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Nun haben wir die Beweise im Bild: die Friedensaktivisten haben gegen die sie in neutralen Gewässern angreifenden Soldaten Gewalt gebraucht. Böse Friedensaktivisten. Haben auf hoher See gelauert, bis die IDF gar keine andere Wahl hatte, als Elitetruppen zu schicken. Dann krochen sie aus ihren Verstecken und haben diese Qualitätssoldaten, die bekanntlich auf höchstem moralischen Standard agieren, heimtückisch angegriffen - eine Falle hatten sie ihnen gestellt! Böse, böse Friedensaktivisten. Gute Soldaten. Schießen nur, wenn sie vom Feind dazu gezwungen werden. Kein Friedens-Balla-Balla.

Wie schön wäre es, mal so richtig frei zu sein: Müll und Abfall hinzuschmeißen, wo es einem gerade einfällt, mit seinem Gefährt, motorosiert oder nicht, zu fahren, wo es einem beliebt, sich zu nehmen, was einem gefällt, ohne sich um Besitz und Moral zu kümmern, Leute zu beschimpfen, die hierarchisch tiefer stehen und es deshalb hinzunehmen haben, ja, die es verdienen beschimpft zu werden, weil sie es nicht weiter gebracht haben als man selbst, Militär einsetzen zu können, wenn einem verweigert wird, worauf man einen Anspruch hat, weil man es haben will, lästige Gesetze und Vorschriften mißachten, oder besser noch, außer Kraft setzen zu können, die nur Hemmnisse auf dem Weg zu größerem Reichtum sind, Menschen als Humankapital beliebig benutzen zu können und dieses wegzuwerfen, wenn es nicht mehr einträglich genug ist, ein Weltgetriebe zu installieren, dem sich alles und jeder unterzuordnen hat. Ja, das müßte das Paradies auf Erden sein.

Und dementsprechend sieht die Erde allmählich aus. Vermüllung, Kriegstreiberei, Ausbeutung, Unterdrückung, Kollateralschäden (die letzten Endes selbst schuld sind), lecke Atommüllager, vor sich hinsprudelnde Ölbohrlöcher, Landwirte, die verklagt werden, weil genverändertes Pflanzgut sich widerrechtlich auf ihren Feldern angesiedelt hat, Massentierhaltung und industrieller Anbau, die geschmacklose Kost hervorbringen, Versklavung der Armen, die dieses Los verdient haben, weil sie arm sind, statt reich zu werden, Lug, Trug, Manipulation, Bandenbildung und Menschenverachtung. Zuallererst aber geistige Verarmung und Verdummung, ohne die eine Gesellschaft, gleich welcher Kultur, nicht in eine antisoziale Masse verwandelt werden kann.

Das ist die Freiheit, um die uns die Welt beneidet und deretwegen sie uns terroristisch bekämpft. Deshalb hatte Herr Köhler vollkommen recht zu sagen, daß die Bundeswehr - bei unserer großen Außenhandelsabhängigkeit - auch eingesetzt werden muß, um unsere Interessen zu wahren, und es ist bedauerlich, daß er zurücktreten mußte, weil es der Öffentlichkeit am Respekt vor seinem Amt gemangelt hat. - Für manche Leute ist Freiheit die Abwesenheit von Beschränkungen ihrer freien Entfaltung. Anders als Utopisten, Träumer, Spinner, Weltverbesserer und Gutmenschen meinen herumdoktrinieren zu müssen, endet die eigene Freiheit nicht dort, wo die Freiheit des anderen beschnitten wird, sondern dort, wo die Grenze der eigenen Gier ist, nämlich nirgends. Die dazugehörige Religion ist der Nihilismus, ist die Vergötterung der leeren Hülle eines nichtswürdigen Ego.

Wer sich nun am Schädel kratzt, die Stirn runzelt und sagt, das klinge aber verdammt nach den esotrischen Lehren diverser Gurus, zu denen die Selbstsucher seit langem, seit den späten 60ern aber in Scharen pilgerten, könnte auch zu dem Schluß kommen, daß Marketing die wirtschaftsgerechte Esoterik unseres industriellen Zeitalters ist, die Glücksbotschaft, die uns zum Heil im Konsum führt, zu unserem eigenen Besten, auch wenn andere daran verdienen. Aber: what's wrong about profit? - Die richtige Antwort bitte auf einer ausreichend frankierten Postkarte an den Weihnachtsmann adressieren und ab geht die Post. "Wir feiern eine Party, die letzte die es gibt, bevor unsre Welt zugrundegeht" (Die kosmischen Bademeister, live in der technocoop, 25.12.1981).

Vor fünfzehn Jahren wurde die Enklave Srebrenica gestürmt und viele der männlichen Einwohner massakriert. Doch obwohl es dafür mehr Zeugen gab, als der ohnehin miserable Ruf der serbischen Nationalisten verkraften konnte, behauptet Radovan Karadzic - damals Präsident der selbsternannten Republik Srbska - die Massaker seien a) maßlos übertrieben und b) von Muslimen inszeniert und ausgeführt. So reden sie, die Täter und die Verantwortlichen, wenn sie nur niedrig genug sind: die anderen sind schuld! Wir haben gar nichts getan! - weil sie in Wahrheit große Feiglinge sind, die Macht brauchen, um ihre Angst im Zaum zu halten.

