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1973 liefen im Cinema Ostertor mehrere Musikfilme, und Joachim und ich haben sie uns angesehen: "Cream live at the Royal Albert Hall", "Emerson, Lake & Palmer in Concert", und selbstverständlich "Woodstock". Die Leute vom neuen Plattenladen "Ear" verteilten vor dem Kino Handzettel, auf denen das Dreifachalbum für einen Sonderpreis avisiert wurde (wovon Joachim Gebrauch machte; ich war mal wieder pleite). In den Wochen und Monaten darauf haben wir unsere Helden nachgemacht, haben geträllert, gestöhnt, gesungen, gecrooned, geschrien, geächzt und gepfiffen was die Lungen und Stimmbänder hergaben, haben über Grimassen und Gestik geredet und gelacht, und hörten außerdem wie die Besessenen Slade und Roxy Music, vielleicht noch Stevie Wonder. Was ich aber verdrängt hatte, war die Tristesse, die den Auftritt Jimi Hendrix' in dem Woodstock-Film umgab.

Gestern, endlich im Besitz einer Kopie ("Director's Cut", 3:44 h), sagte ich mir, wenn der Nachmittag verregnet sein sollte, sehe ich mir das Spektakel noch einmal an. Der Regen blieb aus ("no rain! no rain! no rain!"), es wurde Abend, ich hatte Lust auf den Film, und los ging's. Im Unterschied zur früheren Fassung waren Jefferson Airplane mit der großen Grace Slick zu sehen und hören (Grace nur als Begleitstimme bzw. Zuhörerin - Brothers wurde wie immer groß, Sisters kleingeschrieben, außer bei Joan Baez und der kreischenden Janis Joplin), und es gab mehr Jimi Hendrix, was mich freute, denn er hat pausenlos gespielt, von einem Song in den nächsten hinüberimprovisiert, sehr beeindruckend. Virtuosität sagt mir nichts, wenn sie die Musik benutzt, statt sich ihr unterzuordnen; "Voodoo Chile" (unter anderem) ist ein schönes Gegenbeispiel.

Ich sah also diesen Auftritt, den Abschluß des Festivals, statt der Zigtausend vor der Bühne maximal Zehntausend ausgeharrt habende Enthusiasten, im Hintergrund Schlamm und Müll; zunächst Voodoo Chile, überleitend in Star Spangled Banner, dazu dann die Bilder des verlassenen Geländes, Bilder vom Einsammeln des Mülls (Essensreste, Stoffetzen, Pappen, Verpackungen), ein Mann mit Krücken und sein Kumpel, in dem Unrat Melonenviertel essend, eine humpelde Frau mit bandagiertem Fuß, auf einen Helfer gestützt; Hendrix improvisiert, Müll, Müll, Müll und verlassenens Gelände: und der so müde aussehende Gitarrenheld; müde nicht nur von einer kurzen Nacht; die ganze Tristesse der Szene stürzte auf mich ein, der Spaß ist vorbei, die Revolution ist vorbei, bevor sie begonnen hat; wir machen Atemübungen, baden nackt, kiffen und drücken, wir sind - im Gegensatz zum offiziellen Amerika - die spirituelle Creme und erteilen der Welt eine Lektion: und bald wird sie genauso fucked up sein wie wir, nur daß weder wir noch sie es zu diesem Zeitpunkt wissen. Der Film ist am Ende ungewollt prophetisch.

Das hatte ich damals gespürt, unbewußt, und natürlich sofort verdrängt, das war zu heftig. Vergessen konnte ich es nicht, jetzt ist es alles wieder präsent, da weder Naivität noch Unsicherheit mich zum Zwangsoptimismus drängen können, von dem "3 Days of Peace und Music" so programmatisch erfüllt ist - bis zum geschilderten Ende.

When the music's over - turn out the light.
 

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