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Meine Eltern waren vernünftige Leute, im Sinne von wohlerzogen, redlich, maßvoll; sie konnten sich freuen, dankbar sein, sich ärgern, auch bis zur Wut empören und manchmal weinen: normale Menschen eben mit Macken wie du und ich. Weihnachten gab es keinen Streit, keine tränentriefende Sentimentalität, und es gab Geschenke, um uns allen eine Freude zu bereiten: das Fest wurde festlich begangen und der Alltag hatte draußen zu bleiben - man hatte sich dem Anlaß gemäß gefälligst zu benehmen. Natürlich gärte Manches unter der Oberfläche, aber: Benimm, nicht wahr?

Als ich vier Jahre alt war, nahm Muddi mich zum ersten Mal mit in die Christmesse, am späten Nachmittag, es dunkelte bereits (Vaddi kochte derweil unser Festessen: Hühnerfrikassee, die ich aus schierer Aufregung noch vor der Bescherung erbrechen mußte). Im Eingang wurden die Gemeindemitglieder willkommen geheißen, wir betraten das Kirchenschiff, riesig und hallend, erfüllt von Stimmengemurmel, Stoffgeraschel und Bänkeknarren. Der Küster entzündete die letzten Kerzen, den Adventskranz hatte er bereits unter das Gewölbe gehievt. Ich weiß es nicht mehr, aber mit dem Eintritt des Pastors wird die Orgel ertönt sein; ein Klang und eine Musik, die mich trafen und berührten, in meinem tiefsten, tiefsten Element.

Die Orgel war an der Rückseite, vorne Chor und Altar, rechts davon, auf halber Höhe einer Säule, die Kanzel. Der Pastor durchmaß den Gang und stieg die Wendeltreppe hinauf. Oben angekommen ließ er Ruhe einkehren, mucks - ein letzter Muckser - mäuschen - Knarren, Rascheln, Hüsteln - still - prrrtscha! - mußte es erst sein.

Dann las er aus der Weihnachtsgeschichte: "Es begab sich aber zu der Zeit ...". Und da alle Welt geschätzt werden sollte, begaben sich Joseph und Maria an ihren Heimatort Bethlehem; Joseph, der Tischler und Maria, sein Weib, die schwangere Jungfrau; und sie fanden Unterkunft in einem Stall, da ihnen Ochs und Esel Gesellschaft leisteten; und Maria gebar einen Knaben, und siehe: ein Stern stand über dem Stall. "Fürchtet euch nicht" erschien den Hirten auf dem Felde ein Engel, und "Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen"; die heiligen drei Könige - Kaspar, Melchior und Balthasar - , die irgendwie durch die Straßensperren der israelischen Besatzungs - äh nein, halt, stop, damals war Palästina unter der Herrschaft Roms - die also, nun, wie auch immer, sie huldigtem dem Jesuskind mit Myrrhe, Weihrauch und was weiß ich -

"Wir singen nun ..." verkündete der Pastor das Lied und gab die Seitenzahl im Kirchenliederbuch an. Die Orgel erscholl, auf ihrem Fundament baute die Gemeinde ihren Gesang, vielkehlig, mehrstimmig auch, teils gekonnt, teils unfreiwillig. Und die Gemeinde verschmolz in der Musik und wurde Eines, ich spürte es wohl; die Gemeinsamkeit, die Kraft und die Herrlichkeit (ich war klein, mein Herz war rein, und ich wußte noch nichts von der Schäbigkeit, die hinter mancher Fassade wohnt).

So wechselten sich Pastor und Gemeinde ab, und schließlich sprachen wir das Vaterunser, "der du bist im Himmel", und "dein Reich komme, wie im Himmel, also auch auf Erden", und "vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern", und "in Ewigkeit", und so sicher wie das Amen in der Kirche: "Amen".

Denn es war Weihnachten, und wir gingen beeindruckt und erhoben nach Hause, wo das gemeinsame Essen in der nur von Kerzen erleuchteten Küche, Gesang beim Lichterschein des Christbaums und die Bescherung unserer harrten, der eigentliche Höhepunkt des Abends, selbstverständlich, erst die Besinnung und dann die ungetrübte(?) Freude.

Schokoladenadventskalender, Weihnachtsmanngehampel, Kaufrausch, sentimentale Ausbrüche, Lichterkettengetue, was ist das schon? Doch nur Eitelkeit und ein großes Übel unter der Sonne. Sela.

Postskriptum: Ich weiß nicht, ob das Fernsehen in diesem Jahr auch "Fanny und Alexander" gebracht hat, das letzte Filmwerk von Ingmar Bergman (die Kinofassung drei Stunden, für's Fernsehen ein Vierteiler von insgesamt sechs Stunden); der erste Teil zeigt die Weihnachtsfeier einer schwedischen Bürgerfamilie um ca. 1900 und ist ganz wunderbar. Und ein Blick hinter die Kulissen, na klar, Ingmar Bergman.
 

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