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in eigener Sache

An einem der letzten Kalendersommertage des Jahres 1990 saß ich in einer Kneipe, die mittlerweile auf drei Jahrzehnte feucht-fröhlichen Stadtteilmittelpunktdaseins zurückblicken kann, immer noch weitgehend als unhippes Lokal in einem unhippen Viertel betrachtet von den Einwohnern des subkulturellen Zentrums Bremens, und blätterte in der Titanic, bis ich auf eine "Aus Onkel Max' Kulturtagebuch" überschriebene Kolumne stieß. Titel der kurzen, aber aufschlußreichen Betrachtung: "Schränke, Sex, Selbstmord: ein Blick zurück". Der Autor wagte einen Blick in die Zukunft und schrieb, vor ihm lägen "die schweren Jahre von 33 bis 45" - und eroberte mein Herz im Blitzkrieg; fortan war Max Goldt für mich Pflichtlektüre. Eine selbstauferlegte, also freiwillige Pflicht; eine Pflicht wie Honig mit nur gelegentlichem Bitter. Selbstverständlich erwarb ich sein Frühwerk bzw. ließ es mir schenken, erfreute mich an "Die Radiotrinkerin" und dem ersten Band der Titanic-Kolumnenaufsätze "Quitten für die Menschen zwischen Emden und Zittau".

Sein Sprachwitz, der nicht aus dem Nichts kam, sondern Vorbilder hat, ist zu einem meiner Vorbilder geworden, besagter Inspirator (ich lasse das so stehen, obwohl es etwas Anderes zu bedeuten scheint, als ich meine) verlor aber mit der Zeit an Würze. Als Goldt zu erlahmen begann, erlahmte auch mein Interesse, ohne jedoch zu versiegen: ich verdanke dem seltsamen Herrn zahlreiche Momente guter Laune; das bleibt, mag er auch gedanklich stehengeblieben sein (beim Dauerumgang mit den Arrivierten des komischen Gewerbes vielleicht unausweichlich) - schön, schön war die Zeit, ob ich nun die legendäre letzte Zigarette gereicht bekam oder alles über die EFTA und über Sitzsäcke erfuhr. Onkel Max, wir danken dir!

{Nachtrag] Der verlinkte Text ist nicht nur schluderig mit dem Original umgegangen, sondern hat es auch verstümmelt; man erfährt nicht, wer die hingerichtete Frau ist, und das ist doch Teil des Witzes! Also: Original lesen (z.B. in "Die Radiotrinkerin").

Seltsam, daß ich das nie zuvor bemerkt habe; der fünfte Abschnitt der Schatzinsel (Treasure Island von Robert Louis Stevenson) endet mit: "Bring mir eine Fackel, Dicki!" sagte Silver, als ich gefangen war. - Verwirrend. Zumal Dicki auch noch eine Seite aus der Bibel schneidet (was ich niemals tun würde), um den schwarzen Fleck daraufzumalen, weswegen er im weiteren Verlauf von schweren Gewissensbissen geplagt wird. Und nie zuvor war in dem Roman von einem Dicki die Rede. Wenigstens zählte er zu den Überlebenden des Abenteuers, wenn er auch auf der Schatzinsel zurückgelassen wurde.

Auf jener Schatzinsel, die ständig ihre Größe zu verändern scheint; eben ist sie noch so kompakt, daß man sich ständig auf ihr begegnet, schon ist sie so umfangreich, daß eine Tagesreise kaum reicht, sie zu umsegeln. Ähnlich veränderlich, von großer Anpassungsfähigkeit, ist Long John Silver, erst freundlich getarnter Anführer der Meuterer, dann doppelter, schließlich dreifacher Verräter, bis er sich vollends aus dem Staube macht. "Er selbst schlief friedlich und schnarchte laut, aber er tat mit leid, so schlecht er auch war, wenn ich an die Gefahren dachte, die ihn umgaben, und den schändlichen Galgen, der ihn erwartete." Richtig, da klingt bereits das zwiespältige Jekyll-Hyde-Motiv an: liebenswert und doch ein Satansbraten ...

Stevenson läßt sich in einem Aufsatz über Entfernungen, Windrichtungen und Mondphasen aus, der mich glauben macht, hieraus habe sich Arno Schmidt's Mondschein- und Kalenderpeniblie gespeist, aber das wird jetzt zu speziell. Lassen wir es dabei, daß Dicki Attenborough die Schatzinsel verfilmt haben sollte - das wäre so ergreifend geworden, daß er selbst darüber in Tränen ausgebrochen wäre. "Aber Dicki ließ sich nicht trösten; bald sah ich deutlich, daß der Bursche krank wurde." Fehlte nur noch, daß es auf Treasure Island einen Borderline Hill gegeben hätte.

