es geht aber nicht um einen Killerwal, sondern um einen Valentin, den Polizei und Staatsanwaltschaft für einen Wiederholungstäter in Sachen Schlägerei halten. Ich halte mich da heraus und erwähne nur, daß der Angeklagte einige Szeneevents verpasst hat, weil die Weigerung, in Untersuchungshaft an einer Gewalttherapie teilzunehmen, die Abweisung seines Antrags auf Haftverschonung zur Folge hatte.

Was hat er verpasst? Da wäre ein kurzer, schlechtbesuchter Schulstreik, der es unter dem Motto "Gegen Rassismus, Bildung für alle" oder so in die lokale Presse schaffte (heute muß ja alles mit 'gegen Rassismus' beginnen, sonst ist es für Rassismus, klarer Fall). Das Foto des Berichts zeigte in der ersten Reihe zwei nicht mehr allzu junge Schüler in schwarzer Kleidung und mit haßerfüllten Gesichtern. Daß ausgerechnet solche Leute für Toleranz einstehen, glaube wer will.

Dann trat am 1. Mai eine neue Gruppe namens "Revolutionärer Aufbau" (ah, mal was Konstruktives!) in Erscheinung, deren Gesichter verdeckt und verhüllt waren, und deren schwarze Kleidung Vermutungen zuläßt, aber mehr auch nicht, es sei denn man hätte deren Auftritt live erlebt.

Und last not least einige Heimspiele seiner Werder-Ultras, wobei ich nicht weiß, ob er überhaupt auch nur in die Nähe des Weserstadions gedurft hätte, also, beliebt hat der sich mal nicht gemacht.

Ob er trotz schwieriger Beweislage - schwammige Aussagen, Rückzieher von Belastungszeugen - verurteilt werden wird, läßt sich nicht sagen. Unschön wäre es wohl, denn schließlich könnte er in 25 bis 30 Jahren Außenminister der Bundesrepublik Deutschland sein, und wie stünde unser schönes Bremen dann in der Öffentlichkeit da!

Immer mal wieder lese ich Bücher, die seit zehn und mehr Jahren in dunklen Regalwinkeln stehen: ob dies verstaubende Etwas mir im Licht neuer Erkenntnisse mehr zu erzählen hat als bei der letzten Lesung. So kommt es, daß ich aktuell zwei schwule Bücher parallel lese (wer die komplexe 'l'-Struktur phonetisch nicht hinbekommt, darf "parallese" sagen), die weder derselben Meinung sind, noch aufeinander Bezug nehmen, und doch miteinander zu tun haben. Es sind Max Goldts erste Kolumnen für die "Titanic" ('89 bis '92) und eine Art Biographie Rosa von Praunheims (1993), die dieser zu seinem 50jährigen Bestehen verfasste, obwohl er unter dem brand erst seit seinem zwanzigsten Lebensjahr firmierte.

Rosa, dies sei für die Jüngeren gesagt, kämpfte für Schwulenrechte, als Schwule noch verfolgt wurden; er war nacheinander Schwulenpapst, Aids-Alarm und Outing-Minister, damals in den 70ern (und 80ern). Rosa ist erklärter Gegner der "scheißbürgerlichen Gesellschaft", verabscheut bürgerliche Kultur und Religion(en), und glaubt, daß nach der Befreiung der Himmel voller Pimmel hängt. Verständlich für einen einst braven Jungen, der nach dreimaligem Sitzenbleiben die Schule verlassen mußte und unter Schmerzen seine sexuelle Präferenz entdeckte. Das Leib-Seele-Problem äußert sich bei ihm so, daß er von den schöpferischen Menschen schwärmt, denen er an den schwulen Treffpunkten der weiten Welt begegnet ist, aber nie zufrieden war, wenn er nicht alle großartigen Männer ficken konnte, die er begehrte. Obwohl er auch dann nicht zufrieden war, weil er eine innere Leere empfand.

