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Dickis Reisen

War mir gar nicht klar. Stellte sich aber schnell heraus. Weltjugendtag ab Dienstag, Papst ab Donnerstag. Während der Fahrt (am Sonnabend vor zehn Tagen) nach Köln zunächst (Schwester), dann in die Nähe von Gummersbach (Bruder), war von dem Großereignis noch nichts zu spüren, nur paar Witzbolde auf der Autobahn mit Nummernschildern wie ST-IL-2992 oder SU-RF-2003 oder auch GL-AS-4711.

Dienstag dann Kardinal Meisner: "..eröffne ich hiermit den Weltjugendpapst ..." Hübscher Versprecher. Donnerstag, Köln-Wahn. Der Papst landet. Ab seiner Ankunft am Rhein-Anleger war ich live dabei, also vorm Fernseher mein ich. Setzt sich da in sonn improvisierten Thron auf dem Sonnendeck, paar Landestrachtjugendliche aus aller Welt mit Abstand um ihn rum. Tucker tucker zu den Poller Wiesen, wo er dann beflissen begrüßt wird, mit einer Rede, die man durch Austausch weniger Begriffe für jede Führerbegrüßung hätte einsetzen können. Au Mann, dachte ich, das wird alles eine große Peinlichkeit. Zumal sich ja auch Kommentatoren, Werbewirtschaft, Veranstalter und überhaupt ziemlich jeder bemühte, den Papstbesuch auf Wirtschaftsfaktorniveau herabzubanalisieren. "Während der Rheinfahrt war der Strom komplett gesperrt," schrieb der Kölner Anzeiger anderntags; kann nicht sein, sagte meine Schwester, bei ihr funktionierten alle Elektrogeräte (sie wohnt in Köln sehr nah an der Route, die der Katafalk Katamaran Rhein-Energie nahm.

Auf diesem Schiff waren ne ganze Menge Jugendliche, also nicht bloß eine handvoll, und schon gar nicht eine Hand voll. Eine nach dem anderen knicksten und beugten die vorm Heiligen Vater, küßten seine rechte Hand, und hielten kurze Zwiesprache. Benedikt XVI ganz aufmerksam zugehört und ihnen ins Gesicht gesehen, Hand, Arm, Schulter freundlich berührt, ein schönes Bild. Ein junger Mann hat dem Alten sogar die Hand gestreichelt, das fand ich sehr rührend. Der Ratzinger will ja keinen Starrummel ("Beee-nedet-to!" - klapklap - klapklapklapklap), aber über Vertrauen und Zuneigung hat er sich sichtlich gefreut. Schön. Da hatte sich für mich das Live-Geglotze schon gelohnt.

Ehrlich, ich mag den alten Joseph Ratzinger. Obwohl ich bezweifle, daß er in Sachen Kondome usw. noch zur Vernunft kommt. Aber der hat ne Menge anderer Sachen im Gepäck, und mich freut, daß Quirinus hier eine ganz wichtige Passage aus der Predigt auf dem Marienfeld zitiert ("... die wehrlose Macht der Liebe ..."). Außerdem empfinde ich als wohltuend, daß er kein Medienprofi, vielleicht nicht einmal ein geübter Redner ist, wohl aber ein schreibender und denkender Mensch. Soll doch der Köhler Horst seine Zeitgemäßheit durch Kondomempfehlungen in markiger Rede beweisen wollen, er wird ja immer nur ein Grinse-Kasper bleiben. Mir geht die ganze Aufregung am Arsch vorbei. Der alte Mann in Rom wird sich noch manches Mal irren, aber er ist ein Mensch, der lebt und liebt. Basta.

Um es gleich zu sagen: ich fürchte, ich bin herausgefallen, vollständig in die Gegenwart zurückgeplumpst. Vielleicht nur vorübergehend, vielleicht kann ich irgendeinmal den losen Faden wieder aufnehmen, aber hier und heute, in Neapel am Freitag, den 27. Mai 1787, ziehe ich einen vorläufigen Schlußstrich, es tut mir leid, es verdrießt mich, und ist doch das einzig sinnvolle.

