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in eigener Sache

Gestern abend geht das Telefon. Ich melde mich, höre verhaltenes Schweigen, dann klack. Zwei Minuten später ganz ähnlich. Diesmal sage ich "Hallo!" in das Schweigen, und es antwortet. "Hier ist Petra!" sagt eine verlebte Stimme in einem Ton, als müßte ich diese Petra kennen. Und dann: "Ich bin deine Schwester."

Ich sach: " Nee", sach ich, "meine Schwester heißt Elisabeth." - "Du bist mein Bruder", schon beinahe beschwörend. - "Ich kenne meine Schwester, und du bist das nicht." Ein kurzes Hin und Her, bei dem sie mir erzählt, unser Vater habe 13 Kinder gezeugt - Ha! - und ich, um Geduld bemüht, wiederhole, daß ich nicht derjenige bin, den sie anrufen will. "Na schön. Dann bitte ich erstmal um Entschuldigung." - "Macht doch nichts. Tschüs." Erstmal? Das klingt schon fast drohend.

Kopfschüttelnd sitze ich da. Diese Aufdringlichkeit! Ob die sich vorher Mut angetrunken hat? Die Aussprache war allerdings deutlich. Warum hat sie nicht Fragen gestellt, dann wäre die Angelegenheit sofort geklärt gewesen. Also bitte, ich kenne doch meine Familie. Hätte mein Vater - für den ich mich in vielerlei Hinsicht verbürgen kann - anderswo Kinder "gemacht", dann hätten wir gewiß nicht denselben Familiennamen.

Heute was ganz anderes: es klingelt an der Tür, ich melde mich durch die Sprechanlage. Diesmal eine junge Frauenstimme: "Guten Tag Herr Dicki, mein Name ist [sofort vergessen], ich beteilige mich an einer Aktion, die weltweit stattfindet und wollte Sie fragen, ob ich unseren Prospekt in Ihren Briefkasten werfen darf." - "Dann tun Sie ihn doch einfach rein", sage ich, mein Vokabular schon ganz auf die bevorstehenden Fußballreportagen eingestellt. Und sie bedankt sich, und ich weiß mal wieder nicht, wie verrückt diese Welt noch werden wird. Oder bin ich ... ich bin das, ja? Oh je, oh je, oh jemineh! Dann hör ich Fußball im Radio.

Später gehe ich an meinen Briefkasten, wissend, daß mich irgendein religiöses Pamphlet erwartet. Ah, die Zeugen Jehovas waren das. In großen Lettern prangt auf einem Faltblatt: Das Ende der falschen Religion ist nahe! Darüber, ein bißchen dezenter: Eine weltweite Botschaft. Aber die nerven nicht weiter rum, denke ich, erst wenn man die zum Gespräch einlädt, kommen sie einem mit diesem wortwörtlichem Bibelglauben. Daß Gott die Welt in sieben Tagen geschaffen hat, so wie ein Zauberer ein Kaninchen aus seinem Zylinder zieht. Wenigstens meinen die es ernst, wenn sie "Frieden" sagen. Aber ist es wirklich nötig, Jesus Christus als eine weithin geachtete religiöse Persönlichkeit zu bezeichnen?

Jetzt bin ich mal gespannt, was morgen passiert.

