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Neulich drückt mir ein Kollege verstohlen eine DVD in die Hand: "Guck mal, ob du die gebrauchen kannst". - Was denn das sei? - Ja, er habe die geschenkt bekommen. Rumänischer Film. Gleich die erste Szene lägen Zwei aufm Bett, alles zu sehen. Sofort ausgemacht. "Wenn meine Frau dabeigewesen wäre - au weia!" - Wieso ich? - Du bist doch solo und so. - Und so, naja. Ich sage jedenfalls Dankeschön. - "Da nich für", wie man in Bremen sagt.

Klar guck ich mir das Teil am selben Abend an, Voyeurismus wird D-i-c-k-i buchstabiert. Tatsache, in der ersten Szene turteln Zwei aufm Bett. Als sie das Bettlaken abzieht, latscht sie der Kamera voll vors Objektiv: sie ist rasiert. "Sie", erfahren wir im Folgenden, ist seine Geliebte, und den Rest der Zeit (eventuell auch den Rest des Films) verbringt "Er" mit Frau und/oder Kind. Die sitzen in einer Wohnung aus Holz, vielleicht eine von diesen Elchmöbelhauseinrichtungen, rumänisch wirkt das nicht, da können die Schauspieler noch so viel rumänisch quatschen. Im Auto: nix Rumänien. Kaufhaus: Nix. Restaurant: Pah. Arztpraxis: Ach, geh mir doch weg. So sieht es überall in Europa aus, gerade, daß es noch Unterschiede zu den USA gibt, aber auch die verwischen in diesen Filmen, die international sein wollen, und dafür auf jede Identität verzichten, es sei denn, man hält rasierte Frauen für rumänische Folklore. Jedenfalls war für mich der Film dann zuende, nach dreißig Minuten Rumänien irgendwo in Europa.

Dann doch lieber ein Kung-Fu-Film, zum Beispiel "The Forbidden kingdom". Story ist in dieser Art Filmen ein sehr dehnbarer Begriff und im Grunde vollständig schnurz. Dennoch, hier gibt es eine Geschichte, voller wunderbarer Klischees, und natürlich mit dem, was den Eastern ausmacht: raffiniert choreographierte und rasend schnell ausgeführte Kampfszenen. Die besten Tricks müssen in Zeitlupe gezeigt werden, damit das Publikum sie überhaupt mitbekommt. Es gibt kaum Blut zu sehen, und richtig gestorben wird eigentlich auch nicht, die Leute bleiben irgendwie liegen, und die Schurken stürzen in Abgründe, ohne daß wir den allerletzten Augenblick miterleben müssen. Tolle Kulissen, tolle Tricks; da drückt sogar die gute alte Schwerkraft mal ein Auge zu. Und natürlich Gelegenheit für alle Eastern-Helden zu zeigen, was sie auf der Pfanne haben, und, selbstverständlich, Jackie Chan mittenmang dabei.

Gelegenheit hatte ich vorgestern zu einem Witz, eine Gelegenheit, auf die ich schon lange gewartet habe. Nun kam sie, in Form einer - uncharmanten - Radlerin, klar, einer charmanten radfahrenden Dame wäre ich ganz anders begegnet, wo war ich: diese Radlerin stieg, noch auf dem Gehweg, auf ihr Rad, strampelte los und lenkte blindlings auf die Straße, genau vor mein Rad. Das hatte ich kommen sehen und es überraschte mich nicht, reizte aber meinen Sinn für dramatische Auftritte. Obwohl keinerlei Gefahr bestand, bremste ich, daß die Reifen quietschten. Endlich drehte sie sich so halb um und sagte: "Oh, Entschuldigung". - "Da nich für."

Von Zeit zu Zeit bei der Agentur für Arbeit, ehedem Arbeitsamt, vorbeizuschauen, kann interessant und aufschlußreich sein, selbst wenn diese Besuche - wie meiner kürzlich - nicht freiwillig sind. Gleich neben der Tür zum Empfang (eigentlich Anmeldung, es ist nun einmal kein Hotel) wirbt ein Plakat für die überarbeitete Jobbörse im Internet mit dem Hinweis "endlich benutzerfreundlich". Tatsächlich ist Etliches verbessert und hinzugefügt worden, aber in der Zeit vor Florian Gersters großspurigen Umbaumaßnahmen konnte man sich durch Oberbgriffe zu Tätigkeitsfeldern und schließlich Berufen durchklicken (oder direkt die Kennzahl des Berufs eingeben, wenn man die herausgefunden hatte) und Einblick in die Stellenangebote nehmen. Heute gibt es nur noch eine - verdammt lange - Liste von Berufen, die man nicht durchstöbern kann, weil selbst Arbeitslose maximal 24 Stunden am Tag Zeit haben. Und wenn man nicht frisch aus dem Studium kommt, hat man nach divrsen Maßnahmen und Tätigkeiten keinen eindeutig benennbaren Beruf.