Eine angekündigte Geschichte bin ich noch schuldig (vgl. Folge 30), und die soll auch erzählt sein. Es geht selbstverständlich um die ungestüme Prinzessin. Aus einem guten, doch unvermögenden Hause geboren, im Kloster erzogen, entschloß sie sich, einen alten und reichen Fürsten zu heiraten, und man konnte sie um so eher dazu überreden [ weshalb überreden, wenn sie doch entschlossen war???], als die Natur sie zu einem zwar guten, aber zur Liebe völlig unfähigen Wesen gebildet hatte. In dieser reichen, aber durch Familienverhältnisse höchst beschränkten Lage suchte sie sich durch ihren Geist zu helfen und, da sie in Tun und Lassen gehindert war, wenigstens ihrem Mundwerk freies Spiel zu geben. Man versicherte mir, daß ihr eigentlicher Wandel ganz untadelig sei, daß sie sich aber fest vorgesetzt zu haben scheine, durch ein unbändiges Reden allen Verhältnissn ins Angesicht zu schlagen. Man bemerkte scherzend, daß keine Zensur ihre Diskurse, wären sie schriftlich verfaßt, könne durchgehen lassen, weil sie durchaus nichts vorbringe, als was Religion, Staat oder Sitten verletze.

Man erzählte die wunderlichsten und artigsten Geschichten von ihr, wovon eine hier stehen mag, ob sie gleich nicht die anständigste ist.

Kurz vor dem Erdbeben, das Kalabrien betraf, war sie dort auf die dortigen Güter ihres Gemahls gezogen. auch in der Nähe des Schlosses war eine Baracke gebaut, das heißt ein hölzernes einstöckiges Haus, unmittelbar auf den Boden aufgesetzt; übrigens tapeziert, möbliert und schicklich eingerichtet. Bei den ersten Anzeigen des Erdbebens flüchtete sie dahin. Sie saß auf dem Sofa, Knötchen knüpfend, vor sich ein Nähtischchen, gegen ihr über ein Abbé, ein alter Hausgeistlicher. Auf einmal wogte der Boden, das Gebäude sank an ihrer Seite nieder, indem die entgegengesetzte sich emporhob, der Abbé und das Tischchen wurde also auch in die Höhe gehoben. "Pfui!" rief sie, an der sinkenden Wand mit dem Kopfe gelehnt, "schickt sich das für einen so ehrwürdigen Mann? Ihr gebärdet Euch ja, als wenn Ihr auf mich fallen wolltet. Das ist ganz gegen alle Sitte und Wohlstand."

Indessen hatte das Haus sich wieder niedergesetzt, und sie wußte sich vor Lachen nicht zu lassen über die närrische, lüsterne Figur, die der gute Alte sollte gespielt haben, und sie schien über diesen Scherz von allen Kalamitäten, ja dem großen Verlust, der ihre Familie und so viel tausend Menschen betraf, nicht das mindeste zu empfinden. Ein wunderbar glücklicher Charakter, dem noch eine Posse gelingt, indem ihn die Erde verschlingen will.


Mit dieser, mir etwas eigenwillig scheinenden, Betrachtung der Prinzessin ist wenigstens diese Sache abgeschlossen. Bleibt mir nur zu danken und zu sagen: mit Goethe reist es sich angenehm.

Ich gebe ja zu, einiges unterschlagen zu haben bei dem Sizilientrip. Beispielsweise die Seereisen. Die Hinfahrt dauerte wegen ungünstiger Winde doppelt so lang wie üblich (und Goethe wurde seekrank, sobald es aufs offene Meer hinausging). Auf der Rückfahrt war es ähnlich, allerdings saßen wir auf einem französischen Schiff, das eine weiße Flagge führte und damit Schutz vor Seeräubern versprach (welche offenbar weißbeflaggte Segler nicht angriffen? Seltsam.), weshalb denn viel Volk an Bord gekommen war. Diese Leute machten alsbald die Mannschaft für die ungünstigen Winde verantwortlich; der Kapitän sei ein Kaufmann, der Steuermann ein Matrose, man dürfe ihnen keine Menschenfracht anvertrauen etc. Goethe bemühte sich um Beruhigung der Gemüter - einmal auf See muß man die Seeleute nehmen, die man hat, und zwar so, wie sie sind.