Wenn du - Jahrgang 1920 - achtzehnjährig deine Gesellenprüfung zum Koch bestanden und als Auszeichnung eine Ausgabe von "Mein Kampf" geschenkt bekommen hast, kurz darauf zur Wehrmacht einberufen wurdest und im Jahr darauf, weil 'der Pole' einmal zu oft 'provoziert' hatte, in den Krieg ziehen mußtest, den einen oder anderen Sieg miterleben konntest, 1941/42 in Jugoslawien stationiert warst und - Glück im Unglück - 1944 mit offener Tuberkulose in ein Lazarett im Westen kamst, wo du dich in eine Krankenschwester verliebtest, die deine Gefühle erwiderte, zweites Kind zerstrittener Eltern wie du selbst, und 1946 eine Heirat unausweichlich - aber auch gewünscht - wurde, weil ein Kind unterwegs war, die 'Niederlage' dir vielleicht nicht so furchtbar viel bedeutete - endlich Frieden! -, aber die Schmach, daß fanatische Landsleute wehrlose Menschen zu Tausenden und Hunderttausenden ermordet hatten, auf dir lastete, vielleicht noch mehr die selbsterlebten Exzesse im Kampf gegen 'den Feind', dann - darauf will ich hinaus - dann also würdest du vielleicht ebenfalls kein Wort über diese Jahre verloren haben wollen, um nicht an die Greuel, die dir ein Greuel waren, um nicht an die Schuld, die irgendwie und möglicherweise auch tatsächlich deine Schuld war, denken zu müssen.

Du hättest ganz rational zu Kopfschmerzen geneigt und dir Tabletten verschreiben lassen, die dir einen scheinbaren Frieden bescherten, solange sie die Bilder der Erinnerung von dir fernhalten konnten. Wir können das heute leicht in Worte fassen; wir, die wir an keinem Krieg teilgenommen haben und nicht die Zeit der Polarisierung und anschließenden Militarisierung, die Herrschaft des Wahnsinns miterlebt haben: der Krieg hat dich sechs lange Jahre lang traumatisiert. Das sagt sich so. Mein Vater wollte nicht darüber sprechen, es war seine Entscheidung, er hat geirrt, das Aussprechen des vermeintlich Unaussprechlichem hätte ihn erleichtert.

Die Tabletten, die du - wie meine Mutter sehr viel später sagte - wie Bonschen aßest (50 Tabletten in einer Woche), ruinierten deine Nieren, du wurdest Dialysepatient wegen Nierenversagen, bekamst Tabletten gegen die Nebenwirkungen der Behandlung und Tabletten gegen die Nebenwirkungen der Tabletten gegen die Nebenwirkungen. Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker? Der verschreibt munter Tabletten.

In der Nacht des 12. November 1976 veließ ich (trotz Verbot) unsere Wohnung im Erdgeschoß durch das Fenster meines Zimmers, begab mich zu Jörg L., in dessen Zimmer sich die Genossen des Jugendverbandes einfanden, um uns gemeinsam zum Abfahrtsplatz der Busse zu begeben, die uns und viele andere Atomkraftgegener zur Demonstration in Brokdorf bringen sollten, zu unserem Krieg. Meinen Eltern hinterließ ich einen rechtfertigenden Wisch; so wußten sie wo ich war, und, mir wichtiger, weshalb. Angst hatte ich kaum, denn wenn ich etwas fühlte, dann eine grenzenlose Empörung über Unrecht im Allgemeinen, die sich nun entladen sollte. Mit einsetzender Abenddämmerung erreichte unser Grüppchen den Bauplatz, irrte hier- und dorthin, duckte sich unwillkürlich unterm Knattern der Polizeihubschrauber, hörte die "Mörder! Mörder!"-Rufe, während von beiden Seiten Steine in die gegnerischen Reihen geworfen wurden und war ebenso erschöpft wie erleichtert, als wir am frühen Morgen den Bus erreichten, der uns ins behütete Zuhause zurückbrachte.

Am Sonntagnachmittag sah ich meinen Vater zum letzten Mal lebendig, als er sich, auf meine Mutter gestützt, kreidebleich zur Toilette schleppte. Am Abend wurde er ins Krankenhaus eingeliefert, und im Laufe des Montags, dem 15. November vor 30 Jahren, starb er. Meine Mutter war bei ihm, und er scheint sehr gefasst gewesen zu sein, versöhnt vielleicht mit seinem Leben; jedenfalls dankte er seiner Gemahlin und Gefährtin ihre Anwesenheit und überhaupt alles, und das will schon etwas heißen, denn verstanden haben sie sich nun wirklich nicht immer. Aber die Ewigkeit relativiert alles auf Erden und du siehst deine Kleinlichkeiten (und die großen Verbrechen) als das, was sie sind: nichtig. Alles Leid der Welt um einen Wahn: nichtig und nichtswürdig. Die letzte Wahrheit, die jeder Mensch erfahren muß, ist: wir werden nackt geboren und wir verlassen diese Welt nackt. Alles dazwischen ist Eitelkeit, und das ist ein großes Übel unter der Sonne. Sela.

