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Ja, Physik! Bringen wir's hinter uns; so, wie den Anstieg, den ich auf meinem heutigen Ausflug bewältigen mußte. Och, nichts Schlimmes, nur 40 Höhenmeter, und südlich des zweiundfünzigsten Breitengrades lacht man darüber, sofern man's überhaupt zur Kenntnis nimmt. Da gibt es aber eine gefühlte Höhe, und wenn man aus dem Flachland kommt, sind 40 Meter eine ganze Menge mehr als einfach nur 40 Meter.

Oah, jetzt bin ich Fahrt, das muß mal eben raus. Da fährst du also der Geest entgegen, die Straße steigt sanft an; alles prima, denkst du, was ist denn da schon dran, da muß ich nicht mal runterschalten. Dann wird der Tritt schwerer, denn kaum merklich wird es steiler. Geht aber immer noch; guter Tritt denkst du, nachdem du einen Gang rausgenommen hast, und auch noch, als du hinter der Kurve siehst, wie lang sich der Anstieg hinzieht. Und dann siehst du plötzlich, daß es steiler wird, und da beginnt der Ernst, da heißt es arbeiten.

Womit wir zurück bei der Physik wären. Um dein Körpergewicht zuzüglich Fahrrad auf das höhere Niveau zu bringen, mußt du Arbeit verrichten, so will es die Physik. Ob du einen kleinen oder großen Gang wählst, schneller oder langsamer fährst, die Arbeit bleibt dieselbe. Je schneller du allerdings hinauffährst, desto größer ist die Leistung, denn Leistung ist Arbeit pro Zeit. Oben angekommen beginnt der angenehme Teil der Physik, denn nun hast du gegenüber dem Ausgangsniveau ein Energiepotential, das sich beim Hinunterfahren ganz ohne dein Zutun in Geschwindigjkeit verwandelt (abzüglich Luftwiderstand und Rollreibung, für die Genauigkeitskrämer). Da macht Physik plötzlich Spaß und wir könnten uns den ganzen Tag damit befassen.

Unterwegs konnte ich zwei Goldfasane und ein Distelfinkenpaar beobachten. Aber was heißt beobachten: Fasane sind ja so scheu, daß denen das Essen schon nicht mehr schmeckt, wenn sie in hundert Meter Entfernung einen Menschen entdecken. Und Distelfinken - wer wollte es ihnen verdenken - verdünnisieren sich ratzfatz wenn ein Dicki angaloppiert kommt.

Anders als die Türken- oder Balkandödel; da waren unterwegs drei Prachtexemplare zu Fuß vor mir, alle mit so einem militärisch anmutendem Kurzhaarschnitt und der Gang so komisch breitbeinig, wahrscheinlich hängt der Ziesemann dann besser voraus. Einer von ihnen aß ein Eis am Stiel und es tat mir fast leid zu sehen, daß er nicht einen Augenblick seinen Gang lassen konnte, auch beim Eisgenuß muß ein richtiger Mann seinen Mann stehen. Was mich auf eines der ungelösten Rätsel der Menschheit bringt: gibt es ein Leben vor dem Tod?

Früher war sich Wichtigmachen noch eine Plackerei; da hieß es, Zitate kennen und anwenden.
"Scheußliches Wetter, nicht?!"
"Ja wirklich, wer wäre da nicht lieber im Land, wo die Zitronen blühen!"
"Da ist das Wetter besser?"
"Da ist sol lucet omnibus."
"Was für ein Bus?"

Ach, es war eine Hetz. Heute begibt man sich einfach auf eine Party.
"Schön, daß ihr gekommen seid. Möchtet ihr was essen?"
"Nein, nein, wir haben schon gegessen, ja. Spargel mit Schinken, jaja. Wir mußten den ganzen Schinken aufessen, morgen fahren wir nämlich nach Sand Peter Ording."

Wer sein Gegenüber einzuschätzen versteht, kann sich auch Direktheiten leisten.
"Was bist du von Beruf?"
"Beruf, Beruf, was heißt das schon. Auf die Berufung kommt es an."
"Und was ist deine Berufung?"
"Erotomane. Möchtest du mal ne Kostprobe?"

Feingeister hingegen neigen zur Raffinesse.
"Was machst du, ich meine, beruflich?"
"Ich bin Schriftsteller."
"Oh, wie interessant."
"Jaja."
"Und was schreibst du so?"
"Zur Zeit gar nichts. Ich leide an einer Schreibhemmung."
"Das tut mir leid. Und was hast du vorher geschrieben?"
"Ich hatte immer schon eine Schreibhemmung."
"Du meinst, du hast noch gar nichts geschrieben?"
"Das ist ja das Drama! Ich bin zur Schriftstellerei geboren, aber ich habe diese entsetzliche Schreibhemmung."

