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Wie jeder normal Veranlagte habe auch ich Läden, die ich regelmäßig aufsuche, um den darin arbeitenden Menschen durch meinen Konsum ein Auskommen zu sichern. Beim SPAR-Markt an der Ecke hat das zwar nicht funktioniert, aber es genügt eben auch nicht, daß ein einzelner Käufer oder nur einige wenige Konsumenten ein Geschäft regelmäßig frequentieren.

"Mein" Tabakladen floriert gottlob noch. Man kennt mich dort sozusagen in der zweiten Besitzergeneration. Eine der beiden Verkäuferinnen - die sympathischerweise selbst auch rauchen - greift schon unaufgefordert zu meinen Lieblingsartikeln, sobald ich den Laden betrete, auch wenn ich eigentlich nur eine Zeitung erwerben möchte. Aus Höflichkeit kaufe ich dann meistens doch mein übliches Selbstdrehensemble.

Seit einiger Zeit beschäftigen sie eine Aushilfe, die nicht nur angenehm unschlank ist (jedoch nicht dick und gleich gar nicht fett), sondern zudem noch schöne Augen hat. Die macht aber auch schöne Augen! Es ist eine Dame im besten Alter aus Polen, wie ich unschwer am Akzent erkennen konnte. Dieser Akzent unterscheidet sich deutlich von dem anderer slawischer Länder, etwa dem ehemaligen Jugoslawien oder der ehemaligen Tschechoslowakei (Osteuropa ist voll von ehemaligen Teilrepubliken ehemaliger Staaten), aber die Unterschiede zu beschreiben fiele mir schwer; ich muß also leider den Beweis schuldig bleiben, obwohl ich meiner Sache vollkommen sicher bin.

Gestern (also Freitag) verließ diese polnische Dame mit den schönen Augen gerade das Geschäft, als ich eintrat - aber wie sah sie aus! Raubkatzengefleckte Jacke mit Pelzkragen, in ihrer Frisur jedes Haar einzeln gelegt und mit Spray fixiert, rotglänzende Lippen und dick Kajalstift um die Augen - und vermutlich noch Einiges mehr, das in der Kürze der Zeit nicht aufzufallen vermochte. Oh je, dachte ich, da könnte sie mir noch so schöne Augen machen, auf diesen Geschlechterkitsch falle ich nicht herein. Nirgends in Europa scheint der ausgeprägter zu sein als in Polen; nicht in Frankreich, dem Land der Parfums, und auch nicht in Italien, das ähnlich wie Polen katholisch geprägt ist. Solchen Kitsch mag ich nicht.

Wohl aber mag ich den Advent und alles, was dazugehört. So war ich denn am Samstag, als - am 6. März! - der Schnee vom Himmel rieselte wie früher in der Vorweihnachtszeit, völlig zufrieden, daß ich mein Tannenzweiglein noch nicht von der Wand gerissen hatte. Erfreut ruhte mein Blick mal auf dem kleinen Pinguin, mal auf dem hölzernen Schneemann, dem goldüberhauchten Bömmel und den unverzichtbaren Fliegenpilzen, die alle im mittlerweile knochentrockenen Grün Platz genommen haben. Das ist Kitsch, wie ich ihn mag. Freundlich! Unschuldig!

Den allerschönsten Kitsch aber sah ich vor Jahren im Amsterdamer Kolonialmuseum. An der Wand einer nachgebildeten indischen Armenbehausung hing ein Shiva-Plakat, das mir den Atem nahm: solch freundliche Gottheit, solch fröhliche Kinder, solch harmonische Bonschenfarbigkeit hatte ich noch auf keiner Darstellung, gleich welcher Art, gesehen. Das war heile Welt ohne Falsch und Verlogenheit. - Höre ich da jemand murren? Nun freilich, um diesen Kitsch zu mögen, muß man eine Kinderseele sein.
 

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