Wenn er nicht provozierte oder notgeil war, trat der Charmeur hervor und er konnte sehr amüsant sein. Gelegentlich verfiel er aber auch in Tiefsinn, wie bei den folgenden Zeilen über New Ýork: "Die Stadt gleicht heute einem Friedhof, ein Holocaust hat stattgefunden, wie bei der Vernichtung der Juden durch die Deutschen, als die besten Künstler und Wissenschaftler, die produktivsten Menschen Deutschlands, ermordet wurden. Aids ist ähnlich. Aids mordet Genies." Und, so möchte man ergänzen, treibt Menschen in den Schwachsinn. Rosa hat offensichtlich keine Ahnung, wovon er da redet und was er miteinander vergleicht. (kleiner Wissens- und Intelligenztest am Rande: wieviele Fehler, Ungenauigkeiten, Verwechslungen und Gedankensprünge hat er in diesen kurzen Text eingebaut?)

Wenn man Menschen und Gefühle nicht konsumiert, sondern zu verstehen und zu verarbeiten versucht (die Gefühle, nicht die Menschen), sieht die glorreiche Schwulenbewegung ("Schwule aller Länder, vereinigt euch!") doch ein wenig anders aus. In den Worten Max Goldts: "[...] weil es absolut Kokolores ist, aus einem kleinen, unterhaltsamen Defekt wie der Homosexualität einen ganzen Lebensstil zu destillieren [...]. Die kultische Überhöhung einer unbedeutenden Norm-Abweichung führt natürlich zwangsläufig dazu, daß alle individuellen Eigenschaften gegenüber dem Schwulsein verblassen, es laufen Leute herum, die nicht mehr links, nicht mehr rechts, nicht mehr musisch, nicht mehr Mensch sind, sondern nur noch schwul und nichts anderes."

"Ist Schwulsein eine Krankheit?" fragte eine Bekannte, nachdem sie geschildert hatte, wie ein schwuler Freund sie auf einem gemeinsamen Inselspaziergang stehen gelassen hatte, weil er sich spontan einem schwulen Mannschaftsfick in den Dünen anschließen mußte, und erst nach erhaltener Satisfucktion zu ihr zurückkehrte. Nein, Schwulsein ist keine Krankheit, kann aber Symptom sein. Es ist heute nur eine von drei bis vier Dutzend Möglichkeiten, wie ein innerlich leerer Mensch Identität und Zugehörigkeit finden kann.

Vor rund zwanzig Jahren sah ich in einem Spezialitäten-Kino "Othello" von und mit Orson Welles; die Spezialität daran war der Vortrag eines Filmstudenten über spezielle Eff Aspekte diese Films, und er - dem Anschein nach war er männlichen Geschlechts, obwohl er nach heutigen Maßstäben sonstwelchen Genders hätte sein mögen wollen - er also verkündete als Fazit seines Ausflugs in die Theorie der theoretischen Bildtheorie, daß man Orson Welles mit Fug und Recht als Meister der Diagonale bezeichnen könne.

Das mag können, wer will, mich interessieren am Film aber Diagonalen, Parallelen, Dreiecke, Hyperbeln und Paralypsen am allerwenigsten; das mögen Filmstudenten unter sich ausmachen. Vom Film habe ich keine Ahnung, und erst recht nicht von der dazugehörigen Technik. Deshalb beschränke ich mich auf die erzählte Geschichte und ggf. eindrucksvolle und eventuell aussageträchtige Bilder. Mister Welles, er konnte es nicht lassen, hat auch da wieder ungewöhnliche Kameraperspektiven finden müssen, ohne aber die Kraft der Originalschauplätze an verschiedenen Orten Nordafrikas zu entkräften. So bleibt Shakespeares Othello mit teils tollen Bildern in der Interpretation von undsoweiter.

Ich kam darauf, weil es seit vier Jahrzehnten (in Deutschland) Filmhochschulen gibt, die gelegentlich einen Könner (Könnerin, jaja) hervorgebracht haben, welche aber ohnehin ihren Weg gemacht hätten, weil sie das Talent, das Interesse und die Besessenheit schon mitgebracht hatten. Ganz wie die alten Meister, die durch ständiges Filmgucken und learning by doing zu Vorbildern der Filmstudenten avancierten, ohne je ein Seminar irgendeiner Fakultät besucht zu haben. Denn das Talent bricht sich Bahn, den Untalentierten bleibt seelenlose Technik, weshalb sie so gerne banale Aussagefilme machen.

