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Musik und so weiter

"Die Filme unterhalten sich miteinander". Das stammt leider nicht von mir, sondern von Umberto Eco, der das aber nicht über Filme, sondern über Bücher gesagt hat. Hier geht's jedoch um Filme, also: Offensichtlich wäre "Goodbye Lenin" ein anderer Film geworden (oder gar nicht entstanden!), hätte es nicht ein Jahr zuvor "Die fabelhafte Welt der Amelie" gegeben. Musik, Bilder, Geschichte werden zitiert oder tauchen als Anspielung auf; dennoch ist ersterer ein eigenständiger Film, der sich zum eigenen besten hat inspirieren lassen, ohne eine Kopie zu sein - er hat gelernt und imitiert nicht. Woher aber kommt "Amelie"?

Beim ersten Sehen dachte ich an "Zazie" (dans le Metro), obwohl die beiden Filme erst einmal nichts miteinander zu tun haben. "Amelie" erzählt die melancholische, aber mit viel Lebenslust und Komik durchtränkte Geschichte einer jungen Frau, "Zazie" berichtet von den absurden Erlebnissen eines Mädchens an einem Wochenende in Paris und ist eine Literaturverfilmung (eine Freundin Ex-Freundin Bekannte Ex-Bekannte bekannte, ihr habe der Film im Gegensatz zum Buch nicht gefallen, sehr zu meiner Enttäuschung, denn ich hatte bei dem Film immer auch an sie gedacht, aber so ist das, du idealisierst die Menschen, und dann schütten sie Banalität über dich aus), welche die Atmosphäre des Buches in Bilder fasst; Filme, Filmmusiken und Parisklischees zitierend; teils surrealistisch, klamaukhaft, schlicht komisch und auch magisch. "Zazie" (der Film) hat sich viele Freiheiten genommen und mindestens das verbindet ihn (sie!) mit "Amelie". Lassen wir es dabei.

"Na Zazie, wie war dein Wochenende, bist du mit der Metro gefahren?"
"Nein."
"Was hast du dann gemacht?"
"Ich bin älter geworden!"
Das trifft, ein wenig anders, auch auf Amelie zu. Und erkennen wir uns nicht alle darin wieder? Nein? Wie schade. Na denn: Goodbye.

Alles nur Erdenkliche habe ich schon geträumt, aber noch nie einen Western, so auch letzte Nacht nicht, aber mir erschien da so eine vertraut scheinende, vierschrötige Gestalt - "Bist du der Primat der Politik?" fragte ich. - "So ein Unfug. Ich bin Walter Brennan." - "Ach, Old Stumpy", sagte ich von Herzen erfreut, "das ist mal schön. Und was machst du in meinem Traum?"

Das hätte ich wissen sollen: nicht er war in meinen Traum gekommen, sondern ich hatte ihn herbeigeträumt. - "Aber weshalb?" - "Damit ich dir von Rio Bravo erzähle." - "Na, dann erzähl mal." - Wie sie den Duke (also John Wayne) nach Strich und Faden verarscht hätten, weil der immer so korrekt war; Angie (Dickinson), Dean (Martin) und er selbst (Brennan). Niemand sonst als John Wayne würde je eine solch langweilige Rolle wie die des Sheriff John T. Chance übernommen haben, penibel, tugendhaft und immer Zielscheibe milden Spotts.