Einerseits werden Arbeiter und Angestellte zur Flexibilität aufgefordert, zwischen Entlassung und Neueinstellung fortgebildet und umgeschult, ferner haben Berufsbezeichnungen heute nur noch eine Halbwertzeit von wenigen Jahren, andererseits kommt die Jobbörse mit diesem starren Berufekonzept daher. "Benutzerfreundlich" würde ich das nicht nennen. Aber mag sein, daß die Arbeitsberater nun zufriedener sind, denn deren Unzufriedenheit ist unwillkommen: sie werden als Ausführende der antisozialen Maßnahmen dringend benötigt. Mir scheint es zumindest nicht plausibel, daß die Unzufriedenheit von Arbeitslosen an höherer Stelle mehr als Zynismus und unangemessenen Zorn hervorruft.

Es gibt aber nicht nur eine Jobbörse, sondern auch eine Lernbörse, wo ich, wie es der Zufall wollte, in ein interaktives Bewerbungstraining hineinklickte. Der erste Eindruck: viel allgemeines Gerede, wenig Verbindliches, dafür jedoch Ermutigung: man solle sich nur intensiv um eine neue Arbeitsstelle bemühen, dann werde man früher oder später schon Erfolg haben. Stelle ich die Anzahl der offenen Stellen der Anzahl Arbeitssuchender gegenüber, kann ich solchen Optimismus nicht teilen, im Gegenteil. Aber so ist das heute, du bist selbst schuld. Wenn Gangster dich mit jemandem verwechseln und dich gefesselt auf die Bahnstrecke Hamburg-Hannover legen - dann bist du schuld.

Erstaunlich, daß die Arbeitsagentur ihren Kunden soviel Börse bietet, nicht? Da kommt man direkt ins Philosophieren. Statt Gelder auszuzahlen könnte die Agentur doch Anteilscheine an börsennotierten Unternehmen ausgeben. Wieviel Geld der Arbeitslose dann im Monat wirklich hat, liegt an seinem spekulativen Geschick, nach dem Motto: freie Bahn dem Tüchtigen. Wer arbeiten gehen muß für seinen Lebensunterhalt (was das Risiko der Arbeitslosigkeit beinhaltet) - ist selber schuld.

Vor rund zehn Jahren wurde ein Firmenjubiläum begangen und wir saßen in Gruppen an mehreren Rundtischen, aßen mit und aus Holzgeschirr, tranken schmackhaftes Bier und sagten auch zum gelegentlich gereichten Pflaumenschnaps nicht nein. Der Lehrling, der gern redete und meist von sich, erzählte die Geschichte, wie seine türkische Freundin ihn zu sich mit nach Hause genommen hatte. Während sie in der Küche Tee zubereitete, saß er mit ihrer Mutter im Wohnzimmer und erzählte von sich. Die Mutter sah ihn freundlich an und nickte ab und zu. Als die Freundin mit dem frischen Tee kam, sagte er, daß er sich gut mit ihrer Mutter unterhalten habe. "Aber sie versteht doch kaum deutsch!" rief die Freundin. An dieser Stelle warf ich leichthin ein, das sei nicht weiter schlimm, denn Männer und Frauen verstünden sich ohnehin meist nicht. Dem Lehrling verschlug es die Sprache, die übrigen Tischgenossen lachten.

Hand aufs Herz: wer, ob Mann, ob Frau, hat nicht schon die Erfahrung gemacht, sich im Kreis von Geschlechtsgenossen besser verstanden und höher geachtet zu fühlen als beim anderen Geschlecht? Eben deshalb sind Männer gern mit Männern und Frauen gern mit Frauen zusammen, wogegen nichts einzuwenden ist. Auch gegen verbriefte Rechte als Teil der "Emanzipation" ist nichts einzuwenden; nur ist das eben nicht "die" Emanzipation.

Solange unsere Gesellschaft ihre Kinder in Rollenklischees preßt und sich die heranwachsenden Kinder nicht von diesen Klischees befreien, solange Männer und Frauen nicht die aus dem Klischee herausfallenden Teile ihrer Persönlichkeit akzeptieren und integrieren, bleibt Emanzipation auf jederzeit veränderbare Gesetzesvorschriften beschränkt.

Vor ebenfalls rund zehn Jahren ging ich in der Mittagspause spazieren; ein abgetragenes Hemd, eine unvorteilhafte Hose und ausgelatschte Schuhe tragend, als mir zwei junge Frauen entgegenkamen und sofort in Gelächter ausbrachen, sobald sie mich sahen. "Ja," dachte ich mit Wut im Bauch, "laßt euch mal schön von denen unterdrücken, über die ihr nicht zu lachen wagt." Mit der schlechten Kleidung, meinem Kinderlächeln und dem hüftwiegenden Trippelgang wirkte ich natürlich überhaupt nicht männlich auf diese zukünftigen Ehefrauen.