Freunde empfahlen mir Blue Velvet, ich quälte mich durch Langeweile in Spielfilmlänge. Dabei hat David Lynch noch das Verdienst, durch die Verwendung aufregender Musik im Soundtrack von "Lost Highway" die Band Rammstein in den USA einem breiterem Publikum bekannt gemacht zu haben. Rammstein äußerte sich positiv über Lynch, aber das ist deren Sache. Mir sind Aussagen so wertvoll wie Diagonalen durch die Befindlichkeiten diverser Nachkriegsgenerationen.

Bombenanschlag auf ein Polizeirevier im türkischen Gaziantep, ein Polizist stirbt. Dazu SpOn: "Erst vor gut einer Woche hatte Bundeskanzlerin Merkel die Stadt besucht."

Neulich hatte ich wieder einen dieser bescheuerten Träume, die man sich nur zu erzählen traut, wenn eine Dicki-Maske für Anonymität sorgt, echt! Da bat mich so eine Zuckerbiene, mit der ich traumweise zusammenlebte, Karten für das Pussy Riot-Konzert zu besorgen.

"Willst du nicht lieber zu den 'drei Schlunzen' gehen?" fragte ich. Sie: "Ich dachte Pussy Riot seien für dich 'Die drei Schlunzen', du Anchovi". Bevor mir der Traum eine geharnischte Erwiderung erlaubte, stand ich schon an der Abendkasse vom 'Aladin Sane' und war unsicher, ob ich nun Karten für Freitag - Die drei Schlunzen - oder Sonntag - Pussy Riot - kaufen sollte. "Was ist," sagte der Kassenmann, "willst du rein oder nicht; 33,45 hier und heute." Salman Rushdie's Russian Mission las ich auf dem Anschlag und rief "Da ist das Geld" und eilte hinein.

Erstmal hatte ich die Mission pissen, aber auf "Herren" waren die Kabinentüren ausgehängt, unterm Pissoir winselte jemand "strull mich voll, mach mich nass" und überall fickten schwule Jungs mit Sonnenstudiobräune und martialischem Haarschnitt, die mich Schwanzlutscher und Arschficker nannten, sobald sie mich erblickten. Deshalb probierte ich "Damen" und sah und hörte niemand außer ein bißchen Heterogestöhn aus der Nachbarkabine. Erleichtert kehrte ich in den Saal zurück, bewunderte das Ordnungspersonal in seinen schicken schwarzen Uniformen mit dem durchgestrichenen Hakenkreuz, und ließ mir einen Gay Piranha mixen. Dann fing auch schon der Auftritt an.

Salman Rushdie hat (jedenfalls für meinen Geschmack) ein paar gute Sachen geschrieben, aber inzwischen ist er ne fette Sau geworden, das war mein erster Eindruck. Dann bemerkte ich, daß er ein Roboter 'Made in Japan' ist, davon abgesehen wie eine dieser schlechten Nachbildungen von Madame Tussaud's aussieht und in deutscher Sprache singt. Als Einstieg einen Tanzknaller von 1976, aber mit derart renitentem Text, daß ich fluchte: "Ai Wei Wei, wenn jetzt alle diese hochdissidenten Künstler auf Russlandkurs gehen, dann wird die Koalition der Willigen den Legionen von Willigen empfehlen, Russlands flotten Vladi zum neuen Hitler zu krönen, und dann..."

Die schiere Wucht des Songs, der jetzt "In Russland" heißt, ließ mich nicht zuende fluchen. "Putin hat das Volk versklavt!" legte der Rushdie-Robot los, "doch es ist nicht länger brav!" Hört hört. "Männer Frauen einerlei, hört mich an und kommt herbei: Pornographie-ie ma-acht freeei-freeei-freeeeeei: in Russland!"

Kaum hatte ich den ersten Buh-Ruf getan, schleiften mich zwei der Flüchtlinge, die man auf Ein-Euro-Basis in diese schicken schwarzen Uniformen mit dem durchgestrichenen Hakenkreuz gesteckt hatte, ins Kellergeschoß. Wer ich sei, fragten sie in fremder Zunge. "Je suis Dicki!". - "Ali, buma ye," sagten beide zu einem dritten, einem brat with a baseball bat, und ich beeilte mich mit dem Erwachen. - Das war knapp.

 

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