Wenn ihm nicht Angie den Kopf dusslig gequatscht - "Hat die sich wirklich ausgezogen, hinter dem Paravent?" - "An dem Tag hatte ich drehfrei." - äh, wenn Dean ihm nicht immer mit seinen Ex- und Nicht-Ex-Trinkerallüren in die Quere - "Wie hat der das eigentlich geschafft, den Whisky fein säuberlich aus dem Glas in die Flasche zurückzuschütten?" - "Alles nur eine Frage der Perspektive; wir hatten eine übergroße Flasche, aber dann brauchten wir doch ein noch größeres Modell. Mann, was haben wir damals gesoffen!" - äh, und wenn nicht er selbst immerzu den Quengel-Opa gemacht - "Sag mal, die Musizierszene: wieso um Himmels Willen hat denn Howard Hawks die Szene mit Waynes taktschlagendem Bein in den Film geschnitten?" - "Übermüdung, Verzweiflung, was weiß ich, mir sagt ja nie jemand etwas. Ein ganzer Drehtag ist für die Einstellung draufgegangen, aber der Duke war so unmusikalisch wie Brot, der konnte nicht mal einen Marschrhythmus halten." - äh, und wenn nicht Ricky (Nelson) den lässigen Meisterschützen - "Der war aber auch langweilig." - "Da kannst du einen drauf lassen." - "Hast du eigentlich selbst das Dynamit geworfen, oder war das ein Stuntman?" - "Das war ich selbst, aber es war kein Dynamit." - "Ach so."

Das war gewiß eine meiner saudümmsten Fragen, und gleich darauf verdünnisierte sich die Erscheinung auch.; kann ich ihr nicht verdenken. Weil ich so in Stimmung war, wollte ich mit Angie Dickinson weiterträumen, aber irgendwie wollte die nicht in meinen Traum. Stattdessen träumte ich von einem Sägewerk und erwachte von meinem Schnarchen. - Western, um das noch zu sagen, erwecken immer den Eindruck, als kämpfe das Gute (na gut, der Gute) gegen das Böse. In der Wirklichkeit bekämpft das "Böse" das "Gute"; versucht das Banale alles Geistige zu ersticken, das Stumpfsinnige alle Erkenntnis zu negieren, das Selbstzufriedene alle Ideale einzuebnen. Und dagegen helfen auch keine rauchenden Colts auf der Bonanza am Fuß der blauen Berge.

I feel fine (can't explain)
I just don't understand
Glad all over (can't explain)
96 tears

See my friends (can't explain)
Ticket to ride
Drive my car (can't explain)
Penny Lane

b01

I forgot to remember to forget
Good Vibrations
Peter Gunn
Excitations

Penny Lane ( can't explain)
Strawberry fields
No milk today (can't explain)
Arnold Layne

b02

I forgot to remember to forget
Waterloo sunset
Itchycoo Park
Eight miles high

Emily plays (the last time)
She's a rainbow (the last time)
I am the walrus (the last time)
When I was young

b03


Bzw. Friendly Persuasion. Ist überhaupt kein Western. Der Film beginnt mit einer Gans (Samantha), versetzt uns in eine Quaker-Familie (gewaltfrei) und führt uns in ein Pferderennen (Red Rover vs. Prince). Keine Waffen - kein Geballer, kein Geballer - kein Vergnügen. Stattdessen Gottesdienst, in welchem der jüngste Sohn von Familienvater Birdwell (Gary Cooper) aufspringt und ruft: "God is love!" und strenge Blicke erntet. Noch mehr strenge Blicke gibt es für Cooper wegen des verbotenen Harmoniums (Quaker verabscheuen Musik, der Himmel mag wissen, weshalb. Oder auch nicht). Doch trotz Harmonium stellt sich wieder Harmonie im Hause Birdwell ein.

Wenn da nicht der Bürgerkrieg wäre (Indiana, 1862), doch dazu später. Zunächst besuchen Cooper und sein (Film)Sohn Anthony Perkins die Familie Hudspeth (in der deutschen Fassung: Hitzepock) - eine Witwe und ihre drei Töchter, mannstoll wie nur was. Während die Töchter Perkins in die Mangel, den Schwitzkasten und den Doppelnelson nehmen, erfährt Cooper von der Witwe - in zehn Sekunden klassischen Stummfilms -, daß ihr gewesener Mann nicht im Himmel weilt, sondern diametral gegenüberliegend im Fegefeuer schmort. Hier berührt der Film die Ewigkeit.

