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Mein Weg führte durch die Bischofsnadel und die Wallanlagen, an dem kleinen Süßigkeitenladen vorbei (in dessen Schaufenster ich eines Abends eine Maus naschen sah) und über die Wallgrabenbrücke, schon hatte ich das Zentralbad mit seiner hohen Fensterfront im zweiten Stockwerk vor mir. Der Eingang aber befand sich an der Längsseite und führte in eine geräumige Halle, in der es außer Sitzbänken und Ausstellungsvitrinen auch einen Kiosk gab, soweit ich mich entsinne. Eine breite Treppe, auf halber Höhe nach links und rechts schwenkend, leitete die Besucher in die obere Halle und in den nach Geschlechtern getrennten Einlaß. Dort bezahlte man oder sagte den Namen des Schwimmvereins, zu dessen Trainingsstunde man erschien, und bekam einen farbigen Gummiring ausgehändigt, den man in den Schwimmhallen - es gab ein Schwimmer- und ein Nichtschwimmerbecken - um den Fußknöchel oder um das Handgelenk trug. Die Angestellten, so erinnere ich mich, waren alle in weiß gekleidet.

Vom Einlaß kam man zu den Umkleidekabinen, von dort in die Duschräume, und dann hatte man die Wahl, in welche der beiden Hallen man sich begeben wollte. Zunächst hatte ich aber das Zwischenstockwerk aufzusuchen. Dort, in einem fensterlosen Raum, kommandierte Herr Flohr eine Horde Wasserflöhe, die, von aufblasbaren Ringen umgürtet, in einem flachen, gekachelten Bassin mit den Schwimmbewegungen vertraut werden sollten.

Daß man das Schwimmen erlernen muß, wußte ich wohl, aber es bedeutete mir wenig, denn ich war mit dem Wasser auf du und hatte keinerlei Scheu. Im Sommer vor meinem siebten Geburtstag spielte ich in der Badebucht meines Schwimmvereins den Kameraden "Ertrinken" vor, eine dramatische Szene. Prompt rettete mich ein aufmerksamer Erwachsener - und ich wehrte mich nach Kräften, als mich Unterwasser ein kräftiger Arm packte und nach oben zerrte. Die Eltern waren sich einig: der Junge muß seinen Freischwimmerschein machen.

Mein großer Bruder nahm mich mit ins Zentralbad, zum Schwimmerbecken, und der Bademeister - weißes Hemd, weiße Hose - erklärte, daß ich auch gleich den "Fahrtenschwimmer" machen könne, wenn ich insgesamt eine halbe Stunde im Becken herumschwämme. Und so geschah es. Es wurde mein erster Vorstoß in die Erwachsenenwelt, denn fortan durfte ich im Schwimmerbecken schwimmen, durfte diese Halle mit dem Sprungturm und der Zuschauertribüne jederzeit betreten, die ich bisher nur von den Weihnachtsveranstaltungen des Schwimmvereins als Zuschauer auf der Tribüne kannte.

Hier nahm ich dann auch an den Trainingsstunden meiner Altersgruppe teil und wurde oft von den Eltern abgeholt und nach Hause geleitet - über die Wallgrabenbrücke, am Süßigkeitenladen vorbei, durch die Wallanlagen und die Bischofsnadel auf den Dom zu, über die Domsheide, vor den Schaufenstern der Zoohandlung verharrend, weiter die Balgebrückstraße hinunter und über die Weserbrücken - mit vom stark chlorierten Wasser rotgeäderten Augen, verschwommen sehend, breite Lichthöfe um die Straßenlaternen.

Eines frühen Abends, ich saß auf der untersten Tribünenstufe und wartete auf meinen Einsatz, während andere Kinder bereits gegen die Stopuhr ihre Bahnen zogen, sah ich im Licht der tiefstehenden Sonne, direkt vor einem der mehrfach unterteilten großen Fenster, einen Mann in Badehose, dessen Brust und Rücken so stark behaart waren, daß es wie ein Pelz wirkte. Ich war schockiert und fragte mich, ob das ein Tiermensch sei?

Mein Bruder besaß eine stattliche Sammlung der farbigen Gummiringe, die eigentlich beim Verlassen des Bades abgegeben werden mußten. An den Stirnseiten der Hallen waren rechteckige Leuchttafeln angebracht, die jeweils in der Farbe jener Schwimmer glommen, deren Badezeit abgelaufen war; eine Stunde, glaube ich, war üblich. Das war der Sinn der Gummiringe. Manch jugendlicher Besucher des Zentralbades dürfte sich wohl eine Sammlung davon zugelegt haben. Diese Tafeln und die großen Fenster gaben dem Bad eine ganz eigene Atmosphäre - zumindest für mich, als Kind.

Nach dem Willen der Stadtväter hätte aus dem ehemaligen Zentralbad Anfang der 90er Jahre ein erfolgreiches Musicaltheater werden sollen. Doch erfolgreich war nur das Unternehmen, das die erforderliche Umbauten vornahm sowie der Musicalveranstalter. Vermutlich war das auch der ganze Sinn der Sache. Denn eine Hand schmiert die andere; in Bremen ebenso wie anderswo.
 

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