Vor Neapel gerieten wir in eine vollkommene Flaute und der Kahn trieb hilflos durch den Golf. Im Dunkeln kam dann Unruhe auf; man befinde sich nun in einer Strömung, die uns unweigerlich auf Felsen aufprallen lasse, wenn kein Wind aufkäme. So ging es Stunden hin. Im Morgengrauen trugen die Seeleute Stangen an Deck, um das Schiff im äußersten Fall auf Abstand zum Gestein halten zu können. Noch in der Nacht hatte es großes Geschrei gegeben, dem Goethe einen Aufruf zum Beten entgegensetzte - wenn der Herr sich der Apostel erbarmt und dem Sturm Einhalt geboten habe, so sei er zweifellos in der Lage, die Winde zu entfachen, und ebendarum sollten sie nun bitten. Die Gläubigen legten auch gleich los. Er ließ sich lange bitten, doch als das Zerschellen nicht mehr fern war, ging endlich ein Lüftchen. Sofort wurden die Segel gesetzt und wir entkamen dem Sog.

Nun also wieder Neapel, dann noch einmal Rom, naja, da kenn ich doch schon manches, und mich juckt der Irrwitz, daß ich Die Brüder Karamasow aus der Reisebibliothek ziehe. 1000 Seiten, unterteilt in 4 Teile und insgesamt 12 Bücher, am Ende ein Epilog, am Anfang ein Vorwort, das nur zwei Seiten lang ist. "Nun, das ist mein ganzes Vorwort. Ich gebe zu, es ist überflüssig, da es aber nun einmal geschrieben ist, mag es auch stehenbleiben. - Und nun zur Sache." Der geht ran, der Dostojewski. Aber ob ich es jetzt wirklich lesen werde?

Ganz recht, ich bin noch den Dramenentwurf schuldig. Der Hauptsinn war der: in der Nausikaa eine treffliche, von vielen umworbene Jungfrau darzustellen, die, sich keiner Neigung bewußt, alle Freier bisher ablehnend behandelt, durch einen seltsamen Fremdling [Goethe?] aber gerührt, aus ihrem Zustand heraustritt und durch eine voreilige Äußerung ihrer Neigung sich kompromittiert, was die Situation vollkommen tragisch macht. Und das bedeutet? Ulyß, der, halbschuldig, halb unschuldig [Goethe??], dieses alles veranlaßt, muß sich zuletzt als einen Scheidenden erklären, und es bleibt dem guten Mädchen nichts übrig, als im fünften Akt den Tod zu suchen. Das ist hart.

Es war in dieser Kompostion nichts, was ich nicht aus eignen Erfahrungen nach der Natur hätte ausmalen können. Selbst auf Reisen, selbst in Gefahr, Neigungen zu erregen, die, wenn sie auch kein tragisches Ende nehmen, doch schmerzlich genug, gefährlich und schädlich werden können; selbst in dem Falle, in einer so großen Entfernung von der Heimat abgelegene Gegenstände, Reiseabenteuer, Lebensvorfälle zu Unterhaltung der Gesellschaft mit lebhaften Farben auszumalen, von der Jugend für eine Halbgott, von gestztern Personen für einen Aufschneider gehalten zu werden, manche unverdiente Gunst, manches unerwartete Hindernis zu erfahren gab ihm den Plan zum Drama ein. Was sagt nun die Prinzessin dazu, wird sie ein Drama daraus machen?

Mein lockeres Prinzeßchen werde ich wohl nicht wiedersehen; sie ist wirklich nach Sorrent und hat mir die Ehre angetan, vor ihrer Abreise auf mich zu schelten, daß ich das steinichte und wüste Sizilien ihr habe vorziehen können. - Nächstes Mal: was Goethe über die Prinzessin erfuhr.

Also, Sizilien ist für mich eine Enttäuschung, und ich hab fast die ganze Zeit gelesen (übrigens die Stadtgeschichten von Armistead Maupin; ganz unterhaltsam, auch wenn da nicht e i n reifer Mensch drin vorkommt, es ist ne Kindergartenwelt mit Joints). Goethe stellt fest, daß die hiesige Kunst nur Kunsthandwerk ist, flitzt durch die Landschaft, sammelt Steine, schwatzt mit wildfremden Leuten - aber das brennende Interesse an den sizilianischen Verhältnissen vermag er nicht zu befriedigen.

Sizilien, das weiß doch jedes Kind, hat e i n e Regierung und e i n Gesetz: die Regierung wird Mafia genannt und das Gesetz omerta. Der Sizilianer als solcher ist jeder Neuerung der Waffentechnik gegenüber sehr aufgeschlossen, pflegt aber gleichwohl althergebrachte Bestattungsbräuche; Konkurrenten werden ohne viel Aufsehen in Fundamenten und Straßengrundierungen beigesetzt, Angehörige und Freunde unter großem Geschrei in Familiengräber versenkt. Das sind feine Unterschiede, die der Fremde erst einmal lernen muß. Landestypisch ist auch, daß jede Frau nur einen winzigen Fehltritt vom Hurendasein entfernt lebt, als Mama vieler Bambini jedoch in der Verehrungshierarchie gleich nach Madonna der Madonna kommt. Ferner gibt es zwei Arten von Adel: jene alten Geschlechter und jene Familien, die auf eine über Jahrhunderte gepflegte Vendetta verweisen können.

