1968
aus aller Welt
ballaballa
Beobachtungen in der Natur
charmsing
deutsche kenneweiss
Dicki TV
Dickimerone
Dickis Reisen
die kleine Anekdote
dirty old town
Empfehlung
Erwins Welt
Eugen
in eigener Sache
Java
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren
icon

 
Tiefsinniges Geklimper. Im Studio sitzen der Moderator und zwei Gäste in dunklen Ledersesseln, zwischen ihnen ein Tisch aus Glas und Chrom. Rolltitel: "Wenn und Aber", "Das Gedicht", "durch die Sendung führt:", "Humbert Mumpitz". Das Klimpern versickert.

Mumpitz: Guten Abend, meine sehr verehrten Damen und Herren. Heute zu Gast im Wenn-und-Aber-Studio: Herr Doktor Unstroh, Verfasser der Denkschrift "Morgens gefügt, abends gedichtet" (deutet nach rechts, Applaus), und Herr Professor Wirsing, der in der Reihe "Schritt für Schritt" den Band "Das Gedicht im Wandel der Zeit" veröffentlichte (deutet nach links, Applaus). Bevor wir jedoch in medias res gehen, wollen wir die Zuschauer mit einem kurzen Film auf unser Thema einstimmen. Bitte.
MAZ: Ein Zeichentrickvorleser. "Es naut die Blacht." Errötet, verzieht den Mund. "Es blaut die Nacht, die Sternlein .."
Mumpitz: Halt, halt, das ist falsch. Hallo Regie, können wir die andere MAZ haben?
Regie: (blechern) Die MAZ liegt leider nicht vor.
Mumpitz: Hmmnnja. Nun, dann - Herr Unstroh, Sie gucken so ungeduldig, wollten Sie etwas sagen?
Wirsing: (süffisant) Ach, bei Ihnen muß man ungeduldig gucken, um zu Wort zu kommen.
Unstroh: (spitz) Offenbar genügt das allein nicht, eine gewisse Vordrängelmentalität ...
Wirsing: Ich muß doch sehr bitten!
Unstroh: Na bitte. Ich wollte lediglich anmerken, daß wir hier und jetzt sehr rasch zu einer Einigung kommen können, denn es ist doch so, nicht wahr, das Gedicht ist die Popmusik der Literatur.
Wirsing: Nein. Nein. So geht das nicht.
Unstroh: Die Popularität läßt sich aus den Zahlen des Buchhandels eindeutig beweisen: zwei komma fünf Millionen verkaufte Gedichtbände allein im vergangenen Kalenderjahr. (schwenkt ein Papier)
Wirsing: (hält seinerseits ein Papier hoch) Wenn Sie schon mit statistischem Material aufwarten, müssen Sie aber auch dazusagen, daß allein 73,24 Prozent auf die Herren Goethe und Schiller entfallen, die, das dürfen wir getrost unterstellen, als ungeliebte Geschenke in Bücherregalen verstauben, man kennt das doch.
Unstroh: Selbst wenn dem so wäre, Herr Kollege, blieben noch eine halbe Million Bände. Bei einem Umfang von durchschnittlich 50 Gedichten mit rund 16 Zeilen entfielen immerhin 5 Verse auf jeden Bundesbürger, was einer Strophe aus Goethes "Sah ein Knab' ein Röslein steh'n" entspräche.
Wirsing: Was soll das beweisen? Das ist doch diese typische statistische Augenwischerei. Entspricht denn, möchte ich mal in aller Bescheidenheit fragen, die (mit spöttischem Nachdruck) Qualität dieser fünf Verse auch einer Strophe Goethens? Na? Na also. Da haben wir doch das Dilemma. Nehmen Sie nur Klopstock.
Unstroh: Was ist denn mit Klopstock?
Wirsing: (triumphierend) Wird nicht mehr gelesen!
Unstroh: Aber Mörike!
Wirsing: Was ist mit Opitz?
Unstroh: Heine!
Wirsing: Scheffel!
Unstroh: Schubert!
Wirsing: (verwirrt) Schubert?
Unstroh: Habe ich Schubert gesagt? Ich meinte natürlich Allert-Wybranitz.
Wirsing: (schnaubt) Sagen Sie doch gleich Courts-Mahler!
Unstroh: (springt erregt auf) Sehr verehrter Herr Kollege!
Regie: (blechen) Die MAZ liegt jetzt vor.
Mumpitz: Danke, liebe Kollegen von der Regie, aber leider läuft uns wieder einmal die Zeit davon. Eine letzte Frage an unsere beiden Gäste: welche Gedichte hatten Sie als Kinder am liebsten. Herr Wirsing?
Wirsing: (erhaben) Struwwelpeter.
Mumpitz: Herr Unstroh?
Unstroh: (kichert) Max und Moritz.
Mumpitz: Aha. Und damit sind wir am Ende der heutigen Sendung. Ich darf mich bei meinen Gästen ganz herzlich für die klärenden Worte bedanken, und wünsche Ihnen daheim und hier im Studio noch einen angenehmen Abend. (Applaus)

Tiefsinniges Geklimper. Rolltitel des Abspanns. Dahinter das Studio; Wirsing und Unstroh sind aufgesprungen und schreien sich an.
MAZ: ... unterscheidet der Fachmann mindestens siebzehn unterschiedliche Reime. Die bekanntesten sind Stabreim, Binnenreim, Kehrreim und Abzählreim. Schon die alten Griechen ...
Sender: Bild- und Tonausfall.
 

twoday.net AGB

xml version of this page

powered by Antville powered by Helma