Heute wollte ich mal wieder so richtig vom Leder ziehen: über die Erbschaft vom Bembelkandidat (siehe 3.10.) und den Doktor honoris causa, der meinem Chef per E-Mail gegen Gebühren und Unkosten in Höhe von 600 Euro angeboten wurde, gegen den schandbaren Schröder, dessen erste drei Ehefrauen mal über diesen Maulhelden schreiben sollten, gegen die piefig-poofige Elite, die den wissenschaftlichen Nachwuchs aus unserem piefig-poofig gewordenen Land treibt, gegen SpOn, auf dessen Startseite ich auch heute wieder eine in der Voranschau als Reportage getarnte Werbung privater Krankenversicherer fand usw. usf. ad infinitum, denn wo soll ich aufhören, wenn ich erstmal angefangen habe, mein Herz zu erleichtern ("Das Gift muß raus", sagte mal der gemeinhin unterschätzte Robert Lembke)?

Stattdessen fuhr ich heute morgen die Gasse zum Pauli-Deich hinauf und blickte in leuchtendes Laub, alle Schattierungen von Grün, Gelb und Braun strahlten mir aus den Platanen entgegen. Das Aufstehen war mir nicht leichtgefallen, aber dafür hatte es sich gelohnt. Vom Leder kann ich auch ein andermal ziehen.

Die letzten Wochen im Software-Entwickler-Kurs waren interessant - für alle, die gelassen bleiben konnten jedenfalls -, denn da wurden uns Stellenangebote für Praktika vermittelt, die mit unserer Ausbildung zum Teil wenig bis gar nichts zu tun hatten; entsprechend wenig Bewerbungen wurden geschrieben. Trat der Betreuer vor uns hin: "Ihr seid dafür ausgebildet, ihr könnt das alles, jeder von euch, also bewerbt euch." Zum offenen Hohngelächter fehlte wohl der Mut, aber die Stimmung war danach.

Und ich hab dann ein Projekt mit C++ (nie mit gearbeitet), Statistik (keine Ahnung) und Datenanalyse (nie gesehen) abbekommen. Macht nichts, es gibt ja Literatur zu den Themen, sowohl gebunden als auch online. Statistik leichtverständlich, Datenanalyse hochtrabend, und C++ - tja, da gab mir der Chef ein Handbuch von 1992, ist auch ganz gut geschrieben. Aber entwickelt wird in Microsofts Visual C++ Studio 2005, und da gibt's natürlich Komplikationen, die Einzelheiten spar ich mir.

Wozu gibt es eine Hilfe und ein "Gewußt wie". Ja, wozu? Bei den ersten vier Beispielen waren gleich zwei Nieten darunter, was wohl an der mangelnden Unterscheidung zwischen Express- und Vollversion liegt. Verstehe ich selbstverständlich, Microsoft will die Vollversion verkaufen, die Expressausgabe ist umsonst zu haben; weshalb also dem kostenfreien Produkt allzuviel Sorgfalt widmen. Verständnis hin, Verständnis her, ich war drauf und dran "Hilfe!" zu rufen bei dieser Hilfe.