Darüber schweigt sich Goethe pauschal aus. Vermutlich ist er poetisch entrückt, zumindest skizziert er einen Dramenentwurf, der entschieden an jenes neapolitanische Prinzeßchen erinnert, welches ... Na, das erzähle ich beim nächsten Mal.

So war auch heute Fest des heiligen Josephs; er ist der Patron aller Frittaruolen, d.h. Gebacknesmacher, versteht sich Gebacknes im gröbsten Sinne. Weil nun immerfort starke Flammen unter schwarzem und siedendem Öl hervorschlagen, so gehört auch alle Feuerqual in ihr Fach; deswegen hatten sie gestern abend vor den Häusern mit Gemälden zum besten aufgeputzt: Seelen im Fegfeuer, Jüngste Gerichte glühten und flammten umher. Große Pfannen standen vor der Türe auf leicht gebauten Herden.Ein Gesell wirkte den Teig, ein anderer formte, zog ihn zu Kringlen und warf sie in die siedende Fettigkeit. An der Pfanne stand ein dritter, mit einem kleinen Bratspieße, er holte die Kringlen, wie sie gar wurden, heraus, schob sie einem vierten auf ein ander Spießchen, der sie den Umstehenden anbot; die beiden letzten waren junge Burschen mit blonden und lockenreichen Perücken, welches hier Engel bedeutet. Noch einige Figuren vollendeten die Gruppe, reichten Wein den Beschäftigten, tranken selber und schrieen, die Ware zu loben; auch die Engel, die Köche, alle schrieen. Das Volk drängte sich herzu; denn alles Gebackene wird diesen Abend wohlfeiler gegeben und sogar einTeil der Einnahme den Armen. Und soweit ich weiß, gehörte es damals auch unter Wohlhabenden zum guten Ton, zu geben und zu helfen, sofern es nicht Geizkragen und Neureiche waren. Der Kapitalismus als Ergebnis der bürgerlichen Revolution hat dies vollig weggewischt, weshalb aufgeklärte Gesellschaften die soziale Verpflichtung des Eigentums in íhren Verfassungen festschrieben.

Doch was ist nun? Goethe will nach Sizilien reisen, es ist bereits beschlossene Sache. Ich bin einverstanden, denn das erspart uns weitere Wagnisse am Vesuv, aber wenn ich es recht bedenke, gibt es auf Sizilien den Ätna. Hoffentlich hält der sich bedeckt. Soeben besuchte mich ein Marchese Berio, ein junger Mann, der viel zu wissen scheint. Er wollte den Verfasser des "Werther" doch auch kennen lernen. Überhaupt ist hier großer Drang und Lust nach Bildung und Wissen. Sie sind nur zu glücklich, um auf den rechten Weg zu kommen. Hätte ich nur mehr Zeit, so wollt' ich ihnen gern meine Zeit geben. Diese vier Wochen -- was waren die gegen das ungeheure Leben! Nun gehabt euch wohl! Reisen lern' ich wohl auf dieser Reise, ob ich leben lerne, weiß ich nicht. Die Menschen, die es zu verstehen scheinen, sind in Art und Wesen zu sehr von mir verschieden, als daß ich auf dieses Talent sollte Anspruch machen können.

Nun sag' ich noch allen Freunden in Weimar und Gotha ein treues Lebewohl! Eure Liebe begleitet mich, denn ich möchte ihrer wohl immer bedürfen. Heute nacht träumte ich mich wieder in meinen Geschäften. Es ist denn doch, als wenn ich mein Fasanenschiff nirgends als bei euch ausladen könnte. Möge es nur erst recht stattlich geladen sein! Und zurück bleiben zwei Vulkanführer, die nun schlichteren Gemütern als dem Goethe wieder ihr Vesuv-Latein erzählen können, und eine Prinzessin - von der wir hoffentlich noch mehr erfahren werden.

Die Kunde einer soeben ausbrechenden Lava, die, für Neapel unsichtbar, nach Ottajano hinunterfließt, reizte mich, zum dritten Male den Vesuv zu besuchen. Ich bin ein Leser, holt mich hier raus!