2001 - Odickee im Blograum

Ganz recht, Scheusal Dicki, denn heute habe ich etwas besonders Böses getan, und das kam so: als ich sah, daß ein vor mir strampelnder Radfahrer sein Handy zückte und dabei ausgerechnet an der engen Stelle, wo ich zum Überholen ansetzte, von der geraden Linie abkam und den Weg zu blockieren drohte, klingelte ich sofort - Ping! - mit dem ganz normalen Ping einer Pingklingel. Sofort riß er den Lenker nach rechts und ich fuhr - nun unbehindert - an ihm vorbei. "Geht das auch ein bißchen leiser?" rief er hinter mir her. Ich drehte mich um und fragte: "Sonst noch Probleme?" während er gleichzeitig empört ächzte: "Also wirklich!" Ich mußte kurz und heftig auflachen. Und leider gibt es keine gute Tat zu vermelden, die dieses Böse abmildern könnte. Schrecklicher, abscheulicher Dicki.

Vor die Frage gestellt (vor den Obstregalen stehend), welche Früchte ich kaufen sollte, konnte ich mich nicht entscheiden. Erdbeeren aus Chile? Ach, nee, aus Spanien. Himbeeren aus - äh - auch Spanien. Oder Äpfel? Aber Äpfel sind Problemobst, die werden nicht unbedingt gegessen, und wenn sie erstmal ein paar Tage glegen haben, bleiben sie bis zum Faulen liegen, wäre schade drum. Also wieder Physalis wie letzte Woche? Bestimmt keine Pflaumen aus Südafrika, da ist fruchtig mit mehlig und mit faulig gemischt. Vielleicht Naschi-Birnen, die müssen doch lecker sein! Aber Birnen sind ebenso Problemobst wie die oben erwähnten Äpfel. Die Zeit für Zitrusfrüchte ist vorbei, und Pampelmusen kaufe ich sowieso nicht mehr, seit ich gehört habe, daß israelische Grapefruit umetikettiert worden sind, um sie als Früchte aus einer weniger mörderischen Region auszugeben. Weintrauben aus Argentinien? Ist aber keine Weintraubenzeit. Zeit ist für Rhabarber. Köstlich frischer saurer Rhabarber, der einem beim ersten Bissen den Mund zusammenzieht. Den hatten wir auf der Parzelle, und wie habe ich es als Kind genossen (nach dem ersten Bissen) mit einer Rhabarberstange zum Spielplatz zu laufen oder zum Schwimmverein zu fahren, an den ersten warmen Tagen im Jahr. Nach dieser Erinnerung ist Rhabarber aus dem Supermarkt auch passé. Überhaupt ist jetzt das Obst für mich erledigt. Zu jeder Jahreszeit jedes Obst aus aller Herren Länder angeboten zu bekommen ist kein Fortschritt, es ist einfach Scheiße.

Richtig wäre, angefangen Ende April: Rhabarber, Erdbeeren, Johannisbeeren, Stachelbeeren, Sauerkirschen, Himbeeren, Augustäpfel, Eierpflaumen, Renekloden, Brombeeren, Weintrauben (aber nicht von der Parzelle), spätere Äpfel, Zwetschgen, Pflaumen, Spalierbirnen und Winteräpfel zum Einlagern, rechtzeitig zum Advent importierte Südfrüchte und den Winter hindurch zusätzlich Eingemachtes (und Rumtopf). Oh, und die Pfirsiche, die man damals sommers kaufen konnte, was waren die schmackhaft!

Manchmal widert mich die Moderne dermaßen an. Jetzt habe ich nichtmal Obstsaft kaufen mögen.

Eben zog es mich hinaus, Lockruf der Natur oder was, ich mußte spazierengehen. Die Witterung ist milde, die Luft duftet verheißungsvoll nach frischem Grün und jungen Knospen, Enten quabbeln unentwegt, Jugend rumort mit Bier und Klampfe am Wasser, in der Ferne geben sich Fußballfreunde der Sangesfreude hin, aus nahen Übungsräumen tönt gezupft, getutet und gebest lauer Jazz, Spaziergänger allenthalben, kurzum - man kommt sich vor, als sei es bereits Sommer. Wenn nun noch die Verrückten ihre Schnauze hielten und uns in Ruhe ließen mit ihrem Lebensneid ...