Was noch - ach ja, der Bürgerkrieg. Perkins schießt mit Tränen in den Augen, Cooper läßt seinen Beinahemörder laufen, seine Frau rettet Samantha (die Gans), indem sie einen Rebellen mit dem Besen verdrischt. Also beim besten Willen kein Western, aber klassisch, und bunt zudem. Lassen wir Samantha das letzte Wort: Quak, Quak (schüttelt den Bürzel). Lockende Versuchung, großes Kino. Aber gans groß.

oder: Weshalb Hollywood mehr Komödien drehen sollte.

Sagen wir es rundheraus: What's up, Doc? (im Folgenden WuD genannt) ist dem legendären Bullit in vielerlei Hinsicht überlegen, selbst im Hinblick auf die Verfolgungsjagd, für die Bullit doch gerühmt wird, aber dazu später mehr. Zunächst möchte ich einige spielfilmspezifische Messgrößen etablieren, als da wären:
Gagdichte Gd - Gesamtzahl der Gags geteilt durch Minuten Filmdauer
Verbrechensrate Vr - Gesamtzahl der Verbrechen durch Minuten Filmdauer
Verstrickungsindex Vi - Gesamtzahl der in die Verbrechen verstrickten Personen zu Anzahl gleichartiger Gegenstände/Personen

Diese Messgrößen beruhen auf zahlreichen und jahrelangen Beobachtungen. Beispielsweise finden Filme mit einem Vi zwischen 3 und 4 mehr Anklang beim Publikum, als Filme mit einem Vi darüber oder darunter, eine offenbar natürliche Grenze. Am schlechtesten schneiden Filme mit einem Gegenstand und zwei verstrickten Peronen ab, vielleicht, weil dies eher als Theater angesehen wird. Die Vr andererseits kann schon mit einem Wert von 1/90 gut leben. Es gibt eine Obergrenze für die Vr, denn spätestens ab zwei Verbrechen pro Filmminute setzt ein Gewöhnungseffekt ein, auch wird ab dieser Grenze ein Film als nicht mehr wahrscheinlich beurteilt. Es gibt zwar für die Gd pauschal keine Untergrenze, doch sollten Komödien zwischen 2/5 und 2/1 liegen; mehr würde womöglich Lachkrämpfe auslösen, weniger das Schlafbedürfnis signifikant erhöhen. Tragödien ohne Gags haben keine Breitenwirkung, wenn überhaupt, Tragödien mit zuvielen Gags werden in der Tendenz mißverstanden. Hier ist 5/90 der Königsweg. Das alles und noch viel mehr ist in meinem Standardwerk "Der goldene Schnitt - Filmtechnik enträtselt" nachzulesen. Aber zurück zum Vergleich.

Selbstverständlich hat die Komödie eine deutlich höhere Gd, das ist nicht der Punkt, sondern der Punkt ist, daß ein Krimi oder Thriller nicht eigentlich eine Tragödie ist und deshalb mit mehr Gags aufwarten sollte. Doch stattdessen verläßt sich Bullit auf spektakuläre Bilder, einen verdächtigen Politiker und die Persönlichkeit des Hauptdarstellers. WuD überrascht - begünstigt durch hohes Tempo im Spiel - mit einer Fülle von Gags und gewinnt in diesem Punkt mit mehreren Nasenlängen Vorsprung.

Kommen wir zur Verbrechensrate. Bei Bullit beginnt es gleich mit einer Schießerei, aber weil niemand was abbekommt, kann man daraus nicht mehr machen als Einbruch, bewaffneter Überfall und illlegaler Waffenbesitz, aber dann hat natürlich jeder ein Alibi, man kennt das ja, also lassen wir das besser fallen. Und kommen zu dem Mord: Schuß aus Schrotflinte in ein Polizistenknie, mehrere Schrotladungen in den geheimen Zeugen, der nicht geheim genug war und schon bald in das große Schweigen eintritt. Weil die beiden Täter sich an Steve McQueen ranhängen, nimmt er die Gelegenheit wahr, die Beiden seinerseits zu jagen, und zwar satte 11 Filmminuten lang, doch dazu später mehr. Nicht im Bild wird die Freundin des Zeugen abgemurkst, und zwar vom Zeugen selbst (Doppelgänger!), der seinereits auf dem San Francisco Airport den Abflug macht. Das war schon alles.