Auf die Höhe gelangt, blieb der eine bei den Mänteln und Viktualien, der jüngere folgte mir, und wir gingen mutig auf einen ungeheuren Dampf los, der unterhalb des Kegelschlundes aus dem Berg brach; sodann schritten wir an dessen Seite gelind hinabwärts, bis wir endlich unter klarem Himmel aus dem wilden Dampfgewölke die Lava hervorquellen sahen. [...] Die Lava war schmal, vielleicht nicht breiter als zehn Fuß, allein die Art, wie sie eine sanfte, ziemlich ebene Fläche hinabfloß, war auffallend genug; denn indem sie während des Fortfließens an den Seiten und an der Oberfläche verkühlt, so bildet sich ein Kanal, der sich immer erhöhet, weil das geschmolzene Material auch unterhalb des Feuerstroms erstarrt, welcher die auf der Oberfläche schwimmenden Schlacken rechts und links gleichförmig hinunterwirft, wodurch sich denn nach und nach ein Damm erhöht, auf welchem der Glutstrom ruhig fortfließt wie ein Mühlbach. Wir gingen neben dem ansehnlich erhöhten Damme her, die Schlacken rollten regelmäßig an den Seiten herunter bis zu unseren Füßen. [...]

Ich hatte Verlangen, mich dem Punkte zu nähern, wo sie aus dem Berg bricht; dort sollte sie, wie mein Führer versicherte, sogleich Gewölbe und Dach über sich her bilden, auf welchem er öfters gestanden habe. [...] Glücklicherweise fanden wir die Stelle durch einen lebhaften Windzug entblößt, freilich nicht ganz, denn ringsum qualmte der Dampf aus tausend Ritzen, und nun standen wir wirklich auf der breiartig gewundenen, erstarrten Decke, die sich aber so weit vorwärts erstreckte, daß wir die Lava nicht konnten herausquellen sehen. Wir versuchten noch ein paar Dutzend Schritte, aber der Boden ward immer glühender; sonneverfinsternd und erstickend wirbelte ein unüberwindlicher Qualm. Der vorausgegangene Führer kehrte bald um, ergriff mich, und wir entwanden uns diesem Höllenbrudel. [...]

Der herrlichste Sonnenuntergang, ein himmlischer Abend erquickten mich auf meiner Rückkehr; doch konnte ich empfinden, wie sinneverwirrend ein ungeheurer Gegensatz sich erweise. Das Schreckliche zum Schönen, das Schöne zum Schrecklichen, beides hebt einander auf und bringt eine gleichgültige Empfindung hervor. Gewiß wäre der Neapolitaner ein anderer Mensch, wenn er sich nicht zwischen Gott und Satan eingeklemmt fühlte.
Und ich werd dir noch eins auswischen für diesen Höllentrip, Herr.

Damit ich ja zur bestimmten Zeit heute bei dem wunderlichen Prinzeßchen wäre und das Haus nicht verfehlte, berief ich einen Lohnbediensteten. Er brachte mich vor das Hoftor eines großen Palastes, und da ich ihr keine so prächtige Wohnung zutraute, buchstabierte ich ihm noch einmal aufs deutlichste den Namen; er versicherte, daß ich recht sei.

Er wird anstandslos eingelassen, tritt in eine Gesellschaft völlig Unbekannter, weder die Prinzessin noch die Filangieris sind zu sehen. Er wird unruhig. Ist er doch im falschen Hause; ein Irrtum, hat man ihm einen Streich gespielt?

