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Beobachtungen in der Natur

Steh ich heut an einer Ampel, die Linksabbieger aus der Gegenrichtung brausen vorbei. Ein Laster nähert sich, beschleunigt - aha, denke ich, jetzt ist die Ampel Gelb - und saust auf die Kreuzung und legt sich in die Kurve: den hab ich schon kippen sehen. Der Fahrer (stand da "Günter" auf seinem Namensschild oder phantasiere ich?) sah mich kurz an, vermutlich stolz, daß er mir eine oder zwei Sekunden meiner Grünphase wegschnappen konnte. - Na und, solange der nur anderswo umkippt!

Weil der Kollege Huflaikhan mich hier kürzlich besuchte, las ich endlich wieder in seinem Weblog Kritische Masse, und zwar just, als er dort einen Aufsatz von Siegfried Kracauer aus dem Jahr 1929, "Die Angestellten", besprach. Darin beobachtet Kracauer die Normierung der Menschen in all den kleinen, unscheinbaren Anpassungsschritten, die uns heute so sehr vertraut sind, daß ein Fernseh-Camp mit Schönheitsoperationen durchgeführt werden kann (in den USA bereits erfolgreich gesendet). Die "zivilisierte Welt" benötigt keine Individuen mehr (weder in körperlicher noch in geistiger Hinsicht). Insofern drehen wir uns nicht im Kreis, sondern erleben die Verdrängung des homo sapiens sapiens durch (neuro-linguistisch) programmierbare Humanoiden. Mehr dazu beim spielverderber.

Ein immer wieder schöner Witz: ein Käufer ruft beim Kundenservice an und schimpft, daß sein nagelneuer Computer nicht funktioniert. - "Haben Sie das Gerät denn auch eingeschaltet?"

Die Wirklichkeit stellt aber alles in den Schatten und ist auch nicht witzig, wie ich heute als unmittelbar Beteiligter erfuhr. Da saßen wir Stunden am PC einer Freundin, endlich war - nach tagelang erduldeten Rückschlägen (die ich zum Glück nicht miterlebt hatte) - alles installiert und die Webverbindung erfolgreich eingerichtet (zum x-ten Mal), nur noch eben gesicherte Dateien vom ZIP-Laufwerk überspielen. Absturz. Noch einer. Und noch einer. Und plötzlich gab's auch kein Internet mehr. Wir waren ratlos.

Mein Blick fiel auf den Fußboden, ich sah bunte Fäden in einem schwarzen Stoffband, so dachte ich jedenfalls, fragte ahnungslos: was ist das hier eigentlich, fasste es an, lupfte den Teppichrand, unter dem es verschwand - man glaubt es kaum, es war das Modem-Kabel, mehrfach aufgesprungen, sodaß die farbig umhüllten Drähte herausquollen; mehrere Quetschstellen waren sichtbar, sogar ein regelrechter Knick. Wieder mal ein Fall von Kontaktstörungen.

Da wunderte uns gar nichts mehr: durch solche Türen mag das Internet nicht eintreten.

Vorhin beim Einkaufen staunte ich wieder über gewisse Radfahrer. Es sind gewiß ordentliche Menschen, denn sie stellen ihre Vehikel nicht kreuz und quer ab, sondern direkt vor dem Fahrradständer; leider unter Mißachtung der Haltebügel, so daß sie meist ungebührlich viel Raum einnehmen und Anderen den Zugang zum Abstellplatz versperren. Die Begrüdung ist ebenso einfach wie nichtsahnend: die Bügel sind zu breit, so daß ein hineingestelltes Rad sich zur Seite neigt und die Felge verbiegt. Blödsinn, das hätte ich wohl schon längst am eigenen Rad erfahren. Diese Leute tun nicht, was ihnen Freude macht, sie brauchen fadenscheinige Gründe für ihre Extrawürste: Fahrrad-Adel.

Noch Unglaublicheres als jenes windige Argument erfuhr ich gestern: rund um den Globus sind 96 (?) Spezialcomputer aufgestellt, die eine Art EKG des Planeten Erde aufzeichnen. Sie spucken eine Endlosreihe Einsen und Nullen aus. Und - unglaublich und garantiert nicht wahr - vier Stunden vor den Anschlägen des 11. September 2001 kamen nur noch Nullen (oder waren es Einsen?).