Ab ins Netz und nach Tutorials gesucht. Und Tutorials gefunden: für Anfänger, für Fortgeschrittene, kürzere, umfangreichere, mit Übungen und ohne, online oder zum download. Nur zu C++ im Visual Studio konnte ich nichts entdecken. Was so verwunderlich nicht ist: den C++-Enthusiasten hat offenbar die Übernahme durch Microsoft nicht geschmeckt und Java - als modernere und in der Open-Source-Gemeinde vielgenutzte Programmiersprache - war von größerer Attraktivität. So bleiben die Anleitungen für C++ in der Zeit vor Microsoft stehen und man ist auf diese miese Hilfe, zu der man Hilfe braucht und die einem Hilfeschreie entlocken will, angewiesen.

Wie ich es mit dem Fluchen halte? Sehr großzügig. Äußerst großzügig. Die Tür zu meinem Büro werde ich geschlossen halten müssen.

Huflaikhan von kritische Masse hat Stöckchen geworfen, muß Dicki apportieren:

Warum bloggst du?
Weil ich gern, aber selten mehr als 2 Seiten schreibe.

Seit wann bloggst du?
März 2004. Aber ich gebe zu Bedenken, daß ich schon vorher der wahre Dicki war.

Selbstporträt
Ich bin der wahre Dicki.

Warum lesen deine Leser dein Blog?
Weiß ich doch nicht!

Welche war die letzte Suchanfrage, über die jemand auf deine Seite kam?
Vermutlich "dicki kacka lulu".

Welcher deiner Blogeinträge bekam zu Unrecht zu wenig Aufmerksamkeit?
Soll ich die jetzt alle hier verlinken oder was.

Dein aktuelles Lieblings-Blog?
Sach ich nich.

Welches Blog hast du zuletzt gelesen?
Ich sach jetz ganix mehr.

Wie viele Feeds hast du gerade im Moment abonniert?
(Unter Protest) Gerade im Moment, also quasi gewissermaßen sozusagen aktuell? Keins.

An welche vier Blogs wirfst du das Stöckchen weiter und warum?
(Immer noch unter Protest) An gar keins. Weil ich das Stöckchen im Maul behalte und drauf rumkaue. (Protestlied wird eingespielt: "Sag mir wo die Stöckchen sind". Zornige Feed-Abonnenten zerspammen den Blog. Einzelne Satzfetzen irren ziellos across the Universe. Gimme Shelter.)

sagt Dicki dreist,
bis Ende Julei,
Heidideldidei!

Gestern abend, kurz nach Elf, ertönte eine Fahrradklingel, dazu eine Kinderhupe, und eine freundliche Frauenstimme rief durch die nächtliche Straße: "Pooortugal, Pooortugal, Portugal Ohe!" Bei solch liebenswerten Fans gönnt man der Mannschaft direkt den dritten Platz.

wenn man die Nerven nicht einrechnet, die mich der heutige Besuch bei der Bremer Agentur für Integration und Soziales gekostet hat. Dabei schienen alle Umstände günstig: der Umschwung zu sonnigem Wetter, ohne daß es bereits eine Affenhitze wäre; die geringe Zahl der Wartenden vor der Anmeldung; die Vollständigkeit meiner Unterlagen.

Die Frau an der Anmeldung arbeitete sich offensichtlich noch ein, war dafür aber unverkrampft freundlich (und hatte auch nicht dieses abgewichste Amtsgesicht). Sie schickte mich nach einigem Hin und Her in eine der Wartezonen. Dort begann das Warten. Ein Mann vom Amt, dessen Behandlung seiner Kunden mir schon früher unangenehm aufgefallen war, trat auch heute durch Überheblichkeit und unfreundlichen Ton in Erscheinung. Bloß nicht zu dem, dachte ich noch.

Dann rief er mich auf. Während ich noch die Blätter sortierte, die er als zu meinem Antrag gehörend fotokopieren sollte und wollte (unsicher sortierte, da die Entscheidung, welche Dokumente tatsächlich benötigt würden, eigentlich von dem Gespräch mit ihm abhing), spürte ich schon seine Ungeduld. Gleich wies er mich darauf hin, daß ich in Zukunft doch bitte die Kopien selbst mitbringen sollte, dann hätte ich auch nicht so lange Wartezeiten. Kurz darauf händigte er Kopien und Originale aus und ging davon.

