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Der Leichtsinn von Herrn Goethe hat mich doch noch länger beschäftigt. Setzt sich da kackfrech hin und zeichnet die Grenzanlagen! Wenn Unsereiner das an der Zonen innerdeutschen Grenze versucht hätte, womöglich mit Kamera - das hätte einen schönen Tumult gegeben. So etwas durfte nur der BGS von Westen und die NVA von Osten (die kannte das Teil aber ohnehin). Das scheinen mir damals aber auch seltsame Grenzen gewesen zu sein: kein Zaun, keine Mauer, keine Schranke - so lädt man seine Feinde doch geradezu ein.

Herr Goethe ist wild entschlossen, sich nicht nur der alten römischen Kultur sondern auch den neueren italienischen Künsten zu widmen, ob Malerei, Architektur, Schauspiel, Bildhauerei, Musik; sogar das tägliche Leben will er sich reintun. Mir gefällt durchaus, daß er nicht bloß einen Camrecorder in die Gegend hält, sondern alles auf sich wirken läßt, aber irgendwie übertreibt er auch. - Als erstes sucht er in Verona natürlich das schon erwähnte Amphitheater auf.

Wenn [das Volk ebendort] sich so beisammen sah, mußte es über sich selbst erstaunen, denn da es sonst nur gewohnt, sich durcheinander laufen zu sehen, sich in einem Gewühl ohne Ordnung und sonderliche Zucht zu finden, so sieht das vielköpfige, vielsinnige, schwankende, hin und her irrende Tier sich zu einem edlen Körper vereinigt, zu einer Einheit bestimmt, in einer Masse verbunden und befestigt, als e i n e Gestalt, von e i n e m Geiste belebt. Die Simplizität des Oval ist jedem Auge auf die angenehmste Weise fühlbar, und jeder Kopf dient zum Maße, wie ungeheuer das Ganze sei. Als erstes denke ich an die ungeheuren Ereignisse in den ungeheuren Stadien unserer Zeit, dann fällt mir auf, daß im "Oval" die Masse immer noch aus Individuen besteht, die in den Marschkolonnen der Massenaufmärsche zu Kleinstteilen einer Maschinerie geworden sind - er beachtet mich nicht, ist ganz seinen Beobachtungen und Betrachtungen hingegeben.

Der Geist, der von den Gräbern der Alten herweht, kommt mit Wohlgerüchen wie über einen Rosenhügel. So geht es durch Verona, mit großen Augen durch das Theater und durch Ausstellungen. Endlich foppt ihn ein Passant, weist ihm vielsagend den Innenhof eines Prachtgebäudes: Es war der Palast der Justiz. [...] Ich sah umher, und durch alle Stockwerke gingen an zahlreichen Türen hin offene, mit eisernen Geländern versehen Gänge. Der Gefangene, wie er aus seinem Kerker heraustrat, um zum Verhör geführt zu werden, stand in der freien Luft, war aber auch den Blicken aller ausgesetzt; und weil nun mehrere Verhörstuben sein mochten, so klapperten die Ketten bald über diesem, bald über jenem Gange durch alle Stockwerke. Es war ein verwünschter Anblick.

Auf einem freien Flecken findet ein Ballspiel statt, jedoch bleibt mir die Schilderung unverständlich. Wieder will ich ihm von unseren Ballspielen in unsren Arenen erzählen, aber es ja keinen Zweck, er hört gar nicht hin, sondern erklärt mir die hiesige Zeitrechnung, die offenbar nicht nur gegen die Uhrzeit versetzt ist, sondern sich mit der Anzahl der hellen Stunden im Lauf der Jahreszeiten ändert. Wenn man dies zum erstenmal hört und überdenkt, so scheint es höchst verworren und schwer durchzuführen, man wird es aber gar bald gewohnt und findet diese Beschäftigung unterhaltend, wie sich auch das Volk an dem ewigen Hin- und Widerrechnen ergötzt, wie Kinder an leicht zu überwindenden Schwierigkeiten. Sie haben ohnedies immer die Finger in der Luft, rechnen alles im Kopfe und machen sich gern mit Zahlen zu schaffen. Wie war das jetzt: die Glöcke läutet die erste Stunde, wenn meine Uhr acht zeigt? Ich sehe mich schon immer die Finger in der Luft haben.
creature meinte am 11. Apr, 23:16:
...bin ja schon sehr gespannt wie die reise weitergeht... 
Dicki antwortete am 12. Apr, 19:25:
Oh, danke. Selbstverständlich ist aber das Original interessanter als meine Verballhornung. Muß ich an dieser Stelle einfach mal sagen. Also: Dicki lesen - gut. Goethe lesen - wunderbar. 
quirinus antwortete am 12. Apr, 19:30:
Goethe schreibt aber manchmal recht schweinisch. Ihn zu empfehlen könnte Ihnen Ärger einhandeln, Herr Dicki. 
creature antwortete am 12. Apr, 19:30:
will ich goethe lesen kauf ich einfach ein billiges reclam hefterl, aber eine reise von dicki mit goethe find ich nur hier. 
Dicki antwortete am 13. Apr, 13:46:
@ quirinus: Erstaunlich, worüber manche Leute sich ereifern, bisweilen schon grotesk. Ach was: lächerlich.
@ creature: dann weiterhin viel Vergnügen. 
 

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