Nun erklärt uns der Militärsprecher Avi Benajahu man habe die Aktivisten mehrmals aufgefordert, sich friedlich zu ergeben. Dies sei jedoch scharf zurückgewiesen worden. Daraufhin seien Elitesoldaten mit Strickleitern sowie mit Leitern aus Hubschraubern an Bord gekommen. Bei der Stürmung seien die Soldaten von den Aktivisten mit "schwerer Gewalt" empfangen worden. Sie hätten versucht, die Truppen zu "lynchen", so der Sprecher. "Dies sind sehr aggressive Leute, keine Friedensaktivisten", sagte er. Einer von ihnen habe einem der Soldaten das Gewehr entrissen und es offenbar gegen andere Soldaten eingesetzt. Andere hätten die Truppe mit Messern und Schlagstöcken angegriffen. Und er fügt hinzu: "Ich möchte hier auch Bedauern ausdrücken. Wir wollten, dass diese Aktion ohne Opfer ausgeht." (www.stern.de)

Doch weshalb war diese Aktion eigentlich unvermeidlich bzw. alternativlos? Dazu schreibt der Stern: Israel hatte in den vergangenen Tagen mehrfach angekündigt, die Aktivisten unter allen Umständen daran zu hindern die Hilfsgüter, darunter auch hundert Fertighäuser, 500 Rollstühle und medizinische Ausrüstung, direkt in den Gazastreifen zu liefern. Die Regierung hatte den Aktivisten angeboten, die Hilfsgüter im Hafen von Aschdod zu löschen. Israel hat den Gazastreifen nach der Machtübernahme der radikalen Hamas-Organisation im Juni vor drei Jahren nahezu vollständig von der Außenwelt abgeriegelt. Und weshalb wird der Gazastreifen mit allen seinen Einwohnern und nicht nur den Hamas-Aktivisten abgeriegelt? Das nennt man unter zivilisierten Menschen Sippenhaft. Wer die anwendet, wird nicht nur geächtet, sondern macht sich auch verächtlich.

Und ich erinnere mich zum wiederholten Male daran, daß Viktor Klemperer in seinen so verdienstvollen Tagebüchern aus der Zeit des dritten Reiches ganz nebenbei schrieb, der Zionismus erschiene ihm lediglich als eine andere Art von Nationalsozialismus.

Das war eine Wohltat: einfach mal vier Tage lang die Nachrichten Nachrichten sein lassen. Keine Frontberichterstattung vom d e m Geschäftsmodell der Neuzeit, dem war on terrorism, der auf Jahrzehnte angelegt ist und nicht gewonnen werden muß: er muß nur andauern. Jungdi, das bringt Geld in Konzernkassen und auf Privatkonten. Auch keine Vollzugsmeldungen von der befohlenen Vergwaltigung der Griechen (frag die mal, wer die Terroristen sind!). Keine Reformankündigungen, Sparzwänge und Verzichtsaufforderungen, keine Lügen, keine Manipulation, keine Dummdreistigkeiten.

Es war alles so friedlich, daß ich Balzac's "Tolldreiste Geschichten" lesen konnte, in denen es derbe zugeht, aber immer mit einem Augenzwinkern. Etwa wenn die an einen Übelmann verheiratete Jungfrau ausruft: "Und wenn ich voller Löchlein wäre wie ein Sieb, es wäre doch keines für euch dabei, so häßlich finde ich euch." Oder ein anderes Eheweib, vom Mann mit ihrem Liebhaber überrascht, sich vor dem Gatten, der den Liebhaber per Degen aus der Welt beförden will, niederwirft und fleht:" Um Himmels Willen, du vergehst dich am Vater deiner Kinder!" Und vieles andere mehr; Schnurren, Possen, Zoten.

Überrascht hat mich der zeitliche Bezug: geschrieben und veröffentlicht wurden die "Contes drolatiques" zwischen 1832 und 1837, in jener nach-napoleonischen Zeit, in der pro forma ein Monarch auf dem Thron saß, die Bourgeoisie aber die Macht hatte; eine Zeit, die mit der Losung "Bereichere Dich" beschrieben wird - das kommt einem bekannt vor. Eine Zeit ohne rechte Freuden, aber the only fun in town war nicht populäre Musik und statt wie Peter Hein "es liegt ein Grauschleier über der Stadt, den meine Mutter noch nicht weggewaschen hat" zu singen, hat Balzac mit Büchern um sich geworfen (seine hohen Schulden zwangen ihn zu harter Arbeit), aus denen immer herauszulesen ist, daß Menschen Mucken und Macken haben, unzuverlässig sind, voll schlechter Angewohnheiten, von albernem Gebaren - aber sie sind Menschen, die leben, und nicht bloß Rädchen im Getriebe.