Ich sah ihm verdutzt nach, ging dann hinterher. Wie es denn jetzt weiterginge. Ja, Sie hatten doch keine weiteren Fragen. Jetzt nehmen Sie wieder Platz, bis ich Sie aufrufe. Ich die Augen zum Himmel verdreht, mich kochend auf die Wartebank gesetzt, "so ein Saftladen!" Mir gegenüber eine etwas jüngere Frau mit ihrem alten Vater, irgendwo aus Südasien. Der scheint nicht gerne zu arbeiten, sagte sie zu mir. - Das Schlimmste ist, daß er erwachsene Menschen vor sich hat und uns wie kleine Kinder behandelt (dramatische Geste gen Himmel). - Ja, sie nickt, ihr Vater nickt.

Dann kommt der Unhold wieder und gibt sich nun die Ehre, in sein Büro zu bitten. So, sagt er, als wir sitzen, was haben Sie denn nun für Fragen. - Nun, als Erstes ist da mein Folgeantrag auf ALG II den ich abgeben möchte. - Er plustert sich auf, die Sonne seiner Huld verfinstert sich. Sie müssen bei der Anmeldung aber schon deutlich sagen, was Sie eigentlich wollen, belehrt er mich. Ich weise bestimmt und bündig darauf hin, daß ich genau das getan habe und in Wartezone 1 verwiesen wurde. Er wolle bitte entschuldigen, daß ich "das procedere" im Hause nicht kenne. Für mich ist "das procedere" bloß eine Floskel, die ich in der Aufregung eingeflochten habe, um nicht durch die Suche nach Worten Gelegenheit zur Unterbrechung zu geben. Hat es ihn beeindruckt?

Er schaut mich drohend an und fragt mit unterdrückter Wut: bei wem waren Sie an der Anmeldung? Aha, ich werde mit der Frau reden. - Das klingt nun mehr, als wolle er sie ans Kreuz schlagen und sie tut mir leid, ich hüte mich aber, diesem Berserker in den Arm zu fallen. Je eher sie diesen Neurotiker im vollen Glanz seiner Herrlichkeit kennenlernt, umso eher kann sie sich innerlich auf diesen Dreck einstellen. Eine flaue Rechtfertigung. Sie tut mir immer noch leid.

Zwischendurch verlangt er nach meinem Personalausweis (hatte er wohl ganz am Anfang, bei der Wartezone, vergessen; bei meinen Vorgängern war das gleich seine zweite Handlung), braucht nun plötzlich alle Dokumente zu einem bestimmten Vorgang, und kann einfach nicht zuhören: Nein, Sie bekommen zunächst eine Ermahnung, nach einem halben Jahr eine verbindliche Aufforderung.

Erst als ich ihm zweimal widersprochen habe, will er das betreffende Schreiben sehen. Ja, ihre Miete liegt ja auch 71,32 % (er wiederholt die gesamte Zahl) zu hoch, da bekommen Sie in der Tat sofort die Aufforderung (siehmalsieh, das hatte ich gar nicht gewußt, Dank sei dir in deiner Unfehlbarkeit für diese Belehrung). "Den Personalausweis können sie wieder einstecken, den habe ich ja nun gesehen." Oh du dreimal faustgeficktes Arschloch!

Verbindliches zur Senkung der Mietkosten konnte er mir nicht sagen. Das liege im Ermessen des Sachbearbeiters (der er glücklicherweise in meinem Fall nicht ist; mit diesem Herrn gibt es kein freundliches Auskommen, nur ein Oben und Unten), ich könne dies, könne das, Verhandlungen mit dem Vermieter, Senkung der Nebenkosten durch "Verbrauchsminderung" (ist der noch bei Trost? Hat er nicht kapiert, daß die Gaspreise schneller steigen als Schulden bei Wucherzinsen?). Er verstehe, daß ich Angst hätte, Anfang Dezember ohne Wohnung dazustehen (was ich eigentlich wollte, hat er nicht verstanden, aber wenn er wenigstens überhaupt die Ängste seiner Kunden verstehen könnte), deshalb sollte ich dann rechtzeitig einen Termin vereinbaren, eine Verlängerung der Frist sei immerhin möglich. Er wird, da die Machtverhältnisse zwischen uns nun endlich geklärt sind, sogar ein bißchen freundlich. Spätwirkung des "procedere"? Mehr als Höflichkeit habe ich für ihn aber nicht übrig, das Ausbleiben weiterer Begegnungen wäre mir sehr recht.