Und WuD? Da picke ich nur die Szene vor Gericht heraus, also nicht mehr als die offiziell anerkannten Verbrechen: illegale Einwanderung, Gewässerverschmutzung, Kraftwagendiebstahl, Bedrohung mit Schußwaffen, illegaler Waffenbesitz, Entführung und sexuelle Belästigung. Da haben wir eine breite Palette menschlicher Monstrosität vor uns. Vielseitigkit triumphiert.

Wie ist das nun mit dem Vi? Bullit: drei Polizisten, zwei Vorgesetzte, ein Politiker, zwei Freundinnen und zwei Gangster auf einen Geheimzeugen und dessen Doppelgänger macht genau 3.5, ein vernünftiger Wert. WuD: vier Taschenbesitzer, eine Ehefrau, eine Barbra Streisand, zwei Hotelangestellte, zwei Musikologen, drei Gangster, zwei Agenten auf vier gleich aussehende Reisetaschen macht 3.75 - das ist besser! und damit steht es 0:3 gegen Bullit.

So. Die Verfolgungsjagd. Drei Automobile jagen erst ein Lieferfahrrad, dann einen chinesischen Drachen, schließlich einen VW Käfer, und alle gemeinsam in die Bucht von San Francisco; zerstört werden ein VW-Bus, eine Glasscheibe und ein Baldachin (WuD). Dagegen jagt ein Ford Puma Mustang einen Dodge Charger, der mehr Radkappen verliert, als Räder am Wagen sind (ein satter Bonuspunkt!), das Überholen eines grünen VW-Käfer wird aus vier verschiedenen Perspektiven gezeigt, ist aber ein und dieselbe Szene (weg ist der Bonuspunkt), der Dodge schrammt zweimal die Leitplanken, ein Motorrad schlittert durchs Bild, finaler Crash des Dodge in einer Tankstelle. Soweit ein Unentschieden. Aber Bullit zeigt weniger Stadtteile, dafür mehr Highway (das ist ein Nachteill!), weniger Menschen (Chinesen!) und Tiere (Möwen!) als WuD. Vorteil WuD.

Schließlich, das wird Produzenten besonders interessieren, die Kosten. Allein die Tankstelle in Bullit hat mehr gekostet als die komplette Spur der Verwüstung in WuD (inklusive eines angekokelten Hotelzimmers), welch letztere uns die Juwelenbesitzerin (Reisetasche Nummer vier) im Einzelnen vorrechnet, ich will nur die Endsumme nennen (die von Barbra Streisand bestätigt wird): 19950 Dollar!

Da muß ich abschließend konstatieren, daß man für weniger mehr bekommt und Hollywood in jeder Hinsicht gut beraten ist, mehr Komödien zu drehen. Wer weiß, am Ende könnten sogar die Eintrittspreise der Kinos gesenkt werden, und da käme zum Vergnügen noch die Freude hinzu.

Michael Jackson war musikalisch bis in die Haarspitzen, und Earth Song ist mein Favorit, obwohl es ein sehr kalkuliertes Lied ist. Was es sonst noch zu sagen gibt, lese man u.a. bei quirinus, monoma und in The Hall of Mirrors (Kraftwerk 1977, von der LP "Trans Europe Express"). Lieber Michael, mögest du endlich Frieden gefunden haben.