Das sollte uns zu denken geben. Umberto Eco schrieb 1987 im Vorwort zu seiner Aufsatzsammlung Über Spiegel und andere Phänomene: "In den Regalen der Buchhandlungen, wo vor zwanzig Jahren noch Die Zerstörung der Vernunft von Lukács zu finden war, stehen heute Werke von Julius Evola, René Guénon, G.J.Gurdjieff, Titus Burckhardt und von Meistern des östlichen Denkens, Handbücher der Alchimie, der Astrologie, der Wahrsagerei und der schwarzen Magie. Man hat den Eindruck, daß Chesterton recht hatte, als er sagte: 'Seit die Menschen nicht mehr an Gott glauben, glauben sie nicht etwa an nichts mehr, sondern an alles.' "

Mit einer Ausnahme, möchte ich hinzufügen: an den guten alten Weihnachtsmann glaubt niemand. Vermutlich weil alle gern Geschenke bekommen, aber nicht für ihre Taten verantwortlich sein wollen.

Als das meisterliche Gehupe anhub, nahm ich mein Rad und sauste um den Werdersee (natürlich, ohne 'Werder' geht heute gar nichts). Aus der Wildnis des ehemaligen Parzellengebietes, daß 1981 von der Schmelzwasser führnden Oberweser verwüstet worden war (das Weserwehr konnte damals wegen eines Defekts nicht zur Entlastung geöffnet werden), hörte ich deutlich und weithin vernehmbar: "Kuckuck! Kuckuck! Kuckuck!" Hatte ein Witzbold eine Kuckucksuhr in einen der Bäume gehängt? Sehr unwahrscheinlich, das mußte ein wirklicher, lebendiger Kuckuck sein. Darüber habe ich mich mehr gefreut als über den doch auch sehr erfreulichen Titelgewinn des SV Werder Bremen.

Welcher immer noch behupt und beschrien wird, auch wenn die Intensität allmählich nachläßt (jetzt ist gerade Mitternacht vorüber). Für 20 Uhr 45 wurde die aus München heimkehrende Mannschaft erwartet, und so bewegte sich die über Bremen hängende Hupglocke ab Acht in Richtung Flughafen, verebbte - und kehrte ab Zehn in die Innenstadt zurück, durch deren Straßen und über deren Brücken sie sich seitdem wälzt. Mittendrin immer wieder Polizeisirenen und Fangesänge von eigenwilliger Harmonik. Bis vor wenigen Minuten lagerte ganz in der Nähe eine Gruppe junger Männer und brüllte und gröhlte ihre - tja, kann man das so sagen? - Freude heraus. Eigentlich klang es mehr wie angestauter Frust, was ihren Kehlen entströmte. Nu sind se wech, und ich kann schreiben.

Als Bremen noch in gespannter Erwartung der Entscheidungsschlacht im Münchener Olympiastadion entgegenfieberte, wo die Heerscharen des Guten und des Bösen aufeinanderprallen sollten, heute vormittag nämlich, stand ich im Supermarkt mal wieder in der falschen Schlange; aber so was von falsch, wie es mir noch nie begegnet ist. Der Herr vor mir erkundigte sich bei der Kassiererin (beide um die 50), ob noch Johnny Walker vorrätig sei, er habe im Regal keinen finden können. Die hilfsbereite Frau erhob sich gleich, um hinter der Tür "Zutritt nur für Angestellte" Erkundigungen einzuholen. Mit einem bedauernden Nein kehrte sie zurück, rief aber sogleich eine Kollegin an, ob nicht doch noch irgendwo im Lager ...

Möglicherweise gäbe es den Whisky doch, sie wolle gleich einmal selbst nachschauen gehen. "Das wäre sehr freundlich von Ihnen", sagte der Herr leicht beunruhigt, da aus seiner bescheidenen Frage eine Staatsaktion zu werden drohte. Eine verneinende Äußerung hätte aber auch nichts geändert, da die Frau bereits geschäftig auf die bereits erwähnte Tür zueilte. Auf dem Rückweg sprach sie noch eine Kollegin an und huschte dann an den Wartenden vorüber: "Jetzt habe ich so ziemlich alle Schlüssel." Und schon verschwand sie zwischen den Regalen. Der Herr unterhielt sich, nun ein wenig ungeduldig, mit seinem Sohn in fremder Zunge. Unsere Blicke begegneten sich und ich lächelte ihm amüsiert zu. Hätte er diesen Aufstand vorausgeahnt, würde er wohl kaum gefragt haben.

Zu guter Letzt kam die Frau an die Kasse zurückgeeilt. Es gäbe doch keinen Johnny Walker mehr, es täte ihr leid. Der Herr bedankte sich höflich, bezahlte und ging, gefolgt von seinem Sohn. Die Kassiererin war glücklich und sah zunächst ihn, dann auch mich freudestrahlend an. Sie kam gar nicht auf die Idee, sich für die Wartezeit - immerhin mehr als fünf Minuten - zu entschuldigen. Sie hatte genau das Richtige getan, nämlich alles versucht, um für Papas Wohlbefinden zu sorgen, und dafür auch die erhoffte und verdiente Anerkennung gefunden, davon war sie offenbar überzeugt. Ich schwöre, sie war glücklich.

 

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