Die Schrör ist nicht die einzige Person, die den Hungertod eines jungen Mannes, Bezieher von Arbeitslosengeld II, nicht mitbekommen hat, und es ist zu vermuten, daß Viele, die von seinem Schicksal durch die Nachrichten erfahren haben, dies schnell verdrängen wollten, anders als die "Reichstagsaktivisten", deren Aktion sicher schon längst geplant war (Parolen: "Die Wünsche der Wirtschaft sind unantastbar", "Der deutschen Wirtschaft" [statt "Dem deutschen Volke"] ), aber von dieser mörderischen Konsequenz der Sozialreformen ebenso gewiß in besonderem Maße angefeuert worden sind. Die Schrör war über Ostern mit ihrer Band in England beim BOB-Festival (Bath-Orlando-Bremen) und stand zusammmen mit den Subhumans (die es also immer noch gibt, obwohl kein Hahn nach ihnen kräht) auf der Bühne, und mir fielen The Ruts ein, die auf ihrer LP 'The Crack' einen Live-Mitschnitt von 'Human Punk' veröffentlichten (1979). "Human punk - yeah, you're human punk".

Besagter junger Mann hatte ihm angebotene Arbeiten abgelehnt - welcher Natur und wie bezahlt entzieht sich unserer Kenntnis - und ihm waren deshalb die Bezüge gekürzt worden. Wie denn das, wenn Arbeitslosengeld II das Existenzminimum ist? Ja, ist heute so. Deshalb hatte der Behördenvertreter recht, als er sagte, es habe keine mangelnde Betreuung gegeben. Der heutige Staat Bundesrepublik Deutschland, dessen Verfassung nach wie vor die leibliche Unverletzlichkeit und die Unantastbarkeit der Würde seiner Bürger garantiert, darf nach der Reformierung der Sozialgesetzgebung LEGAL seine Bürger noch unter das Existenzminimum drücken und sie dadurch im Falle eines Falles zum Hungertod verurteilen. Der Tod des jungen Mannes war also gesetzeskonform, da kann keinem der Beteiligten ein Vorwurf gemacht werden, oder? Yeah, we're human punk!

Was mich an andere große Müllmänner erinnert. Die Nazis hatten Alles gesetzlich geregelt: von der allmählichen Ausgrenzung der Juden aus dem gesellschaftlichen Leben bis zur staatlich organisierten Ermordung. Womit ich sagen will, daß Gesetze auch grausamstes Unrecht sein können. Also wacht endlich auf, Verdammte dieser Erde, verdammt nochmal: we're human punk!

Da sitze ich im Büro und klappere auf den Tasten, Aufgabe um Aufgabe der knochentrockenen Programmierung abhakend, und höre alle paar Minuten ein freundlich-lebhaftes Gezwitscher. Ganz nebenbei sehe ich mal auf den Hof, und aha! da sitzt ein kleiner schwarzer Vogel mit geschweller Brust auf der Dachkante und flötet und trällert. Ich arbeite weiter, höre aber genauer hin. Das Gezwitscher kommt aus mehreren Kehlen, das ist eindeutig, und nun ist mir auch klar, daß es Stare sind, was mein nächster Blick nach draußen bestätigt. Und wieder zwitschert es fröhlich-freundlich und ansteckend heiter; das müssen Eltern und Kinder sein, die sich da offensichtlich mit Zuneigung unterhalten. Das rührt mich und ich ernenne sie zu meinen Superstars. Dachte ich doch wirklich, Stare krächzen bloß so rum - was für ein erfreulicher Irrtum!

Seit Anfang diesen Jahres gefällt es Muddi zu sagen: "Ich bin ja schon fast neunzig." Das ist zu einer stehenden Redewendung geworden. Anfangs protestierte ich zaghaft: "Erst wirst du mal 87", aber als sie es dann zum x-ten Mal behauptete, erwiderte ich: "Gib mal nicht so an." Sie nahm es mir nicht übel; lächelte so ein bißchen verschmitzt. Neulich war es wieder soweit. Sie schloß eine Erzählung mit den Worten: "Die ist aber noch um Einiges jünger als ich." Woraufhin ich sie ansah und den Arm zum Zeichen ihres Einsatzes hob. Und Muddi sagte: "Ich bin ja schon fast hundert."

 

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