Baumärkte sind längst keine Domäne von Männern mehr; neben Schrauben, Werkzeug, Türklinken, Farben und Holz, Holz, Holz gibt es dort Lampen, Hauströdel, Gartentrödel, Haustierzubehör inklusive Aquarien und Blumen. Dazwischen bewegen sich Kunden, bei denen man zwei Sorten unterscheidet: die einen, die suchen, und die anderen, die fragen. Genaugenommen gibt es noch eine dritte Sorte, nämlich Grüppchen von Frauen, die sich zusätzlich zu ihrem Einkauf einfach mal umsehen, also shopping gehen. Damit sich die Kunden in den großen, mit bis zur Decke reichenden Regalen unterteilten Hallen nicht verloren fühlen, rieselt Musik aus strategisch angebrachten Lautsprechern, leichte, nichtsagende Musik. Aber ausgerechnet, wenn ich dort einkaufen muß, läuft "Boys don't cry" von The Cure. Ist das inzwischen auch mainstream? Nein, denn gleich darauf wird der Weichspüler zugeschaltet und irgendein Tralala neuerer Bauart schleicht sich in die Ohren. Spätestens jetzt sollte jeder musikalisch Begabte die Klasse der frühen Cure erkennen, die heute nur noch gelangweilte Stars mit langweiligen Platten und langweilenden Konzerten sind, ebenso wie The Clash und Simple Minds und all die anderen Bands der aufregendsten Jahre seit den Sixties, die sich nicht aufgelöst haben (die Bands), als ihnen die Einfälle ausgingen. Es sind die "Old wild men" aus dem elegisch-ironischen Song von 10cc ("they'll play and play to pass the time"), der mit den Versen endet:
"Lord have mercy upon the many
Lord have mercy upon the few
Lord have mercy upon the many
Lord have mercy on me
and on you"

They live! heißt ein Film von John Carpenter aus dem Jahr 1988. John Carpenter, ist das nicht der Regisseur, dem nach Dark Star, Assault on Precinct 13, Halloween, The Fog und Escape from New York eine ähnlich Karriere wie Steven Spielberg offenzustehen schien? Dann hat er allerdings stapelweise Billighorrorfilme gedreht, deren handwerklich schlechte Machart den dürftigen Inhalten entsprach. Verständlich, daß ich von They live! gar nichts erwartete. Der Film setzt sich - das überrascht schon mal positiv - mit der sozialen Wirklichkeit in den USA auseinander. Weshalb werden die Reichen immer reicher, weshalb gibt es immer mehr Verarmte, weshalb verschlechtern sich die Lebensbedingungen ständig, und weshalb wird diese Entwicklung ohne Erbarmen vorangetrieben? Die Antwort des Films: die Bevölkerung wird von Außerirdischen (unter mithilfe von Kollaborateuren) kontrolliert und ausgesaugt.

Gewiß ist es naheliegend, die Unmenschlichkeit damit zu begründen, daß Unmenschen das Kommando übernommen haben, aber Außerirdische finde ich ein bißchen weit hergeholt (und darüber hinaus auch bedenklich, weil hier Sündenböcke angeboten werden; für Aliens kannst du auch Juden oder Muslime einsetzen und wo landen wir dann). Und daß nicht das Fernsehenglotzen als solches einlullend und konformitäterzeugend ist, sondern besondere Strahlen, die durch das Fernsehen übertragen werden, kommt auch nicht so gut (und stinkt nach Verschwörungstheorie). Kann und darf man alles nicht ernst nehmen. Aber! Aber Carpenter hat (freilich naheliegende) Bilder gefunden, die wunderbar einfach und überzeugend sind (und darin liegt wohl sein eigentliches Talent). Es gibt Spezialbrillen (die illegal von Rebellen hergestellt werden, mehr erfährt man nicht), mit denen man durch den schönen Schein der Konsumwelt blicken kann, und hinter bunten Reklametafeln, Werbeplakaten und Hinweisschildern entdeckt der Betrachter in Grautönen die verborgenen Botschaften, welche lauten: OBEY! SUBMIT! HAVE NO THOUGHT! STAY ASLEEP! CONSUME! - Was für ein glücklicher Einfall, ich hatte gleich gute Laune.