Also wieder nur Wischi-Waschi. Muß ich mich nun um eine Butze von 20 Quadratmetern bemühen, wird mir nachher ein Nichtbemühen zum Fallstrick? Nichts Genaues weiß man nicht. Interessant vielleicht noch die kleine Beobachtung, daß er mich nach einer Unterbrechung von außen dringend bat, kurz und präzise meine Frage vorzutragen, dann aber von seinem eigenen Geschwafel fortgetragen wurde ...

Bisher hatte ich Glück mit den Mitarbeitern der BAgIS gehabt, es war leben und leben lassen. Aber heute bin ich angeekelt und mich verschmutzt fühlend heimgekommen. Es wird nicht viel Mühe machen, vakante Stellen für die Wachen zukünftiger Internierungslager zu besetzen. Es muß nur eine gesetzliche Legitimation geben. Vielleicht genügt auch schon die Dienstanweisung eines Vorgesetzten. Und dann werden sie so richtig die Sau rauslassen, diese kleinen Angestellten, die sich mit einem Zipfelchen Macht, das ihnen zugeflogen ist, aufführen wie die Herrscher aller Reußen.

sang die Deutsch-Amerikanische Freundschaft 1981; eine Textzeile, die mir seit Beginn der Fußball-WM (oh, Fifa-WM, oder?!) immer mal wieder durch den Kopf schrillt; hysterisch herausgeschrieen und mit stampfendem Rhythmus unterlegt. Und heute ist so ein Tag, wo ich mir wünschte, dieses Deutschland, dieses Schwarz-Rot-Gierige, dieses zunehmend allem Geistigen und Menschlichen abholde, es wäre vorbei.

Denn nun ist es amtlich: statt einem Jahr bleiben mir 6 Monate (inzwischen nur noch 5), um meine Mietkosten zu senken. Angemessen sind ja bekanntlich 265,00 Euro. Und das halbe Jahr, das anderen "zu-teuer-Wohnenden" noch zugestanden wird, darf mir ausdrücklich deshalb nicht gewährt werden, weil die Kosten der Unterkunft einen gewissen Prozentsatz die angemessenen Kosten der Unterkunft überschreiten (jaja, ein seltsames Deutsch) und in Ihrem Fall um 71,32% überschritten werden. Mein alter Mechanikdozent hätte die "71,32" eingekringelt und "Augenpulver!" an den Rand geschrieben, und recht hätte er daran getan. Diese übergenaue Zahl will uns vorgaukeln, daß alles mit rechten Dingen zugeht.

Was aber mag die Formulierung "gewisser Prozentsatz" bedeuten? Weshalb steht an dieser Stelle keine Zahl, die verbindlich und überprüfbar wäre? Vermutlich eben weil sie überprüfbar und verbindlich wäre. Weil andere "zu-teuer-Wohnende" sich darauf berufen könnten, und weil die neue Richtschnur lautet: informiere die von den neuen Regelungen Betroffenen nicht über den Inhalt der Regelungen, damit sie erstens unwissend sich in den Tücken der Details verstricken und zweitens nicht auf die Idee kommen, klagen zu wollen, weder öffentlich noch gerichtlich.

So wird hier nebenbei ein Präzedenzfall geschaffen, dessen Vorbild weite Schatten werfen wird. Was ist denn von einem Staat zu halten, der Gesetze beschließt, ohne die Bürger über diese Gesetze aufzuklären zu wollen? Höre ich das Wort "Willkür"?