     Schon wurden die Speisen aufgetragen, und ich hielt mich in der Nähe der geistlichen Herren, um mit ihnen in das Paradies des Tafelzimmers zu schlüpfen, als auf einmal Filangieri mit seiner Gemahlin hereintrat, sich entschuldigend, daß er verspätet habe. Kurz darauf sprang Prinzeßchen auch in den Saal, fuhr unter Knicksen, Beugungen, Kopfnicken an allen vorbei auf mich los. "Es ist recht schön, daß Sie Wort halten!" rief sie, "setzen Sie sich bei Tafel zu mir, Sie sollen die besten Bissen haben. Warten Sie nur! ich muß mir erst den rechten Platz aussuchen, dann setzen Sie sich gleich an mich." So aufgefordert, folgte ich den verschiedenen Winkelzügen, die sie machte, und wir gelangten endlich zum Sitze, die Benediktiner gerade gegen uns über, Filangieri an meiner andern Seite. - "Das Essen ist durchaus gut", sagte sie, "alles Fastenspeisen, aber ausgesucht, das Beste will ich Ihnen andeuten. Jetzt muß ich aber die Pfaffen scheren. Die Kerls kann ich nicht ausstehen; sie hucken unserm Hause täglich etwas ab. Was wir haben, sollten wir selbst mit Freunden verzehren!" - Die Suppe war herumgegeben, der Benediktiner aß mit Anstand. - "Bitte, sich nicht zu genieren, Hochwürden", rief sie aus, "ist etwa der Löffel zu klein? Ich will einen größern holen lassen, die Herren sind ein tüchtiges Maulvoll gewohnt." - Der Pater versetzte, es sei in ihrem fürstlichen Hause alles so vortrefflich eingerichtet, daß ganz andere Gäste als er eine vollkommene Zufriedenheit empfinden würden.
     Von den Pastetchen nahm sich der Pater nur eins, sie rief ihm zu, er möge doch ein halb Dutzen nehmen! Blätterteig, wisse er ja, verdaue sich leicht genug. Der verständige Mann nahm noch ein Pastetchen, für die gnädige Attention dankend, als habe er den lästerlichen Scherz nicht vernommen. Und so mußte ihr auch bei dem derbern Backwerk Gelegenheit werden, ihre Bosheit auszulassen; denn als der Pater ein Stück anstach und es auf seinen Teller zog, rollte ein zweites nach. - "Ein drittes", rief sie, "Herr Pater, Sie scheinen einen guten Grund legen zu wollen!" - "Wenn so vortreffliche Materialien gegeben sind, hat der Baumeister leicht arbeiten!" versetzte der Pater. - Und so ging es immer fort, ohne daß sie eine andere Pause gemacht hätte, als mir gewissenhaft die besten Bissen zuzuteilen. [...]
     Die ganze Zeit war den geistlichen Herren von dem Mutwillen meiner Nachbarin keine Ruhe gegönnt, besonders gaben ihr die zur Fastenzeit in Fleischgestalt verwandelten Fische unerschöpflichen Anlaß, gott- und sittenlose Bemerkungen anzubringen, besonders aber auch die Fleischeslust hervorzuheben und zu billigen, daß man sich wenigstens an der Form ergötze, wenn auch das Wesen verboten sei.
     Ich habe mir noch mehr solcher Scherze gemerkt, die ich jedoch mitzuteilen nicht Mut habe. Dergleichen mag sich im Leben und aus einem schönen Munde noch ganz erträglich ausnehmen, schwarz auf weiß dagegen wollen sie mir selbst nicht mehr gefallen. Und dann hat freche Verwegenheit das Eigene, daß sie in der Gegenwart erfreut, weil sie in Erstaunen setzt, erzählt aber erscheint sie uns beleidigend und widerlich. [Jetzt will ich es gerade wissen, was sie noch an Scherzen trieb - dwD]
     Das Dessert war aufgetragen, und ich fürchtete, nun gehe es immer so fort; unerwartet aber wandte sich meine Nachbarin ganz beruhigt zu mir und sagte: "Den Syrakuser sollen die Pfaffen in Ruhe verschlucken, es gelingt mir doch nicht, einen zu Tode zu ärgern, nicht einmal,daß ich ihnen den Appetit verderben könnte. Nun lassen Sie uns ein vernünftiges Wort reden! Denn was war das wieder für ein Gespräch mit Filangieri! Der gute Mann! er macht sich viel zu schaffen. Schon oft hab ich ihm gesagt: 'Wenn ihr neue Gesetze macht, so müssen wir uns wieder neue Mühe geben, um auszusinnen, wie wir auch die zunächst übertreten können; bei den alten haben wir es schon weg.' Sehen Sie nur einmal, wie schön Neapel ist; die Menschen leben seit so vielen Jahren sorglos und vergnügt, und wenn von Zeit zu Zeit einmal einer gehängt wird, so geht alles übrige seinen herrlichen Gang." Sie tat mit hierauf den Vorschlag, ich solle nach Sorrent gehen, wo sie ein großes Gut habe, ihr Haushofmeister werde mich mit den besten Fischen und dem köstlichsten Milchkalbfleisch (mungana) herausfüttern. Die Bergluft und die himmlische Aussicht sollten mich von aller Philosophie kurieren, dann wolle sie selbst kommen, und von den sämtlichen Runzeln, die ich ohnehin zu früh einreißen lasse, solle keine Spur übrigbleiben, wir wollten zusammen ein recht lustiges Leben führen.