will be my Epitaph

Die Tragweite dessen, was man zu einer gegebenen Zeit verloren hat, wird einem oft erst im Rückblick bewußt; in den Zeitläuften geschieht der Verlust nur allmählich und schrittweise, aber unwiderruflich. Es ist das große Verdienst des Films Goodbye Lenin, uns den Verlust eines Traums bewußt zu machen, indem er im Film in origineller und anrührender Weise noch einmal geträumt wird - der Traum von einer besseren, menschlicheren Gesellschaft. Es ist nicht der Verlust der DDR, der schmerzt, sondern die BRDigung aller Hoffnungen der Wendezeit, als der Staat DDR endlich (und notgedrungen) nach seiner Berechtigung, seiner versprochenen und nie erfüllten Gerechtigkeit, den tatsächlichen Bedürfnissen seiner Bürger zu fragen begann.

Überhaupt nicht zufällig erleidet die Mutter des Filmhelden am Abend des 40. Jahrestages der DDR einen Herzinfarkt, der sie in ein Monate andauerndes Koma versetzt. Und ebensowenig zufällig erwacht sie aus dem Koma im Frühsommer 1990, als ihr Sohn sich zum ersten Mal mit der Liebe seines jungen Lebens küßt. Sie weiß natürlich nichts von der Wende, und um jede - weil lebensbedrohliche - Aufregung von ihr fernzuhalten, nimmt der Sohn sie aus dem Krankenhaus mit in ihre Wohnung und spielt vor der Schwerkranken die Komödie einer unverändert fortbestehenden DDR. Dazu muß er nicht nur ihr Schlafzimmer in den vorherigen Zustand zurückversetzen, sondern unter anderem auch durch gefälschte Fernsehsendungen die Legende eines sich verändernden Staates - angepa0t an die tatsächlichen Umbrüche, aber ganz neu interpretiert - erfinden. Und so wandelt sich der viel versprechende, aber wenig haltende Staat in eine offene, menschliche Gesellschaft, dem die Bundesbürger, enttäuscht vom Kapitalismus, zuströmen. Der Traum gipfelt in der Ablösung Erich Honeckers durch den ersten deutschen Kosmonauten Siegmund Jähn, der am Vorabend der wirklichen deutschen Einheit als erfundener neuer Staatsratsvorsitzender eine neue Zeit verkündet, in der nun tatsächlich die Menschen im Mittelpunkt staatlichen Strebens stehen sollen. Die Mutter, nach einem neuerlichen Infarkt, überlebt die Wiedervereinigung, von der sie nichts weiß - oder inzwischen doch? - keineswegs zufällig nur um wenige Tage.

Mit ihr stirbt auch der Traum: mit Witz und Ironie hatte sie - eine verhinderte Republikflüchtige, wie sich herausstellt - den Mißmut ihrer Nachbarn in Eingaben an den Staat transformiert, also praktischen, konstruktiven Widerstand geleistet. - Bei den ersten freien Wahlen errang das Bünbnis '90, dem viele der Organisatoren des Aufbegehrens im Jahre 1989 angehörten, nicht einmal 3 Prozent der Stimmen. Die real zwangssozialistischen Bürger hatten in ihrer Verwirrung auf den Einen gewartet, der ihnen versprach, daß es keinem schlechter gehen werde und blühende Landschaften entstehen würden. Die Verwandlung der DDR zum Besseren durch ihre Bürger für ihre Bürger war kein Thema nehr. Aus der Traum.

Soweit die rationale Würdigung eines wunderbaren und glücklicherweise sehr unterhaltsamen Films. Bleibt noch zu sagen, daß mir auch beim zweiten Sehen Tränen stiller Trauer die Wangen hinabkullerten, durchaus nicht irrational. Und ich wüßte auch keinen Grund, mich dessen zu schämen.

 

twoday.net AGB

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