Mag die EMMA auch sonstwelche Jubelarien verkünden, mehr denn je sind Frauen heutzutage bloße Objekte der Begierde. In der Mehrheit scheinen sie sich darin einzurichten (nebenbei: ich habe nie dermaßen viele junge Frauen mit beleidigten Gesichtern gesehen wie in jener Stadt, die keine ist) und ein Leben in der Lüge leichter zu finden, als sich zu widersetzen. Wie sollten sich Männer unter diesen Umständen wohl verändern, außer zum Schlechten?

Die ganze Scheinfreiheit ist mir ein Ekel. Dann lieber klare Rollenbilder mit gegenseitigem Respekt, mit Moral, Schuld und Beichte, wie es die katholische Kirche tradiert: das wäre in der heutigen Situation schon wieder ein Fortschritt. - Ach so, jetzt kommt die Abtreibungskeule. Abtreibung kann in der Not ein Ausweg und muß als solcher erlaubt sein, und nicht Männer können darüber entscheiden. Aber eine Mutter, die unter der Abtreibung des werdenden Lebens nicht leidet, wird mir ewig fremd bleiben.

Es wird mir hoffentlich nicht verübelt, wenn ich schon wieder das Übersetzen - von Büchern und von Filmen diesmal - ins Visier nehme; der Anlaß rechtfertigt die Mittel. Zuerst soll aber für einen Moment Stille einkehren, die Stille des Bedauerns, des Bedauerns für jene Nationen, in deren Filmtheatern und Fernsehprogrammen ausländische Filme traditionell und ausnahmslos als Original mit Untertiteln gezeigt werden: nicht genug, daß man beim Mitlesen das Wesentliche verpaßt, nein, auch wer aufs Mitlesen verzichtet, hat ein gestörtes Bild, und Bilder sind ja wohl das, was einen Film ausmacht.

Mißlungene Buchübersetzungen sind für mich wie OmU; der Genuß will sich nicht einstellen. Zwei Extreme gibt es; über hohe Hacken und gebutterte Toasts hatte ich schon mehrfach geschimpft, also packe ich heute das andere Extrem beim Schlafittchen, und das ist altertümelnder Stil. "Sie fragte sich, im Salon sitzend und in das Holzfeuer blickend, das er angezündet, ein Buch in ihrem Schoß, darin sie nicht las, ob er, ehe sie gekommen, hier unter den Decken und Bettüchern zu ruhen pflegte, und ob er ihr gram sei, weil sie den Raum nun benützte?" So geht das Seite für Seite, Kapitel für Kapitel, konsequent geschmacksverwirrt auch Dialoge nicht verschonend. Wohlgemerkt, nicht um verschachtelte Sätze geht es mir, zumal diese vom Original vorgegeben sind, sondern um ein gestörtes Sprachgefühl; von Seiten des Übersetzers, der kunstvoll daherkommen möchte, aber die Lesbarkeit mindert; auf seiten des Lesers, der sich sprachlich dem Buch hingeben möchte, aber dauernd vor den Kopf gestoßen wird.

Synchronisation heißt das Zauberwort, das aber auch nicht alle Probleme löst. Nicht beim Buch, weil die Übersetzung sowohl Inhalt als auch Klang berücksichtigen muß, und nicht beim Film, weil die Mundbewegungen der Schauspieler der Wortwahl eigene Beschränkungen auferlegen. (OmU widerum muß die Lesegeschwindigkeit berücksichtigen und kann nicht ohne Kürzungen auskommen). Dennoch ist Synchronisation das kleinere Übel, denn sie läßt das Bild intakt; wörtlich zu nehmen beim Film, bildlich gesprochen beim Buch.

"Das kleinere Übel" schreibe ich mit Bedacht, denn als ich L'homme qui aimait les femmes im Original sah, paßten Stimme und Person, Sprache und Gestik vollkommen zusammen, und obwohl ich kein französisch kann, war mir der Film so näher als in der deutschen Version, die eben doch etwas Verfremdendes an sich hat. Um wenigstens zu erahnen, was ich mit "Verfremdendes" meine, denke man an John Waynes deutschen Bärbeißbass, der im Original viel heller und weniger rauhbeinig klingt.

Fazit: hätte ich im Deutschaufsatz einige der hier gezeigten Qualitäten an den Tag gelegt, wäre aus mir ein passabler Oberschüler geworden. Als Trost bleibt mir der Griff zum Wein: mancher reift früh und wird eher getrunken - zurück bleibt eine leere Flasche (sofern es sich nicht um regenerierbaren Wein handelte).

Vorsichtshalber sollten wir uns dieses Utensil rechtzeitig besorgen, denn wenn der Sturm erst einmal losbricht, sind die Teile Mangelware. Die Meckerer sagen jetzt, wieso, Tunesien hat doch nie Wohlstand gekannt, was soll die ganze Aufregung. - Dann gucken wir doch einfach mal übern Teich nach unserem großen Vorbild. Vom Wohlstand bleiben uns Ruinen, die blühenden Landschaften gibt es nur auf handverlesenen Geheimkonten. Also los, Leute: "Tu-ne-si-en!"

 

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