O - ha!

Kunst, Kunst, Kunst und nochmals Kunst. Aus meiner Reisebibliothek habe ich schon mal den De Crescenzo bereitgelegt, für alle Fälle. Jedoch, ich bin mir nicht recht sicher, bahnt sich hier etwa etwas an?

     Das ist das Angenehme auf Reisen, daß auch das Gewöhnliche durch Neuheit und Überraschung das Ansehen eines Abenteuers gewinnt. Als ich von Capo di Monte zurückkam, machte ich noch einen Abendbesuch bei Filangieri, wo ich auf dem Kanapee neben der Hausfrau ein Frauenzimmer sitzend fand, deren Äußeres mir nicht zu dem vertraulichen Betragen zu passen schien, dem sie sich ganz ohne Zwang hingab. In einem leichten, gestreiften, seidenen Fähnchen, den Kopf wunderlich aufgeputzt, sah die kleine, niedliche Figur einer Putzmacherin ähnlich, die, für die Zierde anderer sorgend, ihrem eigenen Aussehen wenig Aufmerksamkeit schenkt. Sie sind so gewohnt, ihre Arbeit bezahlt zu sehen, daß sie nicht begreifen, wie sie für sich selbst etwas gratis tun sollen. Durch meinen Eintritt ließ sie sich in ihrem Plaudern nicht stören und brachte eine Menge possierliche Geschichten vor, welche ihr dieser Tage begegnet oder vielmehr durch ihre Strudeleien veranlaßt worden.
     Die Dame vom Hause wollte mir auch zum Wort verhelfen, sprach über die herrliche Lage von Capo di Monte und die Schätze daselbst. Das muntere Weibchen dagegen sprang in die Höhe und war, auf ihren Füßen stehend, noch artiger als zuvor. Sie empfahl sich, rannte nach der Türe und sagte mir im Vorbeigehen: "Filangieris kommen dieser Tage zu mir zu Tische, ich hoffe, Sie auch zu sehen!" Fort war sie, ehe ich noch zusagen konnte. Nun vernahm ich, es sei die Prinzessin ***, mit dem Hause nah verwandt. Filangieris waren nicht reich und lebten in anständiger Einschränkung. So dacht' ich mir das Prinzeßchen auch, da ohnehin solche hohe Titel in Neapel nicht selten sind. Ich merkte mir den Namen, Tag und Stunde und zweifelte nicht, mich am rechten Orte zu gehöriger Zeit einzufinden.


Und ich, mein lieber Wolfgang von, werde an deiner Seite sein. Oah, ich sterbe vor Neugier!

Vesuv, die zweite:
[...] Der Weg durch die äußersten Vorstädte und Gärten sollte schon auf etwas Plutonisches hindeuten. Denn da es lange nicht geregnet, waren von dickem aschgrauem Staube die von Natur immergrünen Blätter überdeckt, alle Dächer, Gurtgesimse und was nur irgend eine Fläche bot, gleichfalls übergraut, so daß nur der herrliche blaue Himmel und die hereinscheinende mächtige Sonne ein Zeugnis gab, daß man unter den Lebendigen wandle.
     Am Fuße des steilen Hanges empfingen uns zwei Führer, ein älterer und ein jüngerer, beides tüchtige Leute. Der erste schleppte mich, der zweite Tischbein den Berg hinauf. Sie schleppten, sage ich; denn ein solcher Führer umgürtet sich mit einem ledernen Riemen, in welchen der Reisende greift und, hinaufwärts gezogen, sich an einem Stabe auf seinen eigenen Füßen desto leichter emporhilft.
     So erlangten wir die Fläche, über welcher sich der Kegelberg erhebt, gegen Norden die Trümmer der Somma. [...]
     Zwischen der Somma und dem Kegelberge ward aber der Raum enge genug, schon fielen mehrere Steine um uns her und machten den Umgang unerfreulich. Tischbein fühlte sich nunmehr auf dem Berge noch verdrießlicher, da dieses Ungetüm, nicht zufrieden, häßlich zu sein, auch noch gefährlich werden wollte.
     Wie aber durchaus eine gegenwärtige Gefahr etwas Reizendes hat und den Widerspruchsgeist im Menschen auffordert, ihr zu trotzen, so bedachte ich, daß es möglich sein müsse, in der Zwischenzeit von zwei Eruptionen den Kegelberg hinauf an den Schlund zu gelangen und auch in diesem Zeitraum den Rückweg zu gewinnen. [...]
     Noch klapperten die kleinen Steine um uns herum, noch rieselte die Asche, als der rüstige Jüngling mich schon über das glühende Gerölle hinaufriß. Hier standen wir an dem ungeheuren Rachen, dessen Rauch eine leise Luft von uns ablenkte, aber zugleich das Innere des Schlundes verhüllte, der ringsum aus tausend Ritzen dampfte. Durch einen Zwischenraum des Qualmes erblickte man hie und da geborstene Felsenwände. Der Anblick war weder unterrichtend noch erfreulich, aber eben deswegen, weil man nichts sah, verweilte man, um etwas herauszusehen. Das ruhige Zählen war versäumt, wir standen auf einem scharfen Rande vor dem ungeheuren Abgrund. Auf einmal erscholl der Donner, die furchtbare Ladung flog an uns vorbei, wir duckten uns unwillkürlich, als wenn uns das vor den niederstürzenden Massen gerettet hätte; die kleineren Steine klapperten schon, und wir, ohne zu bedenken, daß wir abermals eine Pause vor uns hatten, froh, die Gefahr überstanden zu haben, kamen mit der noch rieselnden Asche am Fuße des Kegels an, Hüte und Schultern genugsam eingeäschert.