Als ein Kollege mir heute von seinem Alptraum berichtete - ein Kunde hatte sich bei ihm telefonisch über die miserablen Ergebnisse des Programms beschwert, für das der Kollege verantwortlich ist, wie gesagt, ein Alptraum -, fiel mir ein Traum ein, den ich vor wenigen Tagen gehabt, aber aus unerfindlichen Gründen vergessen oder eher verdrängt hatte: mit Interessierten traf ich mich im Hinterzimmer einer Kneipe, um über ein Thesenpapier zur Wiedergründung des Kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW) zu diskutieren. (Alptraum? Ja und nein, jedenfalls blieb ich im Traum ganz ruhig, bis - ja, bis ...) Es gab offenbar Einwände, und ein Vollbärtiger, anscheinend Verfasser des Papiers, erwiderte, erklärte und entgegnete, und zwar wortwörtlich im Brustton der Überzeugung, also mit voller, dröhnender Resonanz. Die sonore Stimme ging mir schnell auf die Nerven und ich erwachte mitten in einer Argumentation des Bärtigen. - Hatte ich geschnarcht?

Der Mensch gewöhnt sich an vieles und hat diese Fähigkeit schon oft bewiesen. Er hat sich an den Maschinenlärm in den Fabriken gewöhnt, an den Maschinenlärm in den Straßen, an den Maschinenlärm in der Luft, und auch an den Maschinenlärm in und aus den Wohnungen. So wurden die Nachbarn, nur ein paar Häuser weiter beheimatet, mit Rührung willkommen geheißen, als sie nach der Rückkehr aus ihrem Urlaub - ganz Techno-Liebhaber - die Umgebung mit einem Potpourri beliebter Bummbummbumms erfreuten.

An all das hat sich der Mensch gewöhnt und ich bin wohl kein Mensch, daß mir all das immer noch fremd, unangenehm und sogar bedrohlich erscheint. Ich glaube, mit meinen Gefühlen stimmt etwas nicht. Ist aber nicht weiter schlimm; das entspricht sicher einem kürzlich entdeckten Krankheitsprofil, für das kürzlich spezialisierte Experten kürzlich entwickelte Pharmaprodukte empfehlen können. - In einer aufgeklärten Zivilisation sind Gefühlsduseleierkästen das Problem und sonst gar nichts.

Gerade heimgekommen, reißt mich das Pingeln ans Telefon, könnte ja wichtig sein. Äh, nein. Sozialinstitut Sowieso, Umfrage blabla. - "Ich beteilige mich an sowas nie." - Das sei schade; es gehe um die Verbesserung von beispielsweise Apotheken. - (ungnädig) Es gehe immer um Verbesserungen, trotzdem täte ich nicht mit. Das tue mir leid für sie (kann ich vollkommen emotionslos sagen), aber ich wünschte ihr noch einen schönen Abend (das dann doch mit Gefühl). Trennung, schiedlich-friedlich.

Ein paar Tage zuvor mal wieder die Telekom, und zwar mit einer neuen Masche: ich hätte keinen Tarif. Zwar einen Telefonanschluß (für den ich gemäß Tarif bezahle, das nur nebenbei), aber keinen Tarif ausgewählt, "nach den mir vorliegenden Informationen". Ich sagte was von falschen Informationen, daß wir das Gespräch nun mal besser beenden und daß ich binnen dreier Monate wieder von diesem Sündikat der Telekom hören werde; das sei so sicher wie der Knopf im Opferstock (sinngemäß). Für diese Masche - verantwortungslosen Kunden, die sich an unzeitgemäße Billigtarife klammern, die Moderne nahebringen - hat doch bestimmt ein Berater fettes Geld kassiert, das ich dann mittels zeitgemäßem Tarif abstottern helfen darf.

Nee, nee! E-Mail: Spam, Telefon: Marketing - alles abschaffen. Am besten nur noch Briefe schreiben.

ganz dumme Sachen, und biedere Menschen begreifen nicht den Witz, der sich darin verbirgt. Im Stillen freue ich mich dann über ihre Ratlosigkeit. Schöner ist es aber, verstanden zu werden, so wie gestern, auf einer Gratwanderung am Rande des Schwachsinns. Weil ich meistens Sonnabends meinen Tabak kaufe, glaubte ich, meiner Tabakhändlerin eine Erklärung dafür zu schulden, daß ich an einem Freitag ihren Laden betrat: "Heute komme ich mal heute!"

 

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