Hat jemand "Heile Welt" gesagt? Stimmt genau. Die Tristesse der westlichen Wertegemeinschaft ist überhaupt nicht anders auszuhalten, und wenn einem nichts Aktuelles unterkommt, welchselbes das Gemüt aufzuhellen geeignet ist, greift man beispielweise zu Balzac.

mögen meine Leser denken, denn gestern habe ich beim Lesen einer Überschrift mehrmals die Gedankenrichtung geändert, ändern müssen: Da ist ein Aufladegerät und es kommt selbst, sogar selbst mit, und womit kommt es? Mit nicht. (Nicht zu verwechseln mit mit Nichts oder mit mit Nichten, eine Schreibweise, an die man sich gewöhnen oder auf bestimmte Ausdrucksmöglichkeiten verzichten muß, das ist das Credo der gültigen Schreibung, die sich offenbar nicht mehr auf das Lesen bezieht; tja, nicht nur die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander.)

Weiter im Text. Es kommt also selbst mit nicht. Da komme selbst ich nicht mit. Das kann nicht richtig sein, deshalb lese ich nochmal von vorne. Das Aufladegerät von [Britzelbupp] kommt selbst mit nicht - häh? - aufladbaren Batterien. Ahaaaaa! Nichtaufladbare Batterien! Wieso schreibt der das nicht gleich? In der zweiten Zeile entdecke wiederaufladbare - na also. Aber wo sind wir: Das Gerät kommt selbst, und es kommt mit nichtaufladbaren Batterien. Das klingt wie ein Grund zum Ärgern, und das tue ich sofort prophylaktisch, erst recht, als ich das Ende der Überschrift lese: zu Recht.

Jetzt im ganzen Satz: Das Aufladegerät von [Britzelbupp] kommt selbst mit nicht aufladbaren Batterien zu Recht. Angie, weißt du, wo sich deine Bildungsrepublik befindet am Arsch, und wohin du dich zu Recht begeben solltest? in ein Mauseloch

In der vergangenen Saison lachten uns aus Supermarktregalen Fleischwaren mit dem Aufdruck nur 2% Fett und fettreduziert entgegen, der neue Trend aber heißt Feinschmecker-, Delikatess- und Spitzen-was-auch-immer; wer sich die Produkte näher ansieht, bemerkt beispielsweise Wassereinschlüsse und Knorpelmasse wie zuvor - aber in Spitzenqualität (aufgemerkt: Premium ist out). Wenn die Produkte aus Kostengründen schon nicht besser werden können, mögen sich die Hersteller sagen, dann soll wenigstens die Verpackung Besseres verheißen. Irgendwann landet die Lebensmittelindustrie dort, wo sie der fürchterliche Louis de Funes schon vor fünfunddreißig Jahren hinkarikierte (in dem Film "Brust oder Keule"): bei einer aus verschiedenerlei (und nicht bloß Lebensmittel-)Abfällen zusammengekochten Einheitspampe, der die gewünschte Form und Verpackung gegeben wird, um sie den Kunden als schmackhafte Nahrung anzudrehen; als Brathähnchen vielleicht, oder Eintopf oder oder oder, der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt, das gilt auch für Hersteller, Verpacker und Werber. Wer sich ekelt, greift dann eben zum Brottrunk und kauft Produkte, deren Markennamen mindestens einmal die Silbe Bio enthalten oder sonstwie auf Gesundheit anspielen, sofern das knapper werdende Geld es zuläßt.

Der Skeptiker mag darauf hinweisen, daß Massengesellschaft und Massentierhaltung gewissermaßen Zwillinge seien und das eine ohne das andere nicht zu haben. Doch seltsam ist es schon, daß die Bevölkerung in Deutschland seit Jahrzehnten nicht wesentlich zunimmt, es aber zumindest noch in den 60ern durchweg (wenn auch nicht ausschließlich) gute und schmackhafte Ware gab. Zugenommen hat die Zahl der Supermärkte und der landwirtschaftlichen Großbetriebe, abgenommen - wollte ich schreiben, aber falsch - praktisch verschwunden sind die kleinen Ladengeschäfte, die Schlachter, die Krauter und Höker, die schlichten Bauernhöfe. Daß es überhaupt noch welche gibt, mag daran liegen, daß noch nicht alle Menschen eine Einheitspampe im Hirn haben (oder durch materielle Not auf Billigprodukte angewiesen sind) und sich deshalb nicht mit Einheitspampe zufriedengeben. Aber das läßt sich ja ändern. Vor rund hundert Jahren erboste sich Karl Kraus über Österreichs Margarineproduzenten, die die Stirn hatten, Margarine als gesünder denn Butter anzupreisen. Seitdem sprengt das Markting alle Verstandesgrenzen - und jene des guten Geschmacks ohnehin. Brust oder Keule? Ist doch kein Unterschied mehr, alles Delikatessmurks.

 

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