- Ist es jetzt gut?

Damit man nicht unnötig wartet und darüber alles andere vergißt, muß, wie Hitchcock in seinen eigenen Filmen stets früh auftrat, sogleich das Wort gesprochen werden: Vedi Napoli e poi muori! Da der Goethe unbedingt den Vesuv erkunden und bis an den Krater hinauf gelangen will (und ich mit ihm), bekommt der alte Spruch eine ganz andere, sehr gegenwärtige Bedeutung.

Zuerst wird Goethe jedoch in allerlei Geselligkeit eingebunden. Und so wird man zwischen Natur- und Völkerereignissen hin und wider getrieben. Man wünscht zu denken und fühlt sich dazu zu ungeschickt. Indessen lebt der Lebendige lustig fort, woran wir es denn auch nicht fehlen ließen. Gebildete Personen, der Welt und ihrem Wesen angehörend, aber durch ernstes Geschick gewarnt, zu Betrachtungen aufgelegt. Unbegrenzter Blick über Land, Meer und Himmel, zurückgerufen in die Nähe einer liebenswürdigen jungen Dame, Huldigung anzunehmen gewohnt und geneigt. In der Tat, ich habe hier dasselbe Fragezeichen auf der Stirn wie meine Leser. Aber er verrät einem nichts, der olle Geheimrat!

Dann, Erklimmung des Vesuv, die erste. Wir stiegen über [die erkaltete Lava] an einem erst aufgeworfenen vulkanischen Hügel hinauf, er dampfte aus allen Enden. Der Rauch zog von uns weg, und ich wollte nach dem Krater gehn. Wir waren ungefähr fünfzig Schritte in den Dampf hinein, als er so stark wurde, daß ich kaum meine Schuhe sehen konnte. Das Schnupftuch vorgehalten half nichts, der Führer war mir auch verschwunden, die Tritte auf den ausgeworfenen Lavabröckchen unsicher, ich fand für gut, umzukehren und mir den gewünschten Anblick auf einen heitern Tag und verminderten Rauch zu sparen. Indes weiß ich doch auch, wie schlecht es sich in solcher Atmosphäre Atem holt. Übrigens war der Berg ganz still. Weder Flamme, noch Brausen, noch Steinwurf, wie er doch die ganze Zeit her trieb. Ich habe ihn nun rekognosziert, um ihn förmlich, sobald das Wetter gut werden will, zu belagern. Muß das wirklich sein?

O bella Napoli, du Vielbesungene! Daß kein Neapolitaner von seiner Stadt weichen will, daß ihre Dichter von der Glückseligkeit der hiesigen Lage in gewaltigen Hyperbeln singen, ist ihnen nicht zu verdenken, und wenn auch noch ein paar Vesuve in der Nachbarschaft stünden. Man mag sich hier an Rom gar nicht zurückerinnern; gegen die hiesige freie Lage kommt einem die Hauptstadt der Welt im Tibergrunde wie ein altes, übelplacierters Kloster vor. Den Goethe hat es voll erwischt.

 

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