Nein, in diesen Tagen höre ich nur "Deutschland! Deutschland!" Es ist ein neues Deutschland, aber es kommt einem auch irgendwie bekannt vor. Es findet gewissermaßen eine soziale Revolution statt, eine nationale soziale Revolution. Solidarität? Eigentum verpflichtet? Soziale Marktwirtschaft? - "Alles ist vorbei!"

Morgens zur Arbeitslosenberatung, eine Stunde warten, aber dann ging es schnell, nicht zuletzt weil ich auf alle Abschweifungen und Kommentare zur Zeit verzichtete (und wie gern hätte ich mir Luft gemacht!), da im Warteraum noch mehr Arbeitslose ihrer Beratung harrten, auf eine Hilfestellung hofften.

Am Nachmittag dann zur Bremer Arbeitsgemeinschaft für Integration und Soziales (BAgage BAgIS), auch dort eine Stunde warten, und wiederum ging es dann schnell, und zwar so (zum Ende des Gesprächs):

- Wie weise ich denn nun mein Bemühen um eine billigere Wohnung nach?
- Bringen Sie Bescheinigungen von den Wohnungsbaugesellschaften, daß die nichts im Angebot haben, und von privat ...
- Heißt 'privat', daß ich jeden Samstag herumtelefonieren und durch die Gegend sausen muß?
- Sammeln Sie vier Wochen lang die Samstagsausgabe der Zeitung, arbeiten Sie die Anzeigen durch, legen Sie uns die Exemplare vor, und wenn nichts dabei ist ...
- Und wenn da nun eine 16-Quadratmeter-Butze angeboten wird, die zufällig 264 Euro kostet? (ich erkläre ihm schnell, daß ich schließlich auch Möbel und dergleichen habe)
- (mein Gegenüber verzog unwillig den Mund) Ja, das könnte natürlich sein, da weiß ich jetzt aber auch nicht. (Abwimmelnd) Dazu kann Ihnen dann der Herr B. mehr sagen. (Herr B. hatte - leichtsinnigerweise - das Schreiben an mich unterzeichnet, war aber nicht im Hause.)

Am Schluß kam noch - eine Pointe? Ich hätte mich auf Schriftverkehr beschränken können, regele solche Angelegenheiten aber lieber mit persönlicher Anwesenheit, damit (in diesem Fall) die BAgIS-Leute sehen: das sind Menschen, und ich ihnen schildern kann, was sie uns da eigentlich antun, damit ihnen das Verdrängen nicht ganz so leicht fällt.

Ich bedankte mich jedenfalls höflich bei meinem Gegenüber, und gab ihm zum Abschied die Hand - und spürte im selben Moment, als er sie ergriff, wie er zurückzuckte. Dürfen die Leutchen dort ihren Kunden etwa nicht die Hand geben? Es wird mir in Zukunft ein kleines Vergnügen sein, diese Schranke zu mißachten. Denn auch solche kleinen Gesten fördern das Bewußtsein, es mit Menschen zu tun zu haben.

Schön finde ich selbstverständlich, daß mein Gegenüber sich ein gutes Gewissen verschafft, indem er mir rät: bringen Sie den Nachweis [der Bemühung um eine entsprechende Wohnung], dann sind Sie davon. Und schwupp! hat er die lästige Verantwortung vom Hals und kann weiter mitlaufen, guten Gewissens, da er ja mit diesen Regelungen auch nicht einverstanden ist, aber ihm sind nun einmal die Hände gebunden ...

Zweimal hörte ich heute in Pausendiskussionen von Mitschülern: "besser nicht darüber nachdenken". Über die gegenwärtigen Zustände nämlich, woher sie kommen, und wohin sie führen. Die Einen laufen mit, die Anderen davon. So mag auch die Stimmungslage zu Beginn des dritten Reichs gewesen sein.

 

twoday.net AGB

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